Schlachtfeld Sprache - der Sprachenkonflikt zwischen Tschechen und Deutschen im 19. Jahrhundert

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Medien informieren nicht nur über das aktuelle Geschehen, sondern sind auch ein Seismograph für die Stimmungen in der Gesellschaft. Das macht sie gerade für die Geschichtswissenschaft immer wieder zu einem spannenden Forschungsobjekt. Wie sich die Spannungen zwischen Tschechen und Deutschen gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Zeitungen widerspiegelt, darüber informiert Christian Rühmkorf.

Eine ausgelesene Zeitung landet am Ende eines Tages in der Regel auf direktem Wege im Altpapier. Sie hat ihren Dienst getan und ihren Wert für uns verloren. Denn schon am nächsten Morgen liegt eine neue Ausgabe vor der Tür. Adela Syrovatkova, wissenschaftliche Assistentin am Germanistik-Lehrstuhl der Technischen Universität Liberec, sieht das ganz anders. Die Zeitungen, die sie täglich zur Hand nimmt und genau studiert, sind mehr als hundert Jahre alt. Welche Studierbrille sie bei der Zeitungslektüre aufsetzt, erklärt sie selbst:

"Mein Hauptforschungsgebiet ist die historische Soziolinguistik. Es geht dabei um eine komparative Arbeit und zwar deutsch und tschechisch. Es handelt sich um einen Teilbereich der Linguistik, der sich mit den Sprachgruppen beschäftigt, mit dem Verhältnis zwischen der Sprache und den sozialen Gruppen. Historische Soziolinguistik bezieht sich dann nicht auf die Gegenwart, sondern die Geschichte. Mein Gebiet ist dann im auslaufenden 19. Jahrhundert."

Damit sie nicht in der Flut von Zeitungen ertrinkt hat sich Adela Syrovatkova auf zwei Tageszeitungen konzentriert, die sie vergleichend untersucht: die Reichenberger Zeitung als deutsches Blatt und die Narodni listy / Die Nationalzeitung als tschechisches Organ. Doch warum gerade das ausgehende 19. Jahrhundert?

Zweisprachige Bekanntmachung aus dem Jahre 1867
"Es ging um die Sprachenregelung zwischen der tschechischen und der deutschen Sprache in der Habsburger Monarchie. Nach der großen Nationalgeburt der Tschechen gab es dann große Bemühungen die Sprachen gleichzustellen. Es gab viele Versuche in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und dieser Versuch, die so genannten Badenischen Sprachenverordnungen, war dann recht dramatisch, weil danach alle Beamten fähig sein sollten in beiden Sprachen zu verhandeln."

Das hatte eine riesige Welle von Widerstand hervorgerufen. Und die Vorgeschichte? Nach der Niederlage Österreichs im Krieg gegen Preußen 1866, sah sich der Vielvölkerstaat in Bedrängnis. Er musste seine Nationalitätenfrage lösen. So war bereits ein Jahr später Ungarn wieder zum Königreich ernannt worden. Die tschechische Nationalbewegung aber war enttäuscht. Ihre Loyalität zu Österreich im Krieg war nicht mit ihrer Gleichstellung zu der deutschen und der ungarischen Bevölkerungsgruppe belohnt worden. Die Tschechen hatten den Kürzeren gezogen. Und das trotz einer recht eigenständigen kulturellen und nationalen Identität. Dieser Stachel saß tief.

"Die Tschechen hatten im 19. Jahrhundert eine nationale Kultur entwickelt, ein wenig künstlich, ein wenig der deutschen nachgeahmt und mit französischen Zutaten gewürzt, aber doch schätzenswert."

So Golo Mann in seiner Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Der tschechischen Kultur sollte der tschechische Staat folgen, eine Wiedererrichtung des alten Königreichs Böhmen, so wie es bis ins 17. Jahrhundert existiert hatte. Im Rahmen der Monarchie zwar, aber so, dass die Tschechen das "Staatsvolk" und die Deutschen eine geduldete Minderheit wären.

Reichsrat in Wien
Ein entscheidender Schritt in diese Richtung sollte mit der Sprachenverordnung gelingen, die der gebürtige Pole und österreichische Ministerpräsident Graf Badeni 1897 einführte. Damit wurde die doppelsprachige Amtsführung in Böhmen und Mähren festgeschrieben. Amtliche Eingaben sollten also von nun an in der jeweils eigenen Sprache eingebracht und behandelt werden. Alle Beamten sollten innerhalb von drei Jahren beide Sprachen perfekt beherrschen und eine Sprachprüfung absolvieren. In den 77 deutschen von insgesamt 216 Gerichtsbezirken erhob sich ein Proteststurm. Denn die deutschen Beamten konnten nur selten Tschechisch. Sie hätten also durch zwei Sprachen beherrschende tschechische Beamte ersetzt werden müssen. Auch in den rein deutschsprachigen Gebieten. Die österreichischen Deutschen aus allen politischen Lagern reagierten mit Empörung. Demonstrationen, Ausschreitungen, Obstruktionen von Parlamentssitzungen waren an der Tagesordnung.

