Plattenbauten, Pioniere und Karel Gott: Auferstehung der 70er und 80er Jahre im Tanzenden Haus

Foto: Tschechisches Fernsehen

Für manche ist es eine Reise in die Kindheit, für andere ist es schon eine ferne Welt – die 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Trotz allem hat diese Zeit einen ganz besonderen Charme und Zauber. Die Galerie im Tanzenden Haus in Prag bietet nun eine Ausstellung zum Design der letzten zwei Jahrzehnte des Kommunismus. Dabei steht der Alltag im Mittelpunkt.

An graue Plattenbauten und den typischen Muff denkt jeder, wenn er an die sozialistischen 70er und 80er Jahre denkt. Auch die schlechte Qualität der Produkte von damals ist eine weitere Assoziation – wenn man denn überhaupt etwas bekam in den Geschäften. Ganz so schlimm war es jedoch nicht. Magda Novotná hat die Ausstellung mitorganisiert:

„Unser Ziel war es eigentlich, die Atmosphäre der 70er und 80er Jahre nachzustellen. Wir waren der Meinung, dass diese Zeit irgendwie in Vergessenheit geraten ist. Vor allem die jüngeren Leute wissen nichts darüber, in den Schulbüchern und dem Geschichtsunterricht wird nicht darüber gesprochen. Die älteren Besucher können selbst entscheiden, was sie von hier mitnehmen. Wir wollten dabei nicht einfach irgendwelche Artefakte zeigen, und das war’s. Wer sich Zeit nimmt und sich alles anschaut und durchliest, für den kristallisiert sich das Grundlegende dieser Zeit heraus. Wir wollten vor allem das Beste jener Jahre zeigen.“

Wohnzimmer im Plattenbau  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Organisatoren haben die Ausstellung als Rundgang durch alle Lebensbereiche gestaltet, vom typischen Wohnzimmer im Plattenbau über die Grundschulen und Pionierlager bis zu den großen Bühnen der tschechoslowakischen Musikszene. Auch die sozialistischen Filmstudios haben hier ihren festen Platz. Rundum haben sich die Veranstalter bemüht, das sozialistische Leben als solches und möglichst facettenreich darzustellen.

Karel Gott, die Frau hinter dem Ladentisch und typisches Design

Originalkostüm von Helena Vondráčková  (Foto: Offizielle Facebook-Seite der Ausstellung)
Wie ein roter Faden zieht sich die Populärkultur durch die Ausstellung. Viele bekannte Gesichter der tschechoslowakischen Pop-Szene haben auch ihren Beitrag dazu geleistet. So kann man limitierte Plattencover, aber auch Originalkostüme von Karel Gott oder Helena Vondráčková bewundern. Wichtiger war den Organisatoren aber die Verbindung zwischen dem Leben der Menschen und dem, was sie täglich auf dem Bildschirm sahen. So ist Pan Vajíčko (auf Deutsch ‚Herr Ei‘, Anm. d. Red.) das Maskottchen der Schau, er hat die Tschechoslowaken durch das Fernsehprogramm und die Werbung begleitet. Insbesondere die Fernsehserien der Zeit gelten auch als Spiegel des alltäglichen Lebens. Magda Novotná:

„Beliebt waren vor allem Arztserien wie ‚Das Krankenhaus am Rande der Stadt‘ (im Original: ‚Nemocnice na kraji města‘, Anm. d. Red.) oder ‚Sanitka‘ von Jaroslav Dietl. Überhaupt waren Berufs-Serien sehr beliebt in dieser Zeit, und das nicht nur über Ärzte. Ein Beispiel ist gerade auch ‚Die Frau hinter dem Ladentisch‘ (im Original: ‚Žena za Pultem‘, Anm. d. Red.), deren Theke wir hier in der Ausstellung nachgebaut haben, auch wenn wir den Laden nicht eins zu eins rekonstruieren konnten. Die Berufs-Serien waren sehr erfolgreich, da sie es geschafft haben, ihre Botschaft direkt durch den Fernseher ins Wohnzimmer der Zuschauer zu bringen.“

‚Die Frau hinter dem Ladentisch‘  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Viel Wert wurde im Tanzenden Haus auf das Design der 70er und 80er Jahre gelegt. Man hat dazu eine Plattenbauwohnung rekonstruiert mit allen typischen Elementen: Tapeten, Möbelelementen vom Fließband und immer wieder den Farben Hellgrün, Grau und Orange. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Wohnungen jener Zeit eintönig, schlecht ausgestattet oder schlicht hässlich waren. Alles war neu und modern und entsprach dem allgemeinen Geschmack und Zeitgeist. Magda Novotná findet die Eieruhren, Siphonflaschen oder Toaster von damals sogar viel interessanter als heutige Gebrauchsgegenstände:

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Jede Zeit hat klar ihre Trends. Die Designer damals waren aber viel mutiger, was die Farben und Formen anbetraf. Aber auch mit den Materialien haben sie viel mehr gespielt. Vor allem Plastik oder andere neuartige Stoffe konnten bei den Herstellern punkten. Bestimmte Farben waren dabei dauerhaft modern. In den Küchen war das Blaugrün oder Orange, selten Weiß. Allgemein kann man sagen, dass sich das Design vom heutigen durch seine Verspieltheit und die besonderen Formen unterscheidet.“

Foto: Tschechisches Fernsehen
Die Ausstellungsstücke sind jedoch zufällig zusammengekommen. Die Organisatoren haben gemeinsam mit dem Museum in Ústí nad Labem / Aussig einen Aufruf gestartet, um Gebrauchsgegenstände dieser Zeit zu sammeln. Irgendwann wusste man aber nicht mehr, wo man alles hinpacken sollte, so Magda Novotná.

