„Prager Frühling“ mit frischem Wind: Residenz für Ensemble Modern und ein Dirigentendebüt mit Dvořák
Das internationale Musikfestival „Prager Frühling“ findet vom 12. Mai bis 3. Juni statt. Vor kurzem haben die Veranstalter die Programmpunkte vorgestellt, die auf die Zukunft der tschechischen Musik ausgerichtet sind. Dazu gehört auch die dreijährige Residenz des Ensembles Modern.
Eines der Ziele des Musikfestivals „Prager Frühling“ ist es laut den Veranstaltern, jungen Musikern Konzertgelegenheiten zu bieten. Zudem werden junge Komponistinnen und Komponisten aus Tschechien beauftragt, Werke für das Festival zu schreiben. Bei der 80. Jubiläumsauflage des „Prager Frühlings“ werden zehn Kompositionen ihre Premiere erleben, neun davon entstanden im Auftrag des Festivals. Die Mehrheit davon wird im Rahmen des Projekts „Prague Offspring“ erklingen, das sich auf die Gegenwartsmusik konzentriert. Im letzten Jahr ging die dreijährige Residenz des Wiener Klangforums zu Ende. In diesem Jahr beginnt das Ensemble Modern seine Residenz beim Festival. Das Ensemble mit Sitz in Frankfurt arbeitete während seiner 45-jährigen Existenz mit vielen hervorragenden Komponisten zusammen, darunter mit György Ligeti, Steve Reich sowie Frank Zappa. Christian Fausch ist künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Ensembles Modern. Im Folgenden ein Gespräch über die bevorstehende Zusammenarbeit mit dem Festival „Prager Frühling“…
Herr Fausch, was war ausschlaggebend dafür, dass Sie das Angebot des Festivals für die dreijährige Residenz akzeptiert haben?
„Es war einfach eine wunderbare Gelegenheit. Wir waren sehr geehrt und haben uns unglaublich gefreut, dass wir diese dreijährige gemeinsame Perspektive entwickeln können. Es ist für uns eine wunderbare Chance, die tschechische Musiklandschaft und viele Komponistinnen und Komponisten in diesen drei Jahren kennenlernen zu können und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Für uns als ein Ensemble, das auf zeitgenössische Musik fokussiert ist, ist es auch immer wichtig, neue Komponistinnen und Komponisten kennenzulernen. Und wir können auch eine Beziehung mit dem Publikum hier aufbauen. All das ist möglich dank der Perspektive, in den drei Jahren immer wieder zurückzukehren. Es ist also ein sehr großes Privileg, und wir haben uns sehr gefreut.“
Hatten Sie inzwischen schon die Gelegenheit, einen der jungen Komponisten zu treffen?
„Wir haben uns ein bisschen kennengelernt. In den kommenden Wochen wird dies jedoch noch viel intensiver sein, weil wir in die ganz konkrete Vorbereitung der Konzerte gehen.“
Sie arbeiten mit dem Komponisten George Benjamin zusammen. Er ist der breiteren Öffentlichkeit hierzulande nur wenig bekannt. Wie kann diese Zusammenarbeit dazu beitragen, ihn in Tschechien bekannter zu machen?
„Ich glaube, er muss unbedingt bekannter werden. Denn ich denke, er ist einer der wichtigen Komponisten der aktuellen Zeit. Er hat eine unglaubliche Fähigkeit, neue, ambitionierte Musik für das Publikum nahbar zu machen. Seine Werke sind wahre Entdeckungsreisen. Er hat ein unglaubliches Gespür für Dramaturgie, er saugt wirklich die Hörenden ein und lässt sie am Ende des Stücks wieder raus. Vom Festival kam die Anfrage, ob wir gemeinsam mit George Benjamin kommen könnten, und da wir seit über 30 Jahren mit ihm zusammenarbeiten und darüber hinaus eine freundschaftliche Beziehung entwickelt haben, ist es natürlich herrlich, dass wir ihn und seine Musik nach Prag bringen können.“
Wie ist die Zusammenarbeit des Ensembles mit anderen Komponisten? Schreiben sie speziell für das Ensemble Modern oder suchen Sie Werke aus, die Ihnen gefallen?
„Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt ganz unterschiedliche Wege, wie man zusammenkommt. Es ist für uns als Ensemble manchmal auch ein schwieriger Auswahlprozess, weil wir nicht alle Stücke, die es auf der Welt gibt, spielen können, sondern auswählen müssen. Es ist oftmals ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren: Was für den Veranstalter interessant ist, was uns als Ensemble interessiert, welche Kombinationen vielleicht auch thematisch Sinn machen. Es ist jedes Mal eine maßgeschneiderte Auswahl von Komponistinnen und Komponisten. Natürlich ist uns auch wichtig, dass wir Beziehungen aufbauen. Mit Komponistinnen und Komponisten, bei denen wir merken, dass es gut funktioniert, wollen wir nicht nur einmal ein Stück machen, sondern in regelmäßigen Abständen zusammenarbeiten. Und wir wollen auch gerade der jüngeren Generation auf ihrem Weg helfen.“
Das könnte auch im Fall von jungen Komponistinnen und Komponisten aus Tschechien gelten, mit denen Sie zusammenarbeiten. Sie können ihnen helfen, sich im Ausland zu präsentieren…
„Das hoffen wir natürlich, dass es da Stücke gibt, die funktionieren. Aber wir sind sehr zuversichtlich, und ich bin mir sicher, dass wir hier einige Komponistinnen und Komponisten entdecken werden, die wir dann auch anderswo präsentieren werden.“
Haben Sie schon zuvor eines der Konzerte des „Prager Frühlings“ besucht?
