Positive Energie und Raubritter: Schlesisch-Ostrauer Burg

Schlesisch-Ostrauer Burg (Foto: Martina Schneibergová)

Ostrava / Ostrau ist in den letzten Jahren zu einem beliebten Ziel aller Bewunderer von Industriearchitektur geworden. Die Stadt kann aber viel mehr anbieten, als Sehenswürdigkeiten, die mit dem Bergbau oder der Stahlindustrie zusammenhängen. In Slezská Ostrava / Schlesisch Ostrau lässt sich eine ursprünglich gotische Burg besichtigen, die erst vor einigen Jahren wieder hergerichtet wurde.

Ostrauer „Hradschin“
Obwohl es etwas seltsam klingt, gibt es in Ostrau auch einen „Hradschin“. Unter dieser umgangssprachlichen Bezeichnung verbirgt sich jedoch keine Burg, wie in Prag, sondern das frühere Industriegebiet im Stadtteil Vítkovice mit Hochöfen, einer Kokerei und den Eisenwerken. Beim Blick aus der Ferne erinnert die monströse Industriearchitektur mit ihrer Form wirklich an den Prager Hradschin. Eine Burg gibt es in Ostrau aber auch. Von ihr ist aus der Ferne vor allem der gotische Turm zu sehen. Die Schlesisch-Ostrauer Burg steht am Zusammenfluss der Flüsse Ostravice und Lučina, nicht weit entfernt vom frisch renovierten Rathaus des Stadtteils. Durch den Haupteingang kommt man auf den Burghof, in dessen Mitte ein massives Gebäude steht, das an eine Festung erinnert. Alena Špetíková verwaltet die Burg und kennt sich in ihrer Geschichte aus:

Schlesisch-Ostrauer Burg
„Die Burg stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Sie wurde an einem Handelsweg erbaut, der aus Hlučín / Hultschin nach Tešín / Teschen führte. Im 16. Jahrhundert wurde die Burg im Renaissancestil umgebaut. Ab dem 18. Jahrhundert gehörte das ganze Burgareal der Familie Wilczek von Hultschin und Gutenland. Die Wilczeks wohnten jedoch nicht hier, sie nutzten das Areal aber als ein Verwaltungszentrum. Im 19. Jahrhundert wurde dann mit dem Bergbau in dieser Region begonnen. Damals soll die Burg infolge des Kohleabbaus angeblich um 16 Meter abgesackt sein. Während des Zweiten Weltkriegs wurde zudem ein Teil des Burggeländes durch Bomben vernichtet. Aber noch bis 1963 haben in einem Teil der früheren Burggebäude Menschen gewohnt.“

Schlesisch-Ostrauer Burg
In unmittelbarer Umgebung der Burg wurde auch noch im 20. Jahrhundert Kohle abgebaut. Aus dem prunkvollen Burgareal wurde im Laufe der Zeit eine Ruine, die vor lauter Unkraut und Gebüsch kaum mehr zu erkennen war. Die einzige erhalten gebliebene spätgotische Bastion wurde 1965 abgerissen. Es schien, dass das einstige Verwaltungszentrum von Schlesisch Ostrau nicht mehr zu retten sei. Erst Jahrzehnte später änderte sich die Lage im positiven Sinne:

„2004 beschloss der Stadtrat, die Burgruine samt Grundstück zu kaufen. Ursprünglich sollte hier nur ein Schild stehen mit der Inschrift: Hier stand früher die Schlesisch-Ostrauer Burg. Es ist aber gelungen, die Burg innerhalb von einem halben Jahr zu rekonstruieren. Am ältesten sind die Kellerräume im hiesigen Hauptgebäude, das Festung genannt wird. Dort befindet sich das Zimmer des Henkers, aber auch eine märchenhafte Ausstellung über Teufel, die für Kinder bestimmt ist. Alle Gebäude, die man sehen kann, wurden auf den ursprünglichen Burgfundamenten erbaut.“

Das Burggelände wird von einem Turm dominiert, dort ist eine Dauerausstellung über die Geschichte von Ostrau und über den Dreißigjährigen Krieg zu sehen.

„Der Turm ist dank des gut gebauten Dachs erhalten geblieben. Aber außer den Mauerfragmenten und Kellerräumen war hier kaum noch etwas zu sehen. Im kleinen Saal neben dem Eingang hängen zahlreiche Fotos, die den allmählichen Verfall der Burg dokumentieren. Anhand dieser Fotografien können sich die Besucher eine Vorstellung davon machen, wie es hier vor der Rekonstruktion ausgesehen hat. Viele Bewohner von Ostrau haben als Kinder in den Burgruinen Verstecken gespielt. Den Turm haben sie dabei sicher in Erinnerung.“

