Rückblick: Prager Buchmesse 2010

Foto: Anne-Claire Veluire
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Mit einer Rekord-Besucherzahl ging vor genau zwei Wochen in Prag die größte Buchmesse Tschechiens zu Ende. Bei der „Welt des Buches“, wie die Schau heißt, sich einen genauen Überblick zu verschaffen war in dem Meer der Bücher aus aller Herren Länder kaum möglich. Ein oder mehrere Bücher nach eigenem Geschmack zu finden, war natürlich kein Prolem. Die Qual der Wahl hatten eher diejenigen, die Buchautoren bei den am Fließband veranstalteten Treffen und Lesungen miterleben wollten.

Insgesamt 40.000 Buchfans pilgerten an vier Tagen in den Industriepalast auf dem Prager Messegelände. Dass die „Welt des Buches“ solch einen Besucherzulauf verzeichnen konnte, ist unter anderem auch auf die hervorragende Präsentation des diesjährigen Gastlandes Polen zurückzuführen. Das Hauptmotto der Buchmesse in diesem Jahr lautete: „Haben wir Polen durchgelesen?“

Welt des Buches  (Foto: Anne-Claire Veluire)
16 polnische Autoren waren nach Prag gekommen, einige von ihnen haben sich nicht nur in Polen einen Namen gemacht. Allen voran muss man die 87-jährige Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska nennen. Gekommen war auch der „König“ der polnischen Phantasy-Literatur, Andrzej Sapkowski. Auf sein Autogramm warteten viele Tschechen geduldig in einer langen Schlange. Ähnliches galt zum Beispiel auch für die Schriftstellerin Olga Tokarzuk. Aber auch junge Autoren und Autorinnen haben in Prag die Dynamik der modernen polnischen Literatur repräsentiert.

Wisława Szymborska  (Foto: Mariusz Kubik,  www.wikimedia.org
Zur Eröffnung der Buchmesse kam der polnische Kulturmnister Bogdan Zdrojewski. Auf die Frage von Radio Prag, ob er ein Lieblingsbuch in der tschechischen Literatur habe, kam von ihm eine spontane Antwort:

„Viele, muss ich sagen. Viel und oft– momentan vielleicht etwas weniger wegen meiner Dienstpflichten - kehre ich zu Kafka oder Hašek zurück. Ich bin auch in die Verfilmungen von Büchern Bohumil Hrabals verliebt. Sehr oft greife ich zudem zur tschechischen Poesie, die in Polen etwas weniger bekannt ist. Ich sehe aber Bücher nicht nur als Werke tschechischer Autoren, sondern auch als Werke tschechischer Herausgeber. Man darf nicht vergessen, dass die Tschechen auf eine ebenso phantastische wie alte Tradition des Verlagswesens zurückblicken können - im Bereich der Kunst und Literatur. Auch für diese hege ich viel Leidenschaft.“

Bogdan Zdrojewski  (Foto: Matěj Baťha,  www.wikimedia.org)
Es gehört sich wohl, einen polnischen Kulturminister bei seinem Besuch in Prag auch nach den kulturellen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu fragen. Wir haben es gemacht. Bogdan Zdrojewski:

„Nachdem unsere Länder gemeinsam der EU, vorher auch der Nato beigetreten sind, haben sie sich meiner Meinung nach beim Öffnen der Türen nach Europa von einander etwas entfernt. Sowohl Warschau als auch Prag haben gerne mehr nach Berlin, Paris, London oder New York und Washington geschaut als zueinander. Man kann sogar sagen, dass es zwischen uns auch eine gewisse Rivalität gab, wer von uns schneller und besser ist. Diese Zeit ist jetzt vorbei. Wir betrachten uns wieder wie nahe Nachbarn, die durch viele Sympathien verbunden sind, und kehren zu unserer Freundschaft zurück. Seit einigen Jahren beochbachte ich eine Vertiefung unserer Beziehungen. Das ist ein Signal dafür, dass wir im heutigen offenen Europa gute Partner sind, die nicht nur die Gemeinsamkeiten für eine gegenseitige Verständigung wieder finden, sondern auch neue Freundschaften aufbauen, die auf durchaus neuen Prinzipien beim Funktionieren Europas basieren.“

Außer den polnischen Autoren stellten sich in Prag in vielen Lesungen auch Schriftsteller und Dichter aus anderen Ländern vor. Unter ihnen Simon Mawer aus Großbritannien. Vor kurzem stand sein Name auf der so genannten Shortlist zum bedeutendsten britischen Literaturpreis, „Man Book Prize“. Für diesen wurde Mawer wegen seines neuesten Romans „The Glass Room“ nominiert. Die Handlung spielt in der Zwischenkriegszeit im südmährischen Brno/Brünn.

