Rejviz

In dem folgenden Programm von Radio Prag hören Sie nun eine weitere Ausgabe des Regionaljournals. Heute lädt Sie Dagmar Keberlova in eine Region ein, die wunderschön auf der einen Seite, nicht einfach zum Leben auf der anderen Seite ist. In der Vergangenheit wurde die Region um das Gebirgsmassiv Jeseniky/Altvatergebirge, das ehemalige Sudetenland, bei der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung und der anschließenden Neubesiedlung durch Menschen aus ganz Europa sehr in Mitleidenschaft gezogen. Wie heute das Leben dort aussieht, darüber wird Ihnen unter anderem der dort lebende Förster und Schriftsteller Sotiris Joanidis erzählen.

Als ich in das nordmährische Jeseniky in den Urlaub aufgebrochen bin, ahnte ich nicht, dass so viel neues da oben auf mich wartet. Ich glaubte das Gebirge ganz gut zu kennen, doch der Ostteil, ganz genau der Ort Rejviz/Reihwiesen, denn ich für einige Tage zur Unterkunft ausgewählt habe, versteckte einige Überraschungen in sich. Schon bei der ersten Wanderung durch fast verlassene Dörfer weckten meine Aufmerksamkeit seit Jahrzehnten verlassene Kirchen, Friedhöfe, auf deren Grabsteinen ich keine tschechischen Namen gefunden habe, dafür aber viele deutsche und griechische. Nachdem ich auf den sog. russischen oder Waldfriedhof tief im Ostmassiv versteckt gestoßen bin, dachte ich mir, da muss ich mehr erfahren. Als mir dann beim Abendessen der Kellner verraten hat, beim Stammtisch sitze der hiesige Schriftsteller Sotiris Joanidis, nahm ich mein Bier und setzte mich zu ihm. Seine Lebensgeschichte ist ebenso interessant wie die der Ortschaft Rejviz selbst. Er kam noch als Kind im Jahre 1949 nach Rejviz, zur jener Zeit, in der in seiner Heimat Griechenland der Bürgerkrieg wütete. Insgesamt kamen damals über 15000 Griechen in die damalige Tschechoslowakei, die vorwiegend in den kurz davor ausgesiedelten Grenzengebieten ihr neues Heim gefunden haben. Nach Rejviz kamen 30 griechische Familien, von denen die meisten aber mit der Zeit, nachdem sich die Probleme in ihrem Land gelegt hatten, wieder zurückgegangen sind. Doch Herr Joanidis blieb, warum?

"Abgesehen davon, dass ich Förster bin und diese Wälder liebe und sie meine Heimat sind, habe ich mich immer für die Geschichte dieses Landstriches interessiert. Seit Jahren sammle ich alle schriftlichen Materialien, die irgendwie mit Rejviz zusammenhängen. Dazu sammle ich Erzählungen, Geschichten und Legenden über diese Ortschaft. Dann hatte ich so viel gesammelt, dass ich es auch meinen Freunden und weiteren Menschen mitteilen wollte. Dies alles führte dazu, dass ich mich in Rejviz verliebt habe und geblieben bin, obwohl ich in den 80er Jahren wieder nach Griechenland zurückkehren konnte."

Ich kann seine Worte nur bestätigen, es ist wirklich eine wunderschöne Gegend, und je mehr man über sie weiß, desto lieber ist man dort. Eine ähnliche Aussage ist auch am Anfang des Buches einem Zitat zu entnehmen. "Wer einmal nach Rejviz kam, kommt gern öfter. Wer oft kommt, würde gern bleiben," schrieb schon vor über 100 Jahren der erste tschechische Bewohner und Archivar von Rejviz Jeronym Pavlik in seiner Chronik. Rejviz, wie aus seinem Namen in Deutsch Reihwiesen zu entnehmen ist, entstand im 15. Jahrhundert als ein Ort, der bloß eine Reihe von Wiesen war, die sich eine nach der anderen aneinander reihten. Später, als auch die Gemeinde entstand, wurde der Name des bereits existierenden Ortes übernommen. Zuerst ausschließlich eine von deutscher Bevölkerung bewohnte Ortschaft, kamen um die Jahrhundertwende die ersten Tschechen. Vor dem Zweiten Weltkrieg zählte die Ortschaft, die gleichzeitig die am höchsten gelegene in der Tschechischen Republik ist, noch an die 400 Bewohner. Heute sind es samt Kinder an die 60 Leute. Auch wenn viele Leute nachgesiedelt wurden, sind sie wieder in andere Gebiete Tschechiens gezogen, nachdem sie gesehen hatten, dass das Leben hier schwer ist. Über die Migration erzählt Sotiris Joanidis:

"Damals sind viele neue Bewohner hier angesiedelt worden, beispielsweise aus der Slowakei, aus Mähren, rumänische Slowaken, aus der Ukraine kamen Woliner Tschechen und zum Schluss dann im Jahre 1949 die Griechen. Es leben auch noch einige Deutsche, die damals hier geblieben sind. Also wir sind hier in Rejviz nach wie vor eine multikulturelle Gesellschaft, Menschen die ursprünglich aus sechs verschiedenen Völkern stammen, heute aber die gleiche Staatszugehörigkeit haben. Heute sind die Zustände bereits konsolidiert und wir fühlen uns nicht mehr wie im Grenzgebiet."

