"Saravals Vermächtnis"- Austellung hebräischer Handschriften in der Nationalbibliothek

Mittelalterliche hebräische Handschriften, die einen unersetzlichen historischen Wert haben, kann man in diesen Tagen in einer Ausstellung bewundern, die von der Nationalbibliothek der Tschechischen Republik veranstaltet wird. In das Prager Klementinum laden Sie Martina Schneibergova und Thomas Kirschner im folgenden Spaziergang durch Prag ein.

"Saravals Vermächtnis" heißt die Ausstellung, die am vergangenen Montag in der Spiegelkapelle des Prager Klementinums eröffnet wurde. In der Ausstellung wird ein Teil der Sammlung von Leon Vita Saraval gezeigt. Zu sehen sind 34 hebräische Handschriften und fünf Erstdrucke, die im Verlauf von sieben Jahrhunderten entstanden sind. Miroslava Hejnova leitet in der Nationalbibliothek die Abteilung für Handschriften und alte Drucke. Über Saravals Sammlung sagte sie:

"Leon Vita Saraval war ein Handelsmann in Triest und er war ein passionierter Sammler alter Bücher. Er lebte von 1771 bis 1851. Sein ganzes Leben lang sammelte er alte Bücher, und sein Sohn stellte sogar einen Katalog dieser Bücher zusammen, als der Vater noch am Leben war. Nach Saravals Tod wurde die Sammlung verkauft. 1854 gelangte sie an das Jüdische theologische Seminar in Breslau die Sammlung. Dort wurde die Sammlung bis zum Zweiten Weltkrieg aufbewahrt. Das Seminar wurde von den Nazis aufgelöst und die Sammlung in der ganzen Welt verstreut. Ein Teil der Sammlung wurde nach Warschau gebracht, andere Teile nach Jerusalem, New York und nach Moskau. Einiges blieb in privaten Händen, und ein Teil der Sammlung ist verloren gegangen. Es kann sein, dass im Laufe der Jahre noch etwas davon auftauchen wird."

Das erwähnte Jüdische theologische Seminar in Breslau besaß 1938 an die 400 Handschriften und 30.000 Bände. Einen bedeutenden Teil des Bücherfonds stellte Sarvals Sammlung dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden mehr als 100 Handschriften in Klodzko/Glatz gefunden, 33 Handschriften wurden in einem Transport entdeckt, der auf einem Bahnhof unweit der böhmischen Stadt Turnov stehen geblieben war. Diese Handschriften, die ungefähr ein Drittel der ursprünglichen Handschriftensammlung darstellen, werden heute vom Jüdischen historischen Institut in Warschau verwaltet. Die Experten waren der Meinung, dass die Nazis den wertvollsten Kern der Sammlung damals nach Prag bringen wollten. Miroslava Hejnova dazu:

"Einer der Transporte kam am Ende des Kriegs in Prag an. Die Handschriften wurden in der damaligen Landes- und Universitätsbibliothek gelagert und dort blieben sie Jahre lang bis heute. Mitte der achtziger Jahre wurden die Handschriften tschechischen Hebraisten gezeigt. Sie stellten fest, um was für eine wertvolle Sammlung es sich handelt. Anfang der neunziger Jahre, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wurde auch ausländischen Forschern ermöglicht, sich mit der Sammlung bekannt zu machen. Damals kamen Experten aus Jerusalem nach Prag, die einen Katalog der Sammlung zusammenstellten. Voriges Jahr wurde die Sammlung digitalisiert."

Im Mittelalter lebten die Juden an der ganzen Mittelmeerküste, im Nahen Osten und in Mittel- und Westeuropa. Sephardische Juden lebten ursprünglich in Spanien und in den unter dem Einfluss des Islam stehenden Regionen. Die Ashkenazy-Juden lebten in christlichen Ländern nördlich der Alpen - in Nordfrankreich, Deutschland, in den böhmischen Ländern, später in Polen. Eine selbständige Gruppe stellte die italienische jüdische Bevölkerung dar.

In jeder der Regionen entwickelten die Juden neben dem lokalen Ritus und den lokalen Bräuchen auch eine eigene Art der hebräischen Schrift. Aus diesem Grund wird vor allem zwischen der sephardischen, der Ashkenazy- und der italienischen hebräischen Schrift unterschieden. Die einzelnen Schreibertraditionen passten sich in verschiedenem Maße auch der in der Region verbreiteten Schrift an - d. h. der arabischen oder der lateinischen Schrift - und auch den Formen der künstlerischen Ausschmückung.

Infolge von Vertreibungen und politischen Änderungen wurden die verschiedenen hebräischen Schriften oft dank der Schreiber weit vom Ort ihrer Entstehung verbreitet. Nicht selten findet man sephardische oder Ashkenazy-Hanschriften, die in Italien entstanden, bzw. dort vollendet wurden. Wenn also von einer sephardischen Handschrift die Rede ist, wird damit oft eher die Art der Schrift als das geographische Gebiet Spaniens gemeint.

Die Handschriften entstanden meistens in Händen professioneller Schreiber. Einige davon waren berühmt - wie z. B. Abraham Farissol, der aus der Provence nach Italien flüchtete, oder Joel ben Shim´on, der in Deutschland und in Norditalien tätig war. Interessant waren auch die weniger bekannten Schreiber, wie z. B. der Schreiber des Pentateuch, dessen Familie dem Namen nach aus Cheb/Eger stammte. Seine Handschrift wurde jedoch von einem unbekannten italienischen Schreiber beendet.

