Am Ende der Karlsbrücke steigt man ein paar Stufen hinab und befindet sich sogleich in einer echten Oase der Ruhe – auf der Moldauinsel Kampa.
Die Prager Insel Kampa bietet eine der romantischsten Szenerien der Kleinseite. Von einer Seite wird sie von der Moldau umspült, von der anderen vom Wasserkanal Čertovka. Die Insel mit der ausgedehnten Parkanlage und ihren alten Wassermühlen, auf der einst mehrere Künstler, Musiker und Schauspieler einen Teil ihres Lebens verbracht haben, hat sich bis heute einen ruhigen Charakter bewahrt. Den Čertovka-Kanal, auch Teufelsbach beziehungsweise Teufelskanal genannt, kann man mit einem Boot befahren. Kein Wunder also, dass dieser Teil der Kampa heute als Prager Venedig bezeichnet wird.
Der Fährmann Zdeněk Bergman ist überzeugt, dass man das Panorama der Hauptstadt vom Moldau-Wasserspiegel aus am besten genießen kann. Er organisiert Aussichtsfahrten in historischen Booten, mit Ausführungen in zwanzig Sprachen. 1993 nahm er die ersten Touristen an Bord:
„Ich habe mein erstes Kapital durch Jobs bei der Apfel- und Weinernte in Norditalien verdient. Dafür habe ich die ersten zwei Motoren gekauft. Seit meinen frühen Jugendjahren besaß ich ein altes Dampfboot, mit dem ich die Aussichtsfahrten auf dem Teufelsbach gestartet habe. Wir haben den Touristen bei der Flussfahrt Geschichten erzählt und den Genius loci Prags vermittelt.“
Seine Schiffe fahren zwar vor allem auf dem Teufelskanal auf der Kleinseite. Zuvor muss man aber die Moldau überqueren:
„Wir stehen nun im Hafen unter der Judit-Brücke auf dem Kreuzherrenplatz. Auch ein Museum der Karlsbrücke befindet sich hier. Es gibt da einen langen Tunnel, den wir als Wasserunterwelt der Prager Altstadt bezeichnen. Zu sehen ist ein Bogen der Judit-Brücke aus dem Jahr 1169, die Fundamente des Kreuzherrenklosters von 1252, ein Bogen der Karlsbrücke sowie ein Bogen im Raum zwischen der Judit- und der Karlsbrücke unter dem Kreuzherrenplatz.“
Von dieser Unterwelt haben auch viele Einwohner Prags keine Ahnung. Bergman machte sie zugänglich, und seine Firma Prager Venedig nutzt den Raum als Hafen. Insgesamt acht Boote ankern dort. Es handelt sich um Kopien alter Moldauschiffe aus dem 19. Jahrhundert. Inspiration dafür boten einfache Flussboote ohne Kajüte, die auf der Moldau zwischen České Budějovice / Budweis und Prag seit Mitte des 16. Jahrhunderts unterwegs waren.
Unter der Karlsbrücke zum Teufelskanal
Auf dem Boot „Vodouch“ fahren wir von der Altstadt an das gegenüberliegende Moldau-Ufer, Richtung Kleinseite und die Kampa-Insel. Man spricht zwar von einer Insel, aber seit 1915 handelt es sich eigentlich um eine Halbinsel. Der Teufelsbach ist ein 740 Meter langer Wasserkanal, den die Mönche des Malteserordens, also die Johanniter, einst ausgraben ließen. Er sollte die Antriebskraft für die Kleinseitner Mühlen liefern. Auf der Insel erstreckten sich zunächst nur Felder, Weinberge und Gärten. Zdeněk Bergman erzählt mehr über die Geschichte der Insel:
„Alle Inseln Prags sind Sandablagerungen. Der Teufelsbach trennte die Insel von der Kleinseite und diente im 12. Jahrhundert als Wassergraben rund um das Johanniterkloster. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er als Rosenberger Kanal bezeichnet. Die Bebauung des Kampa-Geländes begann nach dem Brand der Prager Burg und der Kleinseite im Jahr 1541. Die Trümmer der Häuser auf der Kleinseite, die auf der Insel aufgeschüttet wurden, dienten als Bausubstanz. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts wurden dort Häuser errichtet. Die übrigen Moldauinseln in Prag wurden hingegen erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts besiedelt.“
Der Name Čertovka, der Teufelsbach, verweist nach der Legende auf eine streitlustige Kampa-Bewohnerin, die in dem Kanal oft Wäsche wusch. Eben Wäscherinnen, Müller, Handwerker und vor allem Töpfer waren in der Vergangenheit auf der Kampa zu Hause. Es fanden dort Töpfermärkte statt, und immer noch findet sich eine Keramik-Werkstatt auf der Insel. Ursprünglich gab es dort auch neun Wassermühlen, drei davon stehen bis heute. Am besten erhalten ist die Großprior-Mühle, die bis 1936 in Betrieb war. Ihr acht Meter großes Mühlenrad dreht sich bis heute. Und die Moldau und der Teufelsbach sind bis heute bei Fischern sehr beliebt:
