Schulprojekt über Muslime kämpft gegen Populismus und Unwissenheit

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Die religiöse Minderheit der Muslime in Tschechien ist verschwindend gering. Dennoch zeichnen vor allem Boulevardmedien zunehmend das Bild von einer islamischen Bedrohung im eigenen Land. Auch hochrangige Politiker – allen voran Staatspräsident Zeman – scheuen sich nicht, mit islamfeindlichen Äußerungen auf Stimmenfang zu gehen. Während des vergangenen Senatswahlkampfes erregte zunächst eine „Kopftuchdebatte“ die Gemüter, dann entzog das Schulministerium einem studentischen Projekt über Muslime die staatliche Unterstützung. Mehr zu den Hintergründen nun von Annette Kraus im heutigen Schauplatz.

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Schätzungen sprechen von 10.000 bis 20.000 Menschen muslimischen Glaubens im ganzen Land, offiziell bekannt haben sich bei der letzten Volkszählung nur um die 3500 Personen. Im Wahlkampf für den Senat verging dennoch kaum eine Woche ohne Verlautbarungen über die tschechischen Muslime. Petr Fiala, Parteichef der Bürgerdemokraten (ODS), bezeichnete das Kopftuch als Symbol einer Kultur, die Tschechien bedrohe. Die stellvertretende Vorsitzende der Ano-Partei, Jaroslava Jermanová, sagte, es gelte immer noch „My home is my castle“ - Multikulti sei schon rein gesetzesmäßig ausgeschlossen. Eine Prager Lokalpolitikerin, in deren Bezirk ein muslimischer Friedhof geplant ist, meinte, Prag dürfe nicht werden wie Marseille, wo sich die Menschen nicht mehr vor die Türe wagten. Das sind nur drei Beispiele von vielen. Doch warum hat ausgerechnet die winzige Minderheit eine solche Präsenz im der politischen Rhetorik?

Klára Popovová  (Foto: Archiv von Klára Popovová)
„Bei den letzten zwei oder drei Parlamentswahlen waren es die 30 Kronen Zuzahlung beim Arzt. Und nun haben wir den Islam.“

Das sagt die junge Religionswissenschaftlerin Klára Popovová von der Prager Karlsuniversität. Seit zwei Jahren arbeitet sie gemeinsam mit weiteren Studenten an einem Schulprojekt über den Islam. Im September geriet sie ebenfalls in den Focus der Medien. Bildungsminister Marcel Chládek von den Sozialdemokraten kündigte die offizielle staatliche Schirmherrschaft für die pädagogische Handreichung auf. Für Klára Popovová war das eine Enttäuschung. Doch sie weiß, dass die Politik in Sachen Islam parteienübergreifend auf Populismus setzt:

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„Es ist nun einmal ein einfaches Thema. Das ist vielleicht auch ein Grund für die Entscheidung des Bildungsministeriums. Es ist sehr einfach, gegen den Islam zu sein, und es ist nicht besonders riskant. Bei manchen Leuten gewinnt man wirklich Aufmerksamkeit. Diese sagen sich dann, wenn ein Politiker gegen den Islam sei, dann müsse er ein guter Tscheche sein. Und nur wenige sagen sich, das könne er doch nicht ernsthaft vertreten. Die meisten Wähler bewerten solche Äußerungen entweder neutral oder sie sagen: ‚Das ist gut, dass er gegen den Islam ist‘.“

Der Islam – eine solche Generalisierung greift auch in Tschechien zu kurz. Von einer Gemeinschaft ist nicht zu sprechen. Erst seit 2004 sind die Muslime offiziell als Religion registriert – dass sie dieses Jahr nach einer Frist von zehn Jahren erweiterte Rechte beantragen dürfen, wird vor allem von der Initiative „Wir wollen den Islam in Tschechien nicht“ (Islám v ČR nechceme) als Bedrohung dargestellt. Muslimische Gemeinden von nennenswerter Größe gibt es in Brno / Brünn und Prag. Kleinere Gruppen und Gebetsräume finden sich in weiteren tschechischen Universitätsstädten. Zu den Muslimen hierzulande zählen Emigranten aus dem Nahen Osten genauso wie zum Beispiel Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien. Kateřina Gamal Richterová gehört zur Gruppe der tschechischen Konvertiten, über die es ebenfalls kaum Zahlen gibt. Sie kommt aus dem nordböhmischen Rumburk / Rumburg und hat in Plzeň Pilsen und Kuwait den Nahen Osten und Arabisch studiert. Mit Anfang 20 ist sie zum Islam übergetreten, seit einigen Jahren trägt sie auch ein Kopftuch.

