Probleme bei der Inbetriebnahme von Temelin
Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüssen Sie Martina Schneibergova und Rudi Hermann. Die Kontroverse um das tschechische Kernkraftwerk Temelin, die im Herbst das politische Klima zwischen Prag und Wien zu vergiften schien, hätte eigentlich mit dem Abkommen der Regierungschefs Zeman und Schüssel im niederösterreichischen Melk vom 12. Dezember aus der Welt geschafft sein sollen. Damals einigten sich beide Seiten auf die Durchführung der von Österreich geforderten komplexen Umweltverträglichkeitsprüfung und die Anwendung von - allerdings erst noch zu bestimmenden - europäischen Sicherheitsstandards auf die Anlage. Tschechien behielt sich allerdings das Recht vor, zur Erfüllung dieser Bedingungen den Testbetrieb nicht zu unterbrechen. Dazu ist es jetzt allerdings aus einem anderen Grund gekommen. Ein Feuer im Turbinenraum und Probleme mit dem Turbogenerator zwangen nämlich vor anderthalb Wochen die Techniker dazu, eine Pause einzulegen, die wohl länger als erwartet ausfällt. Damit ist natürlich die Diskussion um das Kerkkraftwerk wieder voll aufgeflammt. Grund genug für uns, in den folgenden Minuten auf die jüngsten Entwicklungen beim Thema Temelin einzugehen. Wir wünschen guten Empfang.
Zu kleineren Problemen ist es im Verlauf des Testbetriebs des Kernkraftwerks Temelin schon wiederholt gekommen, doch bisher handelte es sich nach Angeben der Kraftwerksleitung sowie der staatlichen Aufsichtsbehörde für Kernsicherheit immer um Probleme, die bei der Inbetriebnahme eines technologischen Grossprojekts dieser Art zwangsläufig sind. Gerade dazu sei der Testbetrieb ja da, um solche kleine Unregelmässigkeiten aufzuspüren. Deshalb kurz eine Übersicht über die Schwierigkeiten, die sich bisher ergeben hatten:
Am 21. September zeigten Tests auf, dass die Sicherheitsventile am Turbogenerator ungenügend arbeiteten, am 26. Oktober wurde ein Versagen einer Pumpe im Primärkreislauf, also dem radioaktiven Teil der Anlage, verzeichnet, am 18. November löste das Sicherheitssystem einen Fehlalarm aus, und am 16. Dezember stellte das zu empfindlich eingestellte Sicherheitssystem die Kettenreaktion ab. Am 21. Dezember wurden erstmals Probleme mit der Turbine gemeldet, am 7. Januar kam es zu einer Unregelmässigkeit ausserhalb des Primärkreislaufs, und am 10. Januar verhinderte ein defektes Voltmeter den Anschluss der Turbine an das Stromnetz. Dies gelang einen Tag später, worauf die Leistung des Kraftwerks auf 28 % erhöht wurde. Am Vormittag des 12. Januar aber brach wegen eines Öllecks bei einer Zuleitung zur Turbine ein Feuer aus. Dieses konnte nach wenigen Minuten zwar durch die Feuerwehr unter Kontrolle gebracht und gelöscht werden, und der Sprecher des Kernkraftwerks Temelin, Milan Nebesar, meinte in einer Medienerklärung, betroffen sei lediglich der Sekundärkreislauf gewesen, also nicht der radioaktive Teil des Kraftwerks. Dennoch handelte es sich laut einer Äusserung der Chefin der Kernsicherheitsbehörde, Dana Drabova, um einen bedeutenden Zwischenfall. Der Tageszeitung Mlada Fronta Dnes sagte Drabova, Feuer in einem Kernkraftwerk nehme man immer sehr ernst, auch wenn nicht der Primärkreislauf betroffen sei. Allerdings fasse man eine vollständige Unterbrechung des Testbetriebs nicht ins Auge. Die Angelegenheit müsse zwar untersucht werden, erfordere aber keine unmittelbaren Massnahmen.