Den Einfluss der Deutschen in dieser Region schätzt Herr Joanidis sehr hoch ein:

"Aus den historischen Quellen ist zu entnehmen, dass die Anwesenheit der Deutschen hier in dieser Region ein großer Beitrag war. Sie waren sehr fleißig und deshalb gibt es hier heute noch vieles, was sie damals erbaut haben. Ich glaube persönlich, dass die Abschiebung der deutschen Bevölkerung ein historischer Fehler war, der allerdings nicht wieder gutgemacht werden kann. Sie waren meiner Meinung nach durch den zweiten Weltkrieg und die Vertreibung ausreichend bestraft. Heute spricht sich herum, dass sie gern zurückkehren und Landgüter kaufen würden. Ich fände es in Ordnung. Unter anderem werden wir der Europäischen Union bald beitreten und dann steht ihnen nichts mehr im Wege. Außerdem würden uns die Deutsche eine Liebe beitragen. Je mehr Menschen das Gebiet, das wir als Heimat empfinden, lieben und sich dort zu Hause fühlen, desto besser für uns alle, denke ich."

Eine offene Gesellschaft findet man in Rejviz. Wie sieht also Herr Joanidis die Zukunft seiner Heimat? Befürchtet man heutzutage keine Probleme, die aus dem Zusammenleben der verschiedenen Nationalitäten entstehen könnten? Ein echter Reiherwiesner, der vielleicht doch ab und zu in dem rauen Bergklima die warme Sonne des Mittelmeers vermisst, gibt die Antwort:

"Sicher wird es in der Zukunft Probleme geben, aber keine nationalen Ursprungs, sondern ganz normale menschliche Probleme. Es wird bestimmt nicht mehr ein Problem zwischen Tschechen, Griechen oder Deutschen sein, es hängt einfach nur davon ab, wie die Menschen sind."

Aber Rejviz ist, abgesehen davon, das selbst die Geschichte und das Leben der Ortschaft für mehrere Sendungen ausreichen würde, von vielen verschiedenen interessanten Plätzen umgeben, von denen ich Ihnen zumindest von einem vorstellen möchte. Es ist der bereits erwähnte russische Friedhof, der im Zweiten Weltkrieg als Häftlingslager zuerst für die russischen und später für die englischen und französischen Soldaten gedient hatte. Sotiris Joanidis wurde mit der Rekonstruktion des später entstandenen Friedhofes im Jahre 1999 beauftragt. Hierzu die Geschichte einer tatsächlichen Rarität:

"Im dem Jahre 1948, als der Waldfriedhof aus dem deutschen Häftlingslager gegründet wurde, wurden klassische Denkmäler erbaut. Aber im Jahre 1975, in der Zeit der tiefen Normalisierung, wurde der Friedhof sehr pompös ausgestattet. Das war aber auch schon alles. Dann hat sich keiner mehr um den Friedhof gekümmert. Anfang der 90er Jahre war es notwendig etwas zu machen, da der Ort sehr verkommen war. Ich habe eine Vereinfachung der Anlage entworfen und vorgeschlagen. Es wurden die russischen Sterne beseitigt und stattdessen wurden 24 Steine angebracht, mit der Anspielung auf die Symbolik der Versöhnungskreuze. Der Raum des Friedhofes wurde umgebaut, nun sieht er einfacher, aber dafür natürlicher aus."

Obwohl tief in den Wäldern gelegen, werden die Wanderer den Ort bestimmt nicht übersehen, da er gut gekennzeichnet ist. Und es lohnt sich unbedingt, diesen kurzen Abstecher - auch wenn es berg auf geht - von der vorbeigehenden Wanderroute zu machen, da es ein denkwürdiger Ort ist.

Wie vorher schon erwähnt, ist die Region um Rejviz voller Überraschungen für neugierige Wanderer, so geht man durch Dörfer, wo man verlassene, zerstörte Kirchen sieht, Dörfer die früher 150 Häuser zählten, heute aber kaum mehr als zehn Dächer beieinander haben. Ich fragte abschließend Herr Joanidis nach einer Empfehlung für Menschen, die diese Region kennen lernen wollen, was sie auf keinen Fall auslassen sollten. Sotiris Joanidis hierzu:

"Diese Region hat sehr viele interessante Orte, jedes Dorf hat eine Geschichte. Zu vielen Orten gibt es Sagen und Legenden, es gibt hier in Jeseniky 7 Naturschutzgebiete, sehr saubere Wälder - Untersuchungen zufolge vielleicht die saubersten Wälder in Mitteleuropa, Berge, es wachsen hier viele Waldfrüchte, wissen Sie es gibt so viel. Es wäre wirklich schade, wenn jemandem dieses Gebiet unbekannt bleiben sollte."

Ich kann es Ihnen liebe Hörerinnen und Hörer nur bestätigen und hinzufügen, dass der Kurort Jesenik, der ca. 10 km von Rejviz entfernt ist, für die sauberste Luft hierzulande überhaupt bekannt ist. Und hiermit verabschieden wir uns heute vom Regionaljournal, wir wünschen Ihnen noch ein schönes Wochenende. Durch die Sendung haben Sie geführt Daniel Satra und Dagmar Keberlova.