Sohn russischer Dissidentin über August 1968
Gegen Okkupation der Tschechoslowakei haben im damaligen Ostblock mutige Persönlichkeiten protestiert.
Aus dem Lautsprecher erklang ein Lied von Karel Kryl. Hunderte von Menschen standen im Park auf der Prager Kampa-Insel vor dem Podium. Mehrere von ihnen hatten tschechische Fahnen dabei. Der Hauptredner ist aus Frankreich nach Prag gekommen. Es ist der Künstler Jaroslaw Gorbanewski, der Sohn der russischen Dichterin und Bürgerrechtlerin Natalja Gorbanewskaja. Seine Mutter war eine der acht mutigen Menschen, die am 25. August 1968 auf dem Roten Platz in Moskau gegen die Okkupation der Tschechoslowakei protestierten. Dafür wurden sie alle mit langen Haftstrafen und Aufenthalt in psychiatrischen Kliniken bestraft. Jaroslaw Gorbanewski entschuldigte sich zuerst auf Tschechisch dafür, dass er die Sprache nicht beherrscht, dann setzte er die Rede auf Russisch fort.
„Leider spreche ich kein Tschechisch. Ich bin nach Prag gekommen, um Ihnen zu sagen, dass nicht nur in Tschechien und der Slowakei an den Einmarsch erinnert wird. Auch in anderen Ländern gibt es Menschen, die der Ereignisse von 1968 gedenken und die sich mit Schmerz Fotos und Dokumentaraufnahmen anschauen, auf denen die Freiheit mit den Panzern niedergewalzt wurde. In Polen, in Frankreich, wo ich lebe, sowie in Russland, wo ich geboren bin, gibt es Personen, die der Opfer gedenken.“Jaroslaw Gorbanewski erzählte ein Erlebnis vom Prager Wenzelsplatz, wo eine Fotoausstellung über den August 1968 zu sehen ist.
„Einige russische Touristen kamen vorbei und sagten: ,Das ist doch Geschichte.‘ Ich habe sie verstanden. Sie waren von der schönen Hauptstadt Tschechiens begeistert und hatten keine Lust, sich mit der Geschichte zu beschäftigen, wie die Tschechen und Slowaken ein wenig Freiheit gewannen und diese Freiheit auf einmal verloren hatten. Wenn die Touristen darüber nachgedacht hätten, hätten sie einsehen müssen, dass sich eine ähnliche Entwicklung in ihrer Heimat abspielt. Die Russen haben ein wenig Freiheit erreicht, aber haben sie wieder verloren. Ich habe über den Schmerz beim Anblick der Bilder aus der Okkupation von 1968 gesprochen. Der Schmerz ist unangenehm, aber er ist notwendig, damit sich die Geschichte nicht wiederholt.“
Als ihm die Teilnehmer der Kundgebung gedankt haben, sagte Jaroslaw Gorbanewski, nicht er, sondern seine Mutter sei eine beachtenswerte Persönlichkeit gewesen. 1968, als sie auf dem Roten Platz protestierte, war er sieben Jahre alt.„Ich habe meiner Mutter immer geglaubt, sie hat mich nie angelogen. Nach dem Protest waren mehrmals KGB-Leute bei uns und haben unsere Wohnung durchsucht. Ich habe meine Mutter dann im Butyrka-Gefängnis und in der psychiatrischen Klinik in Kasan besucht. Das war sehr schwer für ein Kind. Den schrecklichen Druck der Staatsmacht bekam ich nicht abstrakt, sondern wirklich an mir selbst zu spüren. Am Beispiel meiner Mutter habe ich gelernt, dass es möglich ist, gegen diese staatliche Maschinerie zu kämpfen. Als ich erwachsen war und mehr von dem Geschehen verstanden habe, bemerkte ich, dass meine Mutter auch in einer Situation kämpfte, die aussichtslos schien. Dies ist das Wichtigste.“
Die Teilnehmer der Kundgebung begaben sich danach zum Denkmal für die Opfer des Kommunismus, das auf dem Prager Újezd am Fuße des Laurenzibergs steht. Dort zündeten sie Kerzen an für die Opfer der Okkupation. Bürgeraktivistin Rut Kolínská sagte am Denkmal, sie halte es für wichtig, über die Opfer zu informieren.„Ich war heute auch unten am Wenzelsplatz, wo ein symbolischer roter Käfig stand, darauf hing eine Liste mit den Namen der Gefallenen. Es kamen Passanten vorbei, blieben stehen und waren überrascht. Ich habe gehört, dass sie zuvor nichts über die Opferzahlen gewusst hätten. Als Zeitzeugin weiß ich, dass über die Toten zwar gesprochen wurde, aber nicht öffentlich und später schwieg man. Denn aus den Besatzern wurden bald Befreier gemacht. Ich habe die Liste gründlich durchgelesen, und was mich tief berührte, war, dass unter den Opfern auch ein zweijähriges Baby war. Und dies passierte nicht während eines Kriegs. Darüber sollte viel mehr gesprochen werden. Mir machen Sorgen die Versuche, die Tatsachen in Frage zu stellen.“