Rentenreform: Gewerkschaften, Arbeitgeber und Fachleute kritisieren Regierungspläne

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Symbolisch fünf Minuten vor zwölf Uhr startete am vergangenen Samstag eine von den Gewerkschaften organisierte Demonstrationen gegen die Reformen der bürgerlichen Regierung von Premier Petr Nečas. Zu den zentralen Kritikpunkten gehört dabei insbesondere die vorgesehene Reform der Rentensysteme.

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An der Kundgebung nahmen rund 40.000 Menschen aus ganz Tschechien teil. Der Protestzug führte vom Sitz der Gewerkschaften im Prager Stadtteil Zizkov in Richtung Wenzelsplatz. Lautstark und mit zahlreichen Transparenten zeigten die Teilnehmer ihre Unzufriedenheit mit den geplanten Veränderungen im Sozialbereich – etwa bei der Rente, im Gesundheitswesen oder auch im Arbeitsrecht beim Kündigungsschutz.

Den Gewerkschaften ist es somit seit dem Herbst vergangenen Jahres erneut gelungen, die Öffentlichkeit gegen die Regierungspläne zu mobilisieren. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes ČMKOS, Jaroslav Zavadil, glaubt, dass die Mehrheit der Tschechen auf seiner Seite steht:

„Wir wissen genau, dass ungefähr 70 Prozent der Menschen die Reformen ablehnen. Allerdings geschieht das nicht deshalb, weil wir keine Reformen wollen. Auch wir wollen sie, nur wollen wir nicht auf diese Weise, wie sich das die Regierung vorstellt. Ideal wäre es, wenn die Regierung noch einmal an den Verhandlungstisch zurückkehren, mit uns wie mit seriösen Partnern verhandeln und einen Weg suchen würde.“

Jaromír Drábek,  Jaroslav Zavadil  (Foto: ČTK)
Ganz besonders oft zielen Jaroslav Zavadil und andere Kritiker der Regierungspolitik auf die vorgesehene Reform des Rentensystems. Arbeits- und Sozialminister Jaromír Drábek plant das ganze System künftig auf drei Pfeiler zu stützen. Der erste Pfeiler, der vom Staat garantiert wird, soll auf einem durchgehenden Mechanismus basieren. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Hier kommt die Solidarität unter den Generationen zum Tragen, weil aus den Beiträgen der jüngeren, beruflich aktiven Menschen die Renten der nicht mehr Berufstätigen finanziert werden. Der zweite Pfeiler soll eine freiwillige Rentenvorsorge darstellen und bedeutet, dass man selbst entscheiden kann, ob man zusätzlich Mittel in einem privaten Rentenfonds anlegt. Erst beim dritten Pfeiler wird es jedoch politisch brisant. Hier ist nämlich geplant, dass die Generation der heute Unter-Vierzig-Jährigen verpflichtet wird, einen Teil ihrer Rentenbeiträge privaten Rentenfonds anzuvertrauen. Dafür erhalten sie dann weniger vom Staat im Rahmen des ersten Pfeilers.

Die gegenwärtige bürgerliche Regierung preist dieses Modell seit ihrem Amtsantritt als den einzig möglichen Weg, um angesichts der ungünstigen demographischen Entwicklung künftig das Rentensystem zu sichern.

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Wer jedoch glaubt, dass dieses Rentenmodell nur von den Gewerkschaften oder der linken Opposition kritisiert wird, konnte vergangenen Freitag – also unmittelbar vor der geplanten Demonstration – eine Überraschung erleben. Bei dem Treffen der Sozialpartner haben sich auch die Arbeitgeber der Gewerkschaftskritik an der geplanten neuen Rentenfinanzierung angeschlossen. Arbeitgeberchef Jan Wiesner gegenüber dem Tschechischen Rundfunk:

„Wir haben in dieser Hinsicht gleiche Gründe, weil wir den ersten Pfeiler des Rentensystems unterstützen, er soll den Rentnern ein würdevolles Leben sichern. Beim zweiten Pfeiler sind wir übereingekommen, dass er sehr riskant ist für die jungen Menschen, für die er bestimmt ist, das heißt die Dreißigjährigen. Es gibt ja jetzt schon die Möglichkeit, freiwillig sein Geld in privaten Rentenfonds anzulegen. Allerdings wird diesem System nicht sonderlich vertraut – und das ist ein Problem.“

Als Grundlage für die geplante Rentenreform gilt der Abschlussbericht einer Kommission, die in den vergangenen Jahren unter Leitung des Versicherungsfachmanns Vladimír Bezděk tagte. Das zehnköpfige Gremium war fast zur Hälfte von Experten besetzt, die eine starke Nähe zu privaten Rentenfonds haben. Das führte zu kritischen Bemerkungen. Den Rentenfonds würde auf diese Weise die Möglichkeit gegeben, für sie maßgeschneiderte Vorschläge in einem geschäftlich sehr lukrativen Bereich zu auszuarbeiten, hieß es. Zu den Kritikern gehört unter anderem auch Professor Jaroslav Vostatek von der Prager Wirtschaftshochschule, der gegenüber dem Tschechischen Rundfunk erklärte:

„Es ist leider so, dass die Rentenreform vollzogen wird, ohne dass dagegen jemand opponieren würde. Die zweite Kommission von Herrn Bezděk hat so gearbeitet, dass die Lobby der Rentenfonds dort praktisch alles aufgeschrieben hat, was nun umgesetzt werden soll. Das war natürlich in gewisser Weise auch legitim, denn schließlich haben die Lobbyisten der Rentenfonds nur ihre Arbeit getan. Die Regierung hätte dies aber nicht so einfach übernehmen dürfen, ohne das zuvor zu hinterfragen. Es hätte in erster Linie eine Debatte von Fachleuten gebraucht.“

Von Seiten der Regierung wird immer wieder argumentiert, dass auch andere Länder dieses System eingeführt haben und es dort funktioniere. Dazu Jaroslav Vostatek:

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„Das wird hier ziemlich verzerrt dargestellt. Ich habe Minister Drábek gehört, wie er im Fernsehen erklärte, dass man schon in vielen Ländern diesen Weg gegangen ist. In Wahrheit wurde eine so aufgebaute Reform der Renten nur in den acht osteuropäischen Ländern der EU verabschiedet, wobei man nur in zwei Ländern bei den Erträgen der privaten Vorsorge von einem Erfolg sprechen kann. Zu diesen Ausnahmen gehört Polen mit jährlichen Erträgen von durchschnittlich sieben Prozent in den vergangenen elf Jahren. Für die dortigen Anleger ist das natürlich eine gute Nachricht. Aber auch hier hat die Umleitung der Beiträge aus der staatlichen Rentenkasse in die privaten ein großes Loch im Staatshaushalt gerissen, so dass man auch dort gegensteuern muss. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Ergebnisse in der Mehrzahl schlecht waren, und es lässt sich also von keiner weltweiten Tendenz sprechen.“