Xaver Zahozenec
Ganz oben im Turm kann man mehr über einen legendären Bewohner der Burg erfahren. Der Raubritter Namens Xaver Zahozenec – zu Deutsch etwa der Ausgesetzte – ist zur Symbolfigur der Schlesisch-Ostrauer Burg geworden. Und zwar im Rahmen eines Projektes, das das Interesse der Öffentlichkeit für historische Baudenkmäler wecken soll. Auch die Schlesisch-Ostrauer Burg hat sich im vergangenen Jahr dem Projekt „Öffnet die 13. Schlosskammer“ angeschlossen. Daran nehmen noch neun weitere tschechische Burgen und Schlösser teil. Sie alle befinden sich jedoch in Böhmen. Die Besichtigungen im Rahmen der Suche nach der „13. Schlosskammer“ unterscheiden sich von den üblichen Führungen: Die Besucher bekommen beim Betreten der Sehenswürdigkeiten zusammen mit ihrer Eintrittskarte auch eine Spielkarte. In der Burg, die sie als erste besuchen, erhalten sie zudem eine Art Reisepass. Während der Besichtigung sollen die Besucher mit Hilfe der Fremdenführer ein Lösungswort auf der Spielkarte erraten. Für jede erratene Lösung gibt es dann einen Schlüssel, das heißt in jeder der besichtigten Sehenswürdigkeiten einen. Und mit jedem neu erworbenen Schlüssel nähern sich die Besucher dem Weg in die 13. Kammer. Haben sie insgesamt sieben von zehn möglichen Schlüsseln erhalten, dürfen sie eine von ihnen selbst ausgewählte 13. Kammer in einer der zehn Sehenswürdigkeiten öffnen. Jede der Burgen oder Schlösser des Projektes wird durch eine Person symbolisiert, die manchmal ein reales Vorbild haben kann. Diese Person führt die Besucher im entsprechenden historischen Kostüm durch die Gebäude und erzählt dabei ihre eigene Geschichte. In der Schlesisch-Ostrauer Burg können die Interessenten an einer Führung mit dem Raubritter Xaver dem Ausgesetzten teilnehmen. Die Burgverwalterin:

„Wir wurden angesprochen, als das Projekt in Böhmen gestartet wurde. Unsere Burg liegt zwar von den anderen Sehenswürdigkeiten weit entfernt, aber für die Besucher spielt dies anscheinend keine Rolle. Es kommen auch viele Familien mit Kindern aus West- oder Nordböhmen zu uns, um an den Sonderführungen teilzunehmen. Die Führungen mit Xaver, der von einem Schauspieler dargestellt wird, gibt es an zwei oder drei Tagen im Monat. Die Person des Raubritters Xaver haben sich die Initiatoren des Projektes ausgedacht. Aber ich glaube, dass man sich möglicherweise bald erzählen wird, dass hier dieser Xaver gelebt hat.“

Werke des polnischen Holzschnitzers Jan Czupryniak
Den Burghof sowie das Hauptgebäude sind von zahlreichen großen Holzplastiken geschmückt. Es sind Werke des polnischen Holzschnitzers Jan Czupryniak. In der Burgkapelle befinden sich zudem eine Weihnachtskrippe von Czupryniak sowie eine Holzplastik der heiligen Hedwig, der Landespatronin Schlesiens. Gleich hinter der Hedwig-Statue ist eine Stelle auf dem Boden gekennzeichnet, die positive Energie ausstrahlen soll. Auf der Burg ist zudem eine Kuriosität ausgestellt: die längste aus einem Stück Holz geschnitzte Kette hierzulande, sie wurde in das tschechische Buch der Rekorde eingetragen.

Die Burg ist oft Schauplatz verschiedener Volksfeste. In den vergangenen Jahren fanden Konzerte des internationalen World-Musik-Festivals Colours of Ostrava auf der Burg statt. Aber auch wenn es keine Sonderveranstaltungen gibt, kann sich Alena Špetíková über einen Mangel an Besuchern nicht beklagen:

Alena Špetíková
„Unsere Burg liegt unter den historischen Sehenswürdigkeiten Tschechiens, was die Besucherzahlen betrifft, auf Rang zwölf. Darauf sind wir natürlich stolz. Im vergangenen Jahr kamen etwa 160.000 Menschen. Im Sommer finden hier die Shakespeare-Festspiele statt, die lange im Voraus ausverkauft sind. Wenn wir historische Feste oder Ostermärkte veranstalten, kommen auch bis zu 5000 Menschen innerhalb von zwei Tagen.“

Auf einer Landkarte, die am Eingang hängt, sind mit kleinen Fähnchen Länder gekennzeichnet, aus denen die bisherigen Besucher stammen. Es sind auch exotische Länder wie beispielsweise Paraguay darunter.

„Es kommen wirklich Leute von verschiedenen Kontinenten zu uns. Die Mehrheit der ausländischen Besucher kommt aus Polen, was wegen der geografischen Nähe verständlich ist, dann folgen Touristen aus Großbritannien, Japan, Deutschland und Österreich. In der Sommersaison gibt es Führungen auch in Englisch oder Deutsch, die von Studenten geleitet werden.“

Die Schlesisch-Ostrauer Burg ist das ganze Jahr hindurch geöffnet. Von Juni bis August kann man sie sogar von 9 bis 20 Uhr besichtigen.

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