Rockmusiker, Pfadfinder und Jesuskind: Weihnachtskrippenmuseum in Zábrdí
Papierkrippen aus vielen Ländern Europas, aber auch eine Indianer-Krippe aus Amerika sowie Krippen aus Afrika: Sie alle kann man in der größten Dauerausstellung von Papierkrippen in Tschechien bewundern. Diese befindet sich weder in einem Museum in Prag, noch in einer anderen größeren Stadt. Sie ist in einem unauffälligen südböhmischen Dorf Namens Zábrdí untergebracht.
„Hier wohne ich seit zehn Jahren. Ich habe damals 150 Krippen hierhin mitgebracht und aufgestellt. Was Sie hier überall sehen, ist seitdem entstanden. Ich arbeite jeden Tag an den Krippen – die Mehrheit aller neueren Krippenfiguren habe ich ausgeschnitten. Mit meinen Weihnachtskrippen könnte ich ein ganzes Schloss füllen. Heutzutage bekomme ich viele Krippen aus dem Ausland zugeschickt. Gerade habe ich ein Paket aus Italien mit drei wunderschönen Krippen erhalten. Zuvor habe ich von einer Freundin aus Colorado, die auch Krippen sammelt, 14 Exponate bekommen. Sie hat sie per Mail als Anlage geschickt. Vor kurzem hat mich der italienische Krippenbauer Nummer 1, Pier Luigi Bombelli, besucht und etwa 100 Krippen mitgebracht. Diese liegen noch in einer Schublade. Ich muss sie erst ausschneiden.“
Gleich am Eingang ist eine kleinere schwarz-weiße Papierkrippe zu sehen. Sie empfiehlt die Expertin genauso wie die Krippe darunter:„In der Krippe oben ist John Lennon zu sehen, Yoko Ono als Jungfrau Maria, vorne kniet Freddy Mercury. In den weiteren Figuren erkennt man zudem einen Musiker von ZZ Top, Phil Collins, Mick Jagger oder auch Ozzy Osborne. Die Krippe darunter ist etwas kurios, sie wurde 1919 als politische Karikatur herausgegeben. Auf ihr steht: Die Freiheit ist auf die Welt gekommen.“
Weiter geht es an einer verhältnismäßig modernen Pfadfinder-Krippe vorbei, die der Expertin zufolge immer wieder Aufmerksamkeit weckt unter den Besuchern. Es folgen mehrere Exponate, die einst als Werbung für verschiedene Produkte dienten:„Da ist eine Reklame-Krippe aus den 1930er Jahren. Die Hirten und weiteren Figuren bringen dem Jesuskind Zichorie und Malz. Derartige Krippen wurden in der Zeit der Ersten Republik an Kinder verschenkt. Wer den Roman ´Wir fünf und Jumbo´ von Karel Poláček kennt, kann sich wahrscheinlich daran erinnern, wie der Hauptheld Petr Bajza eine solche Krippe zu Weihnachten auspackt. Ich habe in meiner Sammlung insgesamt 17 Krippen, die als Reklame für Kaffeeprodukte der Firma Karo-Franck & Söhne dienten sowie drei Krippen, die für Seifen und Produkte der Otto-Fabrik aus Rakovník warben.“
Kein Wunder, dass manchmal ältere Menschen das Museum besuchen und Papierkrippen aus ihrer Kindheit entdecken, wie Vizinová erzählt.Zur absoluten Spitze unter den tschechischen Krippenmalern gehörten Josef Wenig, Josef Lada, Marie Fischerová-Kvěchová und Mikoláš Aleš. Im Museum in Zábrdí sind sie alle mit einigen Werken vertreten.
„Jeder Sammler in der Welt bemüht sich, wenigstens eine Krippe von einem dieser Maler zu haben. Diese Krippe von Josef Wenig wurde während des Ersten Weltkriegs im Jahre 1916 herausgegeben. Der Künstler malte damals den böhmischen König Georg von Podiebrad mit einem böhmischen Löwen auf dem Mantel. Dies war eine mutige Tat. Ich besitze den Erstdruck von 1916, der heutzutage sehr wertvoll ist.“
Die Figuren in einer der Weihnachtskrippen sehen wie waschechte Indianer aus. Die Krippe hat Svatava Vizinová von der erwähnten Freundin aus dem amerikanischen Bundesstaat Colorado bekommen, die Freundin hat Navajo-Indianer als Vorfahren.„In der Krippe findet man neben den üblichen Figuren alle möglichen Tiere und Pflanzen. Zudem sind hier die typischen Handwerke der Navajo abgebildet: Zu den Figuren gehören eine Weberin, ein Töpfer sowie eine Frau, die Körbe flechtet.“
Die große schwarz-weiße Krippe nebenan stammt aus dem Jahr 1941. Sie erschien im Magazin „Srdíčko“ und war für Kinder bestimmt. Diese sollten die Krippenfiguren ausmalen. Viel jünger ist eine weitere kleine Krippe, deren Figuren auf Zündholzschachteln abgebildet wurden. Die Entstehung dieser Krippe wurde vom Olga-Havlová-Komitee des Guten Willens initiiert. 70 Heller von jeder Schachtel seien den Hochwasseropfern von 2002 zugute gekommen, erzählt Svatava Vizinová. Für sie ist es schwierig zu entscheiden, welche der Exponate sie am meisten schätzt.