Unter den Schreibern findet man auch, wenngleich nur ausnahmsweise, Frauen und Kinder. Paula, Tochter von Abraham, wirkte als Schreiberin am Ende des 13. Jahrhunderts in Rom. Sie stammte aus einer Schreiber- und Gelehrtenfamilie, zu ihren Vorfahren gehörte auch der berühmte Rabbiner Natan ben Jechiel. Ähnliche beachtenswerte Details erfährt man aus den so genannten Kolophonen - den Schlussformeln mittelalterlicher Handschriften. Nicht alle Handschriften enthielten aber diese Kurzbemerkungen.

Im Kolophon war üblicherweise der Name des Schreibers, des Werkes und das Datum bzw. der Ort notiert, in dem die Handschrift zu Ende geschrieben wurde. Auch der Name des Auftraggebers wurde notiert oder die Tatsache, ob der Schreiber die Handschrift für seinen eigenen Bedarf abschrieb. Zum Schluss trug der Schreiber eine Segnung für den Auftraggeber sowie für sich selbst ein. Bemerkungen persönlichen Charakters kommen selten vor, um so interessanter sind sie.

Aus inhaltlicher Sicht betreffen die Handschriften ein breites Spektrum von Themen - von der Bibel und biblischen Kommentaren, Gebetsbüchern, dem Talmud und der Rabbinerliteratur bis zu mystischen kabbalistischen Texten, Abhandlungen über Philosophie, Grammatik, Astronomie, Medizin, Mathematik und Poesie. Der Inhalt war auch für die benutzte Art der Schrift ausschlaggebend. So wurde für die Bibel, den Talmud, für Gebetsbücher und offizielle Dokumente die Quadratschrift benutzt. Für die Mehrheit der anderen Texte - für Kommentare und verschiedene Abhandlungen wurde die halbkursive und für persönliche Bemerkungen und Briefe die rein kursive Schrift benutzt.

Die Heiligkeit oder Wichtigkeit des Textes sowie die Wünsche des Auftraggebers beeinflussten - neben der Qualität des Materials, worauf geschrieben wurde - auch die Ausschmückung der Handschrift. Eine bedeutende Rolle in der Illumination der Bücher spielten die lokalen künstlerischen Traditionen. So fehlte z. B. in Handschriften, die in den unter dem Einfluss des Islam stehenden Ländern entstanden sind, Figuralmalerei.

Eine der Besonderheiten der hebräischen Schreibertraditionen war in allen erwähnten Regionen die Mikroschrift - eine Miniaturschrift, die für Verzierungen in der Handschrift benutzt wurde. Sie kommt am Rand der Seite vor und enthält den Text eines Kommentars oder eine Bemerkung des Schreibers und bildet daraus eine geometrische Verzierung, bzw. ein Ornament in Form eines Tieres, einer Pflanze oder eine antropomorphe Verzierung.

Am Anfang des 14. Jahrhunderts gab es in Europa schätzungsweise etwa 200 000 bis 300 000 hebräische Handschriften. Bis heute sind fast 5.000 erhalten geblieben - vor allem dank den Bemühungen der Sammler wie Leon Vita Saraval.

Schöpfer der Ausstellung sind Olga Sixtova und Jerzy Stankiewicz. Die Exponate stammen aus dem 13. bis 19. Jahrhundert, sagte Sixtova und fuhr fort:

"Sie stammen aus allen Regionen der Jüdischen Diaspora - von Portugal über Spanien, Italien, Deutschland, Polen, Algerien bis zur Türkei. Es gibt hier einige herrliche Beispiele von illuminierten jüdischen Handschriften aus Italien, Spanien sowie aus dem deutsch-polnischen Gebiet."

Neben den Handschriften sind auch fünf Erstdrucke - also Inkunabeln ausgestellt. Olga Sixtova dazu:

"Die Inkunabeln sind durch Folgendes interessant: Es gibt da zwei in Rom gedruckte Inkunabeln, die für die ältesten bekannten hebräischen Inkunabeln gehalten werden. Man kann da auch zwei Bände von Inkunabeln besichtigen, die kurz vor der Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel in Lissabon gedruckt wurden. Auf der Iberischen Halbinsel wurde hebräischer Buchdruck dann nicht mehr fortgesetzt."

Laut einer zwischen der tschechischen und polnischen Regierung geschlossenen Vereinbarung wird der bisher in Prag aufbewahrte Teil von Saravals Sammlung nach Polen zurückgegeben, sodass diese Ausstellung praktisch eine einzigartige Möglichkeit bietet, die wertvollen Handschriften und Inkunabeln nochmals in Tschechien zu sehen.

Die Sammlung wurde jedoch im vergangenen Jahr digitalisiert und ist ständiger Bestandteil des großen Digitalisierungsprojektes mit dem Titel "Memoriae Mundi Series Bohemica" geworden, das kurz als "Memoria" bezeichnet wird. (www.manuscriptorium.com&www.memoria.cz). Die Ausstellung ist im Prager Klementinum nur bis zum 14. November geöffnet.