Beim Schreiben des Buches hat auch das Ambiente für die Handlung eine große Rolle gespielt. Inspirationen holte sich der Autor bei seinen wiederholten Besuchen in Brünn. Konkret in der Villa Tugendhat, die das Unternehmer-Ehepaar Fritz und Grete Tugendhat 1929/30 nach Plänen des Architekten Mies van der Rohe bauen ließ. In Mawers Roman wird die Villa Tugendhat nicht beim Namen genannt, trotzdem besteht kein Zweifel daran, dass sie die Kulisse der Handlung bildet. DerAutor selbst sagte dazu im Tschechischen Rundfunk:

„Ich denke, im Buch spielt das Haus eher eine metaphorische Rolle. Dass es eigentlich zum Schauplatz meiner Erzählung wurde, wurde mir erst nach der Herausgabe meines Romans bewusst. Die Geschichte der Romanfamilie musste ich mir ausdenken, ich habe mich aber auch für die reale Familie interessiert, die dieses Haus erbauen ließ.“

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs musste die Familie des jüdischen Brünner Industriellen Fritz Tugendhat und seiner Frau Grete aus der Tschechoslowakei fliehen. Ein ähnliches Schicksal teilt in Mawers Roman „The Glass Room“ auch das Ehepaar Viktor Landauer und seine Frau Liesl, ein Jude und eine Nichtjüdin. Der Zweite Weltkrieg naht, sie müssen ihr an einem Hang gelegenes wunderbares Haus aus Stahl, Glas und Onyxmarmor verlassen, begleitet von Viktors Geliebten und ihrem Kind.

Villa Tugendhat
Der wichtigste seiner Besuche in der Brünner Villa sei der erste gewesen, so Mawer. Und was hat im dreigeschossigen Haus den größten Eindruck auf ihn gemacht?

„Die Gestaltung der Eingangsetage. Das Erdgeschoss, wo die Schlafzimmer liegen, ist eigentlich der oberste Raum im Haus. Von dort geht man hinunter ins Wohnzimmer, das von draußen überhaupt nicht zu sehen ist. Dort öffnet sich einem ein hehrrlicher Ausblick nicht nur auf den Garten, sondern auch auf die ganze Stadt. Wenn man durch dieses Zimmer weiter geht, wird man davon überwältigt, wie der Raum bis in das Souterrain gestaltet ist. Vom Souterrain aus liegt die Straße über Kopfhöhe und man steht vor den Glasfenstern, hinter denen das ganze Stadtpanorama mit der Burg Spielberg zu sehen ist. Das Ganze ist ein atemberaubender Anblick.“

Interessant ist es aber auch zu hören, wie der Brite den – wie er sagt – „mitteleuropäischen Raum“ für sich entdeckt hat:

„In einem Großteil meines Lebens, vor allem aber während meines Erwachsenwerdens, hat man im Westen Mitteleuropa ignoriert. Wegen der Teilung Europas in zwei Blöcke habe ich in der Schule kaum etwas über diese Region gelernt. Österreich-Ungarn zum Beispiel war in unseren Geschichstbüchern überhaupt nicht zu finden. 1994 besuchte ich zum ersten Mal Österreich und begann zu entdecken, dass es einst ein bedeutendes Staatsgebilde war. Das wurde noch verstärkt, als ich meinen Roman über Gregor Mendel und seine Entdeckung der Genetik schrieb. Und Mendel stammte bekanntlich aus Mähren, das seinerzeit zur Habsburger Monarchie gehörte.“

„Gregor Mendel: Planting the Seeds of Genetics” heißt der Roman, in deutscher Übersetzung „Mendels Zwerg“, herausgegeben 2006.