In Prag erinnern „Stolpersteine“ an die Opfer der Nazis

Ein Stolperstein (Foto: ČTK)

„Stolpersteine“, diesen Namen trägt ein Projekt, mit dem europaweit an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird. Jeder Stein ist ein Würfel von 10 Zentimeter Seitenlänge und hat eine Messingplatte auf der Oberfläche. Auf dieser stehen der Name und die Lebensdaten des Opfers. Jeder Stein wird in den Bürgersteig vor dem Haus verlegt, in dem das von den Nazis ermordete Opfer zuletzt gewohnt hat. In Tschechien werden die Stolpersteine seit drei Jahren installiert. Allein in Prag sollen in diesem Jahr 81 neue hinzukommen, der erste wurde am Montag verlegt.

Ein Stolperstein  (Foto: ČTK)
Das Projekt entstand 1993 Jahren in Deutschland und hat sich bisher in zehn Länder Europas ausgebreitet. Mittlerweile mahnen fast 30.000 Steine an die Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Idee, die Stolpersteine auch in Tschechien zu realisieren, hatten jüdische Jugendliche aus Tschechien. Die ersten Steine wurden in Prag und in der mittelböhmischen Stadt Kolín im Jahr 2008 verlegt, heute findet man die strahlenden Pflastersteine in insgesamt acht Städten des Landes. Der bisher letzte wurde an diesem Montag auf der Prager Kleinseite in den Bürgerstein eingelassen, und zwar für Karel Jelínek. Mit dabei war auch Jelíneks Sohn Otto Musil:

„Mein Vater wurde im Jahr 1942, während der so genannten Heydrichiade (Zeit der brutalen Vergeltungsmaßnahmen nach dem Attentat auf Reichsprotektor Heydrich, Anm. d. Red.) ins KZ verschleppt. Wir haben von da an nichts mehr von ihm gehört. Erst im vergangenen Jahr haben wir aus der Datei der jüdischen Gemeinde erfahren, dass er in einem KZ irgendwo in Weißrussland umgekommen ist. Er war keine berühmte Persönlichkeit und bekam keine Gedenktafel. Er war ein kleiner Schneider, und dieser Pflasterstein bleibt nun eine Erinnerung, ein Andenken an ihn.“

Gunter Demnig  (Foto: ČTK)
Autor des Projekts ist der deutsche Künstler Gunter Demnig. Er verlegt die Steine immer persönlich vor Ort. Gegenüber Radio Prag war er bereit zu einem kleinen Gespräch:

Wie ist die Idee der „Stolpersteine“ entstanden?

„Das ist schon länger her. Es war eine Vorarbeit in Köln. Es war eine Erinnerungsspur an die Deportation von Tausend Roma und Sinti im Mai 1940. Die war so etwas wie eine Generalprobe der Deportationen. Als Erinnerung daran habe ich eine Schriftspur auf die Straße gedruckt. Eine ältere Dame kam dazu und sagte: ´Schön, was Sie da machen, aber hier bei uns haben noch nie Zigeuner gelebt.´ Die Frau hat wirklich nicht gewusst, dass ihre Nachbarn Zigeuner waren. Klar, die waren ja seit Jahrhunderten assimiliert in Westeuropa. Und auch die jüdische Bevölkerung. Die Idee war eigentlich, die Namen zurückzubringen, denn im KZ hatten sie nur Nummern. Sie sollten also dorthin zurückkehren, wo diese Menschen einmal ihr Zuhause hatten.“

Stolpersteine  (Foto: Stolpersteine CZ o.s.)
Die Idee ist in Köln geboren worden, in welchen Ländern gibt es inzwischen die Stolpersteine?

„Das Projekt war von vornherein für ganz Europa geplant, es beteiligen sich jetzt zehn Länder Europas daran und es wurden fast 30.000 Steine verlegt.“

Und wie ist es in Tschechien?

„Es ist sehr gut aufgenommen worden. Inzwischen geht es durch ganz Tschechien, doch die meisten Steine liegen natürlich in Prag.“

Stolpersteine  (Foto: Stolpersteine CZ o.s.)
Wie betrachten Sie die Rolle der Kunst. Meinen Sie, dass es wichtig ist, dass ein Kunstwerk mit einer Idee verbunden ist, dass das Kunstwerk an etwas erinnert, eine Idee zum Ausdruck bringt?

„Eine Idee sollte schon dahinter sein. Nicht jedes Kunstwerk muss ein Erinnerungskunstwerk sein, aber ich sehe diese Steine eigentlich als Vehikel. Man kann sie als soziale Struktur verstehen - wenn Sie jetzt hier sehen, wie viele Menschen dazu kommen, wie viele Menschen beteiligt sind. In Deutschland können öfter auch Schüler daran arbeiten, an dieser Vergangenheit, an diesen Schicksalen. Und es sind auch Zeitzeugen, die dazu kommen. Es passiert also ein Austausch, etwas, das ich im Atelier als Künstler nie erleben würde und was über diese kleinen Steine - sie sind ja nur 10 x 10 Zentimeter groß - ausgerichtet wird.“

In Tschechien wird das europaweite Projekt von der Bürgervereinigung Stolpersteine.cz organisiert. Zdeněk Kalvach ist Mitglied des Vereins:

„Die Reaktionen hierzulande sind im Allgemeinen sehr gut. Besonders bewegend sind die Reaktionen der Verwandten der Opfer. Wir haben am Anfang nicht geahnt, welch intensives Erlebnis das für sie sein wird. Die Verlegung der Steine hat sich inzwischen von einer rein technischen Sache zu einer Zeremonie verwandelt, die an eine Bestattung erinnert.“