Gleich neben dem alltäglichen Design finden sich Möbel und Dekorationsartikel, die nicht unbedingt in den durchschnittlichen tschechoslowakischen Haushalten zu finden waren. Die Veranstalter haben ebenso Originale und Nachbildungen von Regierungsmöbeln zusammengetragen wie von Möbeln, die ausschließlich für den Export bestimmt waren. Auch architektonische Elemente finden im Tanzenden Haus ihren Platz, wie zum Beispiel ein Nachbau des brutalistischen Kaufhauses Kotva oder die charakteristischen Lampen des Prager Hauptbahnhofs.

Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Eine Sache sollte aber aus der Ausstellung herausgehalten werden. Über die Politik hätten sie bei der Planung nicht nachgedacht, so Magda Novotná. Die Begleittexte zu den Exponaten wurden von dem Historiker Tomás Okurka geschrieben. Ihr Ton ist historisch neutral, aber doch mit einer guten Portion kritischen Humors.

Dissidenten und Do-It-Yourself

Dennoch findet sich der ein oder andere Anhaltspunkt, der auf die politische Situation der sogenannten Zeit der Normalisierung nach dem Prager Frühling von 1968 hinweist. Magda Novotná:

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Dieses Eck hier ist den tschechoslowakischen Dissidenten gewidmet. Hier soll auf die Lage der Dissidenten hingewiesen werden. Gezeigt wird, wie sie sich in den Wohnungen von Freunden vor dem Regime versteckt haben. Mehr als das, was hier gezeigt wird, hatten diese Leute eigentlich auch nicht. Es ist aber auch das an sich einzig wirklich politische Eck der Ausstellung.“

Ebenso wird angesprochen, dass nicht immer alles erhältlich war. Dabei liegt die Betonung darauf, dass die Menschen sich die Dinge ganz einfach selbst angefertigt haben, wenn sie nicht im Laden oder in der tschechischen Version des Intershops, dem Tuzex, zu bekommen waren. Das betrifft vor allem die Mode dieser Zeit, aber auch ganz alltägliche Gegenstände. Magda Novotná:

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Jeder hat zum Beispiel genäht oder gestrickt. Wer damals gut und originell aussehen wollte, musste die Kleidung mehr oder weniger selbst herstellen. Heute kommt das wieder, wenn auch freiwillig. Das zeigen die ganzen Selbstmach- und Home-made-Trends. Natürlich hatte auch das Basteln einen hohen Stellenwert. Als extremes Beispiel von damals stellen wir einen komplett selbstgebauten Rasenmäher aus.“

Fotos von Iren Stehli  (Foto: Offizielle Facebook-Seite der Ausstellung)
Das Thema des mehr oder weniger üppigen Konsums in den 70er und 80er Jahren ergänzen auch Fotos der tschechisch-schweizerischen Fotografin Iren Stehli. Magda Novotná:

„Iren Stehli wollte mit ihren Bildern vor allem das Alltagsleben darstellen. Die hier ausgestellten Bilder korrespondieren gut mit dem Laden, den wir nach dem Vorbild der Fernsehserie ‚Die Frau hinter dem Ladentisch‘ aufgebaut haben. Hauptsächlich zeigen wir nämlich Stehlis Fotografien aus ihren zwei Zyklen ‚Schaufenster‘ und ‚Prager Läden‘.“

Foto: Tschechisches Fernsehen
Dass die Veranstalter politisch zurückhaltend sind, hat aber auch teils unangenehme Kommentare in den sozialen Medien mit sich gebracht. Diese sind manchmal negativ oder sogar zu positiv. Magda Novotná:

„Einige Kommentare sind sehr negativ und oft auch rüpelhaft. Aber die Rüpel melden sich ja sowieso immer am lautesten. Dort heißt es dann: Warum sollte irgendjemand die Normalisierung hochhalten und feiern? Wie ich ja bereits erwähnt habe, war aber gerade das nicht unser Ziel. Auf der anderen Seite kommen dann ältere Menschen zu uns, die wahrscheinlich in der Partei waren und denken, dass wir das Ganze nur für sie gemacht hätten. Diese politische Polarisierung spüren wir oft, aber vielleicht kommt das ja auch aus dieser Zeit.“

Wer schaut sich so etwas an?

Foto: Tschechisches Fernsehen
Die Ausstellung ist bisher insgesamt gut besucht. Viele Besucher sind um die 30 oder 40 Jahre alt. Sie schwelgen dabei ein bisschen in der Nostalgie ihrer Kindheit, meint Magda Novotná. Überraschend ist, dass vor allem aber auch junge Menschen kommen, um sich das Leben ihrer Eltern und Großeltern anzuschauen. Doch die Generation, die nach der Wende geboren wurde, hat laut Magda Novotná noch weitere Motive für den Museumsgang:

Die Ausstellung „Retro 70. a 80. let“ ist noch bis 10. Oktober im Tanzenden Haus in Prag zu sehen. Geöffnet ist sie täglich von 9 bis 20 Uhr.

„Ich habe das Gefühl, dass das ganze Retro irgendwie zurückkommt. (Jene Generation, die die Zeit nicht erlebt hat und sie gerade erst zu entdecken beginnt, hat keine nostalgische Beziehung zu den Dingen von damals. Diese jungen Leute nehmen die Sachen als fertige Produkte wahr – und haben schlicht und einfach Gefallen an ihnen.“