„Der Teufelsbach ist sogar als eine Laichstätte registriert. Die Moldau in der Umgebung der Karlsbrücke ist sehr reich an Fischen. Die Fischer, die an das Kolorit des alten Prag erinnern, haben hier gute Beute. Einige von ihnen sind über 90 Jahre alt und angeln seit mehr als 50 Jahren unter der Karlsbrücke. Für mich verkörpern die Fischer ein lebendiges Gedächtnis Prags.“
Laut Zdeněk Bergmann wurde der Teufelsbach einst auch von Wassersportlern genutzt:
„Der Teufelsbach wurde in den 1980er Jahren instandgesetzt und dabei um mehr als zwei Meter auf jeder Seite schmaler gemacht. Bis dahin, eigentlich bis 1989 war hier ein Kanusport-Team der Prager Technischen Hochschule tätig. Es gab hier genug Wasser, so dass man Tore installieren konnte. Es wurden Trainingseinheiten und wohl auch die Rennen ausgetragen. Der Tiefgang unserer Schiffe beträgt nur 38 Zentimeter. Das ermöglicht uns, auch auf kleinen Wasserkanälen wie dem Teufelsbach und in die Wasserunterwelt der Altstadt zu fahren.“
Der Kampa-Park und die Werich-Villa
Die ruhige Kampa, zum Teil bebaut, zum Teil als Park gestaltet, zog seit jeher berühmte Persönlichkeiten an. Auf der Insel wohnten unter anderem die Komponisten Josef Mysliveček und Bohuslav Martinů, die Malerin Zdenka Braunerová, der Buchillustrator Adolf Kašpar, die Jazzsängerin Eva Olmerová und die Schauspieler Eduard Kohout und Josef Vinklář.
Am Eingang zum Park steht eine Villa, die heute den Namen ihres berühmtesten Einwohners, des Schauspielers, Dramatikers und Schriftstellers Jan Werich trägt. Das Gebäude diente zunächst als Gerberei. Im 19. Jahrhundert ließ Graf Nostiz es zum Wohnsitz für den Sprachwissenschaftler und Familienlehrer Josef Dobrovský umbauen. Mehr erzählt die Touristenführerin, Ruth Peterová:
„Die Insel teilte sich damals in drei Gärten, die zu den Palästen Michna, Waldstein und Nostiz gehörten. Kampa lag am Rande Prags, und diese Villa war ein Sommersitz im Nostiz-Garten. Damit Josef Dobrovský das Haus das ganze Jahr über bewohnen konnte, musste es umgebaut werden. So entstand die neuklassizistische Villa, die heute vor uns steht. Mit dem Umbau wurde 1803 begonnen, Johann Ignaz Palliardi wirkte dabei als Hauptbaumeister.“
Die Villa gehört dem ersten Prager Stadtbezirk. Seit 2015 wird sie von der Stiftung von Jan und Meda Mládek verwaltet, ebenso wie das nahe liegende Museum Kampa. Das Haus wurde durch die Überflutungen 2002 zerstört und musste in den letzten Jahren einer umfangreichen Renovierung unterzogen werden:
„Wir stehen im Erdgeschoss der Werich-Villa. Heute ist hier ein Café. In der Vergangenheit befand sich hier eine der zwei Wohnungen, die andere lag im ersten Stockwerk. Da oben lebte Jan Werich und hier unten der Dichter Vladimír Holan.“
Im Keller des Hauses befindet sich eine kleine Ausstellung, die dem Prager Jüdischen Stadtviertel und dem legendenumwobenen Golem gewidmet ist. Sie ist eine Erinnerung an das Theaterstück „Golem“ und den Film „Des Kaisers Bäcker – Des Bäckers Kaiser“, in dem Jan Werich Hauptdarsteller war. Im Dachboden finden heute Theatervorstellungen statt. Und im ersten Stockwerk kann man die Wohnung Werichs sowie eine Ausstellung zum Befreiten Theater anschauen.
Zwischen der Werich-Villa und der Legionen-Brücke erstreckt sich ein gemütlicher Park mit weiten gepflegten Grünflächen, der in den 1940er Jahren angelegt wurde. Er sollte ursprünglich als Militärübungsplatz dienen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zum englischen Garten umgestaltet, wie wir ihn heute kennen.
Bei einem Spaziergang auf der Kampa-Insel lohnt sich eine Erfrischung in einem der zahlreichen Kaffeehäuser am Ufer des Teufelsbaches. Eines davon ist das Mühlen-Café mit dem Interieur der ursprünglichen Mühle aus dem 12. Jahrhundert, ein anderes etwa das Café Márnice, das in einem ehemaligen Leichenhaus untergebracht ist. Man kann zudem das große Gebäude der ehemaligen Sova-Mühle nicht übersehen, in dem heute das Museum Kampa für moderne Kunst mit einer einzigartigen Gemäldesammlung von František Kupka und anderen modernen Malern angesiedelt ist. Und noch eine Besonderheit befindet sich in der Nähe von Insel Kampa – auf dem Platz Velkopřevorské náměstí gegenüber der französischen Botschaft steht die sogenannte John-Lennon-Mauer. Früher schrieben Menschen hier ihre Meinungen, Gedichte und Protesttexte gegen das kommunistische Regime nieder.