Politische Kultur in Tschechien: Babiš fordert Informationen über Familie von Außenminister Lipavský an
Stasimethoden, die auf das Familienleben des politischen Gegners abzielen – dieser Vorwurf wird derzeit Andrej Babiš gemacht. Der Vorsitzende von Ano, der größten Oppositionspartei im tschechischen Parlament, hat in einer privaten E-Mail anscheinend kompromittierendes Material über Außenminister Jan Lipavský (Piraten) angefordert. Wie steht es um die politische Debattenführung in Tschechien?
Es verheißt nichts Gutes über die politische Kultur in Tschechien. Andrej Babiš, Vorsitzender der Partei Ano, Ex-Premier und womöglich erneuter Anwärter für den Posten des Regierungschefs, macht gerade mit fragwürdigen Methoden und besonders abfälliger Sprache von sich reden. Der Nachrichtenserver Novinky.cz veröffentlichte Zitate aus einer geleakten E-Mail, die Babiš am Sonntag an seine Mitarbeiter verschickt hat. „Macht mir Thesen, Unterlagen zu diesem Dre***kerl“, so die Aufforderung unter Nutzung eines besonders vulgären Ausdrucks. Gemeint ist Außenminister Jan Lipavský. Es solle zusammengetragen werden, wie Lipavský „auf unsere Leute pfeift“ oder „überall hinfährt und Kampagne macht“, so Babiš. Außerdem stellt er die Frage, ob der Minister Kinder und Ehefrau habe.
Diese Nachricht war an mehrere Personen in Babišs Umfeld adressiert. Einer der Empfänger ist ein gewisser Jan Rovenský. Davon gibt es allerdings gleich zwei: Einer ist ein Berater des Parteichefs, der Zweite sitzt als Parteiloser für Ano im städtischen Umweltausschuss im nordböhmischen Litvínov / Leutensdorf. Eben dieser bekam die private Mail aus Versehen – und das nicht zum ersten Mal, wie Rovenský im Tschechischen Rundfunk sagte:
„Zuvor habe ich das nie öffentlich gemacht, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass das im allgemeinen Interesse wäre. Aber hier wird eine rote Linie überschritten, weil die Kinder und die Ehefrau von Herrn Lipavský erwähnt werden. Dies geht einfach zu weit.“
Die E-Mail wurde aufgesetzt, nachdem Lipavský in einer Diskussionssendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu Gast gewesen war. Darin äußerte der Minister, Babiš habe keine Ahnung von Außenpolitik:
„Er hat völlig verrückte Dinge in den tschechisch-polnischen Beziehungen getan. Und jetzt hat er sich von Orbán auch auf völlig verrückte Weise in der Europapolitik zu einer pazifistischen Note verleiten lassen. Ich weiß nicht, wer für Babiš die friedenspolitischen Stellungnahmen schreibt. Aber ich finde, dass er langsam zu einer Sicherheitsbedrohung für unser Land wird.“
Wie Politiker hierzulande miteinander umgehen, ist seit Längerem auch ein Thema im Abgeordnetenhaus. Denn dort kam es schon vor, dass Kollegen als „Parasiten“ beschimpft oder ihnen Schläge angedroht wurden. Der Mandats- und Immunitätsausschuss hat deswegen im Februar an alle Mitglieder ein dreiseitiges Papier mit Empfehlungen für ein gutes Verhalten verschickt. Pavel Staněk (Bürgerdemokraten) ist stellvertretender Ausschussvorsitzender:
„Ich hoffe, dass das Material eine Art Anleitung ist, wie die Abgeordneten gegenüber ihren Kollegen und deren Arbeit auftreten sollten – wie diese also nicht missbilligt oder angegriffen werden, und was man vermeiden sollte. Natürlich ist es die Gewissensentscheidung eines jeden Einzelnen, wie er mit dem Material umgeht.“
Auch Andrej Babiš ist Abgeordneter und als solcher angehalten, seinen politischen Gegnern respektvoll zu begegnen. Über den Kurznachrichtendienst X hat er sich bei Lipavský inzwischen für die Verwendung der vulgären Bezeichnung entschuldigt. Ansonsten habe er sich mit den eingeforderten Informationen nur auf die nächste Parlamentsdebatte vorbereiten wollen, so der Parteichef weiter. Und auch sein Stellvertreter Karel Havlíček verteidigt die E-Mail:
„Meiner Meinung nach hat Andrej Babiš deutlich erklärt, was dahinter steckt. Die Spekulationen, dass kompromittierendes Material zur Familie von jemandem gesucht werde, ist totaler Unsinn. Mir scheint es völlig normal, dass jemand in seiner privaten Korrespondenz gewisse Schlussfolgerungen zieht. Wir werden doch jetzt nicht so tun, als ob man sich gegenüber seinen engsten Freunden genauso verhält, wie man sich offiziell präsentiert.“
Lipavský selbst sagte dazu im Tschechischen Rundfunk:
„Ich verstehe überhaupt nicht, wie jemand auf diese Art überlegen kann. Ich finde, dass dies nicht in die politische Kultur in Tschechien gehört, und ich hoffe, dass die Gesellschaft das eindeutig ablehnt. Es ist einfach geschmacklos, und ich verstehe nicht, wie das jemand verteidigen kann.“
Piraten-Chef Ivan Bartoš steht seinem Parteikollegen mit mehreren Kommentaren auf X bei. Er kündigte zudem an, dass seine Partei den Fall in einer außerordentlichen Sitzung im Abgeordnetenhaus thematisieren wolle.