„Ich hatte die große Freude, mir im vergangenen Jahr den Offspring-Teil anzuhören und zu erfahren, wie diese Residenz etwa aussehen könnte. Ich fand das sehr faszinierend, dass eine unglaublich schöne Stimmung zwischen dem Publikum, dem Ensemble auf der Bühne und den jungen Komponistinnen und Komponisten geherrscht hat. Es gab einen natürlichen Austausch – vor dem Konzert, nach dem Konzert und in der Pause. Das ist sehr wichtig. Ich glaube, wir sind alle an einem musikgeschichtlichen Prozess beteiligt. Ein Musikstück ist dann fertig, wenn das Publikum es hören kann. Und zugleich ist das Publikum daran beteiligt, ob ein solches Stück eine Zukunft hat, ob es vergessen geht oder ob es ein Meisterwerk wird, was auch in hundert Jahren zum absolut normalen Kanon gehört.“
Das Festival „Prager Frühling“ bietet jungen tschechischen Musikern die Möglichkeit, an Meisterkursen und Workshops teilzunehmen. Beim Konzert mit dem Titel „Salon ZUŠ“ (Salon der Kunstschulen) treten Kinder und Jugendliche auf, die ein Jahr lang unter der Leitung international anerkannter tschechischer Musiker proben durften. Nicht zuletzt bietet das Festival im Rahmen des „Festivaldebüts“ beispielsweise jungen Dirigenten eine Bühne. Die Debütkonzerte bedeuten oft einen wichtigen Wendepunkt in ihrer Karriere. Der diesjährige Debütant ist ein hochtalentierter 25-jähriger Student der Prager Musikakademie Hamu, der Dirigent Jan Sedláček. Am 28. Mai wird er beim Konzert im Smetana-Saal im Prager Gemeindehaus das Sinfonieorchester des Tschechischen Rundfunks leiten. Das Festivalkonzert halte er für eine Art Sprungbrett für jeden Dirigenten, sagte Sedláček gegenüber Radio Prag International:
„Die Teilnahme an einem so großen Festival wird stark verfolgt. Es hängt nur von mir ab, ob es mir gelingt, zu strahlen oder nicht.“
Auf dem Programm des Debütkonzerts stehen das „Divertimento“ von Leonard Bernstein, das Violinkonzert Nr. 1 in D-Dur von Sergei Prokofjew und die Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur von Antonín Dvořák. Die Kompositionen habe er in Zusammenarbeit mit Festivaldramaturg Josef Třeštík ausgesucht, erzählt der Dirigent:
„Er fragte mich, was ich gern aufführen würde. Ich habe gleich Antonín Dvořáks dritte Sinfonie genannt, die ich sehr liebe. Die Geigerin Tsukushi Sasaki, die den Wettbewerb des ,Prager Frühlings‘ für junge Musiker im vergangen Jahr gewann, entschied sich für Prokofjews Konzert.“
Zu Antonín Dvořák hat der junge Dirigent eine besonders enge Beziehung. Denn er stammt aus Nelahozeves, dem Geburtsort des Komponisten:
„Ich bin einem Orchester aufgewachsen, das ,Orchester Dvořákova kraje‘ (Orchester aus Dvořáks Region, Anm. d. Red.) heißt. Früher hatte mein Opa das Orchester geleitet, derzeit leite ich das Ensemble. Ich habe schon mit zehn Jahren mitgespielt, sodass ich Dvořáks Musik seit der Kindheit gut kenne.“
Der Großvater des jungen Dirigenten, Václav Mazáček, war jahrelang Solo-Pauker der Tschechischen Philharmonie. Er sei dabei gewesen, als 1990 Leonard Bernstein beim „Prager Frühling“ die Philharmoniker dirigiert habe, erzählt Jan Sedláček. Stimmt es, dass der Großvater einmal für Bernstein eingesprungen ist?
„Ja, schon. Bernstein dirigierte Beethovens 9. Sinfonie. Hierzulande gibt es die Tradition, dass, wenn der Staatspräsident ins Konzert kommt, die Fanfaren aus Smetanas Oper ,Libuše‘ gespielt werden. Sie heißen auch ,Präsidentenfanfaren‘. Bernstein sagte damals, dass es komisch wäre, wenn er die Fanfaren aus den Noten dirigieren würde, aber die ganze Sinfonie auswendig kann. Deshalb dirigierte schließlich mein Opa die Fanfaren anstelle von Bernstein. Nach dem Konzert kam der Orchesterwart zu meinem Großvater und brachte ihm einen kleinen rostfreien Becher mit Bourbon. Das war ein Geschenk von Bernstein als Dank für die Hilfe.“
Jan Sedláček wird bei dem Festival zum ersten Mal die Rundfunksymfoniker im Smetana-Saal leiten. Wie gewinnt er den Respekt unter den Musikern?
„Ich denke, der beste Weg ist, authentisch zu sein – man muss die Partitur bis in die Details kennen. Mit den Musikern muss man fair und nicht überheblich kommunizieren. Ich denke, es ist wichtig, die Orchestermitglieder positiv zu motivieren.“
Das Musikfestival „Prager Frühling“ findet vom 12. Mai bis 3. Juni statt. Einige der Konzerte sind ausverkauft, für einige gibt es noch Restkarten. Mehr über das Programm erfahren Sie unter https://festival.cz/en.
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