Dennoch kam der Testbetrieb in den auf den Zwischenfall folgenden Tagen weitgehend zum Erliegen. Denn die Turbinentests mit knapp 30 % Leistung hatten auch Vibrationen bisher unbekannten Ursprungs am Komplex des Turbinengenerators gezeigt. Es sind diese Vibrationen, die die Techniker vor Probleme stellen. Der Direktor des Kernkraftwerks Temelin, Frantisek Hezoucky, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur CTK, die Vibrationen seien nicht darin begründet, dass die Turbine schlecht justiert sei, sondern sie würden sich bei reduzierter Leistung im Rohrsystem zeigen. Die Lieferfirma der Turbinen, das Unternehmen Skoda Energo, wies indes die Verantwortung für die Probleme zurück. Zunächst wurde darauf hingewiesen, dass man die Turbinen für die beiden Reaktorblöcke schon in den Jahren 1991 und 92 geliefert habe und die Firma keinen Einfluss darauf gehabt habe, dass es erst acht Jahre später zur Inbetriebnahme gekommen sei. Alle technischen Vorschriften und Zertifizierungsanforderungen seien bei der Konstruktion eingehalten worden. Die Garantiefristen seien zwar abgelaufen, doch würden sich die Spezialisten von Skoda Energo an der Beseitigung der Probleme beteiligen. Der Sprecher von Skoda Energo, Karel Samec, wies darauf hin, dass das Unternehmen seit 1946 auf der ganzen Welt rund 800 Turbogeneratoren installiert habe. Hingegen meinte Dalibor Strasky, Berater im Umweltministerium für Energiefragen, gegenüber der Zeitung Mlada Fronta Dnes, Probleme mit einer Turbine von Skoda habe es beispielsweise schon im thermischen Kraftwerk Melnik gegeben, wo es sich um eine 500-Megawatt-Turbine handelt. Wenn deren Inbetriebnahme schon nicht glatt abgelaufen sei, dann könnten Schwierigkeiten mit der 1000-MW-Turbine nicht erstaunen.
Im gleichen Sinn wie Strasky äusserte sich auch die Vorsitzende der Umweltorganisation Jihoceske matky, südböhmische Mütter, Dana Kuchtova. Sie sagte, man habe immer darauf hingewiesen, dass bei Temelin eher im Sekundärkreislauf Probleme zu erwarten seien, und zwar gerade bei der Turbine. Denn bei dieser handle es sich um einen Prototyp. Bisher sei man aber mit diesem Argument immer als Dummkopf bezeichnet worden.
In der Tat handelt es sich bei den Turbinen für die beiden Reaktorblöcke von Temelin um Prototypen. Die Zeitung Mlada Fronta dnes zitierte einen Maschineningenieur, der in den Achtziger Jahren die Inbetriebnahme der Turbinen beim bisher einzigen in Betrieb stehenden tschechischen Kernkraftwerk in Dukovany beteiligt war. Dieser meinte, die Entwicklung einer 1000-MW-Turbine habe man als Herausforderung betrachtet, um der Welt zu zeigen, dass man dazu in der Lage sei. Einen derartigen Koloss abzustimmen, der zudem noch mehrere Jahre bewegungslos herumgestanden sei, sei aber schwierig und zeitaufwendig. Der Sprecher von Temelin, Milan Nebesar, fügte hinzu, dass ein Problem auch darin bestehe, dass es nicht möglich gewesen sei, diesen Typ vorher in einer anderen Anlage auszuprobieren. Deshalb müssten die Probleme jetzt beim Probebetrieb erfasst und behoben werden. Nebesar zeigte sich zuversichtlich, dass die Turbine nicht demontiert werden müsse. Sollte dieser Fall dennoch eintreten, dürfte die Zwangspause länger ausfallen als die insgesamt rund drei Wochen, mit denen die Chefin der Kernaufsichtsbehörde vorläufig rechnet. Dana Drabova meinte, die Unterbrechung werde jetzt dazu genutzt, um gewisse planmässige Revisionsarbeiten vorzuziehen.
Umweltorganisationen schlugen gleich nach dem Bekanntwerden eines unvorhergesehenen Unterbruchs im Testbetrieb vor, diese Pause für die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung zu nutzen, auf die sich die Regierungschefs Tschechiens und Österreichs in ihrem Melker Abkommen geeinigt hatten. Aus österreichischen Umweltkreisen wurden zudem neue Bedenken am Sicherheitsniveau von Temelin geäussert. Die ökologische Sprecherin der österreichischen Sozialdemokraten, Ulrike Sima, bezeichnete die Sicherheitslage in Temelin als mehr als dramatisch. Die Serie von Störungen, die in den letzten Wochen verzeichnet worden seien, werfe die Frage auf, ob neben der Turbine nicht auch andere Systemelemente unzureichend funktionierten. Auf jeden Fall sollte die Turbine von einer internationalen Kommission überprüft werden. Wie weitere österreichische Umweltbewegungen forderte auch Ulrike Sima eine vorläufige Einstellung des gesamten Testbetriebs in Temelin.