Wie reagierte nun die Pressewelt auf die politischen Vorkommnisse? Mit welchem sprachlichen Duktus behandelte sie das Sprachenproblem? Adela Syrovatkova:

Graf Badeni
"Ein typisches Beispiel für beide Lager wäre der Diskreditierungstopos. Das hängt dann auch mit der Selbstdarstellung und der Fremddarstellung eng zusammen. Es liegt auf der Hand, wie sich die beiden Lager bloßgestellt haben, wie sie den Gegner angegriffen und auch beschimpft haben. Die Sprache war sehr offen. Die Ausdrucksweise war viel expressiver als wir es heute gewohnt sind."

Nur wenige Tage bevor die Sprachenverordnung tatsächlich in Kraft trat hieß es in der tschechischen Zeitung "Narodni listy": "Die Herren in Wien mögen sich dessen bewusst sein, dass das tschechische Volk bescheiden eine lautere Gleichberechtigung in den eigenen Ländern mit deutscher Minderheit fordert. Wird es auch diesmal mit seinem gerechtesten Verlangen grimmig abgelehnt, so wird es anfangen, sein volles Recht zu fordern, das ihm in seinem ruhmvollen tschechischen Reich seit Jahrtausenden zukam."

In der Reichenberger Zeitung reagierten die Deutschen unmittelbar am nächsten Tag: "Wir Deutschen in Böhmen vermögen es nie und nimmer einzusehen, dass an den bestehenden Verhältnissen, welche den nationalen Ansprüchen der Tschechen mehr als genügen, gerüttelt werde und unter dem Scheine der Gleichberechtigung eine neue empfindliche Schädigung der Deutschen eintrete."

Parlamentsgebäude in Wien,  1883 - 1918 Sitz des Reichsrats  (Foto: Friedrich Kromberg)
Adela Syrovatkova ergänzt: "Interessant ist dabei, dass beide Lager denselben Wortschatz benutzt haben. Natürlich aber aus völlig unterschiedlichen Positionen. Zum Beispiel bei dem Erlass der Sprachenverordnungen. Die deutsche Zeitung hat diesen sprachenpolitischen Akt sehr oft als Vergewaltigung kritisiert, als eine große Schädigung des deutschen Volkes charakterisiert. Im Gegensatz dazu hat dann die tschechische Seite über Genugtuung gesprochen."

Im November 1897 musste die Regierung Badeni dem öffentlichen Druck weichen und zurücktreten. Das Blatt wendete sich wieder. Zwei Jahre später wurden die Anordnungen endgültig aufgehoben.

"Und das wurde dann wieder von dem deutschen Lager sehr quittiert und man sprach über eine Genugtuung und die Tschechen haben über eine Vergewaltigung und über eine Schädigung gesprochen."

Wappen der K. u. k. Monarchie
Die Journalisten verweilten oft im Schatten der Anonymität. Den politischen Widersacher jedoch nannten sie beim Namen und stellten ihn an den Pranger. Umso schärfer konnten sie mit nationalen Feindbildern um sich werfen und den Gegner in Misskredit bringen.

"Sehr oft wurde diese taube Natur der Tschechen diskutiert und verspottet. Dagegen haben sich die Tschechen gewehrt, in dem Sinne, dass sie doch nur Genugtuung wollen und nichts anderes und dass sie doch so friedlich seien. Die Deutschen wurden dann oft wie der alte Michel beschrieben. Das korrespondiert auch mit den Karikaturen, die in dieser Zeit gedruckt wurde."

Der Kampf um die Sprachenverordnungen war nur ein Vorbote einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Tschechen. Sie endete mit der Trennung beider Nationalitäten nach dem Zweiten Weltkrieg. Gibt es dennoch eine Kontinuität dieser Feindbilder bis heute?

"Ich hoffe nicht - in dieser Richtung! Aber sicherlich findet man im Alltag immer noch recht viele Vorurteile auf beiden Seiten. Und auch diese Stereotypen werden immer wieder gespeist."

Gefragt, wie sie das heutige Selbstbild der Tschechen beschreiben würde, antwortete Adela Syrovatkova:

"In gewisser Richtung ist das nicht so unterschiedlich vom 19. Jahrhundert. Man hebt sehr gerne hervor, dass die Tschechen bescheiden sind - seien. Das würde ich dann auch als typisch hervorheben in den Stereotypen."