„Diese Krippe ist ein Geschenk von einem großen Krippenexperten Alexis Xenakis aus Süddakota, der hier zu Besuch war. Drei Tage lang hat er hier fotografiert, gefilmt und meine Erläuterungen aufgezeichnet. Da ist wiederum eine griechische Krippe - sie ist eine Rarität, weil die griechische orthodoxe Kirche kaum Krippen kennt. Und das da ist die älteste Originalkrippe, die ich hier ausstelle, sie stammt aus dem Jahr 1820. Ich habe sie von dem Sammler Bombelli bekommen, er hat das Originalblatt auf eine Furnierplatte geklebt und die Figuren dann für mich ausgeschnitzt.“Die Sammlerin schätzt zudem besonders die Krippen des tschechischen Malers und Krippenbauers Pavel Látal. Fünf von ihm befinden sich in ihrer Sammlung:
„Látal starb vor etwa einem Jahr im Alter von 85 Jahren. Er war halbgelähmt nach einem Hirnschlag, es wurde ihm zudem ein Bein amputiert. Trotz seiner Behinderung malte Látal rund 120 Krippen mit insgesamt 23.500 Figuren. Er war wahrscheinlich ein noch größerer Fanatiker als ich. Nie hat er eine seiner Krippen verkauft, nur verschenkt hat er sie. Látal stammte aus dem Adlergebirge – aus Ústí nad Orlicí / Wildenschwert, das eines der Zentren des Krippenbaus bei uns ist. Ich habe eine seiner Krippen nach Amerika geschickt. Meine Freundin sagte, die Krippe würde bei einer Auktion rund 2500 US-Dollar kosten. Denn die Amerikaner wissen eine Originalkrippe aus Böhmen zu schätzen, insbesondere, wenn sie von einem Mann gemalt wurde, der aus einem der Zentren des Krippenbaus stammt.“ Mit Stolz macht die Künstlerin zudem auf eine Krippe aufmerksam, die sie vor ein paar Jahren in schlechtem Zustand erhalten hatte.„Damals kam ein älterer Herr zu mir zu Besuch und brachte eine Schachtel mit. Darin waren ein paar zusammengeklebte und verstaubte Papierrollen. Er fragte mich, ob ich das haben möchte, es sei eine Weihnachtskrippe. Ich habe gesagt, falls es eine Krippe sei, dann wolle ich sie behalten. Er reiste ab, und ich habe überlegt, was ich damit machen kann. Dann ließ ich je zwei Papierrollen aufdämpfen, und es gelang mir, sie voneinander zu trennen. Ich habe das Papier danach gebürstet und gebügelt. Die Figuren habe ich mit Karton unterklebt und die Krippe aufgestellt. Drei Tage lang habe ich daran gebastelt, aber bis auf zwei Schafe ist es mir gelungen, die Krippe zu retten. Ich freue mich sehr darüber. Es ist eine 160 Jahre alte böhmische Krippe, also der älteste Originaldruck, den ich hier habe.“
Viel jünger ist eine Krippe vom tschechischen Maler und Illustrator Cyril Bouda aus dem Jahr 1969. Interessant ist, dass der heilige Josef das Gesicht des kommunistischen Parteichefs Alexander Dubček hat und der blau gekleidete König dem Schauspieler Pavel Landovský sehr ähnlich ist. Krippen, in denen sich politische Ereignisse widerspiegelten, habe es aber auch schon kurz nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahre 1918 gegeben, sagt Svatava Vizinová:„Diese Krippe gehörte dem Schriftsteller František Nepil. Es ist eine höchst nationalistische Krippe, über der geschrieben steht: Die Republik ist geboren. Präsident Masaryk steht dort als Josef. Die Maria erinnert eher an die französische Symbolfigur Marianne. Der neuen Republik gratulieren ein französischer Legionär, ein amerikanischer Cowboy sowie ein Serbe.“
Es ist unmöglich alle der 500 Papierkrippen zu beschreiben. Svatava Vizinová ist jedoch zu jeder Zeit bereit, interessierte Besucher durch ihr Museum zu führen. Und an weiteren Exponaten ist sie auch interessiert:„Wer eine Weihnachtskrippe hat, die er nicht mehr aufstellen will, kann sie mir zuschicken. Es ist egal, ob die Figuren beschädigt sind, ich werde sie reparieren. Es gibt keine schönere Arbeit, als ein altes Kunststück wieder in Stand zu setzen.“
Das Papierkrippenmuseum in Zábrdí ist täglich geöffnet, und Eintritt ist frei. Bei Gruppenbesuchen ist es besser, sich vorher telefonisch anzumelden – an die E-Mail [email protected]. Mehr über das Krippenmuseum erfahren Sie unter www.papirove-betlemy.cz.
Fotos: Martina Schneibergová