Rede in Prag: MI6-Chef Moore ruft Russen zur Zusammenarbeit auf
Geheimdienstler hätten nicht weniger Arbeit – im Gegenteil, in der Welt der künstlichen Intelligenz wachse ihre Bedeutung. Das sagte der Chef des britischen Geheimdienstes MI6 bei einem Besuch in Prag.
Der Direktor des britischen MI6, Richard Moore, hat am Mittwoch eine Rede in Prag gehalten. Es war erst sein zweiter öffentlicher Auftritt seit seiner Berufung an die Spitze des Auslandsgeheimdienstes vor drei Jahren. Der Brite wählte Prag nicht zufällig als Auftrittsort aus. Es sei symbolisch, so Moore, denn so wie derzeit die Ukraine habe auch die Tschechoslowakei 1968 die russische beziehungsweise sowjetische Aggression erlebt. In Anbetracht seiner historischen Erfahrung sei es nicht überraschend, dass Tschechien eines der ersten europäischen Länder war, das der Ukraine mit Militärgütern half und sich dem ukrainischen Volk gegenüber sehr großzügig zeigte, sagte Moore.
Und beide Invasionen hätten einen Teil der russischen Gesellschaft wachgerüttelt, betonte er:
„Viele Russen sind im Stillen entsetzt darüber, dass die Streitkräfte ihres Staates ukrainische Städte zerstören, unschuldige Familien aus ihren Häusern vertreiben und Tausende von Kindern entführen. Sie sehen mit Bestürzung, wie ihre Soldaten ein verwandtes Land verwüsten. In ihren Herzen wissen sie, dass Putins Angriff auf diese slawische Nation auf einer Täuschung beruht.“
Moore fuhr fort, es böte sich die Chance „nicht auf der falschen Seite der Geschichte“ zu stehen. Er forderte die Menschen in Russland auf, sich dem Westen anzuschließen, um die russischen Machthaber zu besiegen. Zudem appellierte er an russische Diplomaten, Informationen an seinen Dienst, also den MI6, weiterzugeben. Seiner Meinung nach ist Russland nicht mehr in der Lage, den Krieg in der Ukraine zu den eigenen Gunsten zu wenden. Nach Analysen des MI6 habe die ukrainische Armee im letzten Monat mehr Gebiete befreit, als die Russen seit letztem Sommer erobert hätten, so Moore. Dieser Trend werde sich nicht umkehren. Aber es sei schwer zu sagen, wann der große Durchbruch komme, meinte er:
„Der heutige verheerende Krieg kann erst dann wirklich enden, wenn eine souveräne Ukraine in Freiheit lebt. Die ukrainischen Streitkräfte versuchen, diesen Moment mit einer Gegenoffensive herbeizuführen. Dabei stellen sie ihre erstaunliche Fähigkeit zur Entwicklung und Beherrschung neuer Technologien unter Beweis.“
Der Leiter des britischen Geheimdienstes räumte in Prag auch die Möglichkeit ein, dass sich die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland eines Tages bessern könnten. Eben diesen Punkt hob der tschechische Sicherheitsexperte Daniel Koštoval in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks hervor:
„Das Wichtige und Prinzipielle an Moores Rede ist: Er hat eine klare Botschaft gesendet, dass Russland und die russischen Bürger für uns – sei es in Großbritannien oder in Tschechien – nicht a priori Feinde sind. Für uns sind Putin und sein Regime grundsätzlich inakzeptabel. Und nach Moores Worten ist auch klar: Sollte in Russland jemand anderes regieren, dann sind wir bereit – und das ist meiner Meinung nach sehr richtig –, Russland in die Familie der seriösen und verantwortungsvollen Länder aufzunehmen.“
Der britische Spionage-Chef ging am Mittwoch auch auf den Einfluss Russlands und Chinas in anderen Ländern ein. China bezeichnete er als wichtigsten strategischen Schwerpunkt des MI6. Im Falle Russlands wies er auf die Aktivitäten der Wagner-Truppe in afrikanischen Ländern hin. Russland wolle diese Länder destabilisieren, um sie beherrschen zu können, so die Einschätzung Moores.
Der MI6-Chef machte zudem auf die Gefahren aufmerksam, die mit der Entwicklung der künstlichen Intelligenz verbunden seien, insbesondere in den Händen autoritärer Regime. Moore zufolge erhöht künstliche Intelligenz nicht nur die Verfügbarkeit von Informationen, sondern schafft auch ein Umfeld für die Verbreitung von Desinformationen. Künstliche Intelligenz werde die Welt der Spionage zwar verändern, Spione aber nicht überflüssig machen, betonte er. Der „menschliche Faktor“ bleibe auch weiterhin unverzichtbar, führte Moore aus.
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