Kateřina Gamal Richterová  (Foto: Archiv von Kateřina Gamal Richterová)
„Ich halte die tschechische Gesellschaft nicht für intolerant. Mit Sicherheit nicht. Wenn ich etwa die Anzahl der Menschen, die mich gar nicht bemerken, mit denen vergleiche, die irgendwelche Bemerkungen machen, dann steht das in gar keinem Verhältnis. Ich würde sagen, die tschechische Gesellschaft ist eher gleichgültig, nicht jedoch ausgesprochen intolerant.“

Um der Gleichgültigkeit entgegenzutreten, arbeitet Kateřina Gamal Richterová ebenfalls für das Schulprojekt und hat einen Aufsatz über den Dschihad verfasst. Koordinatorin Klára Popovová hat sich in ihrer Bachelorarbeit mit dem Thema Islamophobie in Tschechien beschäftigt. Sie zeichnet ein differenziertes Bild:

„Man kann nicht sagen, es ist so oder so. Es gibt Gruppen, die ziemlich extrem Islamophobie vertreten. Aber das ist nicht die Mehrheit in Tschechien. Weil diese Gruppen sehr aktiv sind, sieht es so aus, als sei dies die öffentliche Meinung. Die meisten Leute sind einfach nicht gut informiert. Sie hören in verschiedenen Medien etwas Negatives, und dann sagen sie, es wird wohl so sein, wenn es alle sagen.“

Lucie Sedláčková  (Foto: Archiv von Lucie Sedláčková)
Klára Popovová war es zu wenig, wissenschaftliche Daten zu erheben. Gemeinsam mit Lucie Sedláčková und Šádí Shanaáh hat sie das Projekt „Muslime durch die Augen tschechischer Schüler“ entwickelt. Renommierte Wissenschaftler wie der Prager Orientalistikprofessor Bronislav Ostřanský unterstützen und beraten die Initiative. Zu Beginn verteilten die Initiatoren einen Fragebogen an tschechischen Schulen. Sie wollten herausfinden, was die Schüler über den Islam denken:

„Es kam heraus, dass die Schüler Informationen dazu hauptsächlich in den Medien suchen, dass sie das Thema interessant finden und dass alle faktischen Fragen falsch beantwortet wurden. Das größte muslimische Land ist demnach Saudi-Arabien, nicht Indonesien. In den Medien wird aber nun einmal sehr viel über Saudi-Arabien gesprochen, daher war es für die Schüler Saudi-Arabien. Wir haben auch gefragt, wie viele Muslime Araber sind – es ist etwa ein Viertel. Die Schüler glaubten jedoch, es seien 75 Prozent. Der Fragebogen spiegelte uns einfach die Informationen der Medien.“

Moschee in Brno  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Das Projekt „Muslime durch die Augen tschechischer Schüler“ will vor allem den Lehrern Informationen zur Verfügung stellen. Im Gespräch mit den Pädagogen stellte sich heraus, dass viele von der Thematik schlichtweg überfordert sind:

„Wir haben die Lehrer gefragt, wo sie Informationen suchen. Und viele sagten dann, sie würden nicht über aktuelle Fragen unterrichten und hätten auch keine Zeit, diese zu recherchieren. Islam sei nur ein kleines Thema unter vielen anderen – man könne nicht ein Jahr lang nur den Islam durchnehmen. Darum wollten wir etwas Einfaches machen, das alle wichtigen Informationen versammelt und Auskunft gibt, wie man an weitere Informationen gelangt.“

Projekt „Muslime durch die Augen tschechischer Schüler“
Das Gesamtprojekt umfasst nun ein Internetportal, eine umfangreiche Handreichung in Form eines Buches sowie ein modulartig aufgebautes Angebot für die Schulen. Religionsunterricht gibt es an staatlichen tschechischen Schulen nicht. Geplant ist, dass Klára und ihre Mitstreiter an die Schulen kommen und dort fächerübergreifend die einzelnen Unterrichtseinheiten in Kleingruppen durchführen. Weil falsche oder tendenziöse Angaben häufig aus den Medien übernommen werden, wollen die Studenten kritischen Umgang mit Informationen vermitteln.

„Wir haben einfach Materialien vorbereitet, die informieren sollen. Darin wird keine Meinung vorgegeben, sondern wir geben Informationen, die ein kritische Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen. Erst wenn jemand die Fakten über die Geschichte kennt, über die grundsätzlichen religiösen Dinge, dann kann er auch einschätzen, ob die Informationen im Fernsehen oder in anderen Medien richtig sind oder falsch.“

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Wie fahrlässig vereinfacht wird, zeigte sich erst wieder im September, während der „Kopftuchdebatte.“ Zwei jungen Emigrantinnen wurde an einer Krankenpflegeschule in Prag untersagt, während des Unterrichts Kopftücher zu tragen. Zur Illustration verwendeten viele Journalisten Bilder, die komplett verhüllte Frauen zeigen. Mit der Realität hat das nichts zu tun. Klára Popovová:

Marcel Chládek  (Foto: Archiv von Marcel Chládek)
„Das ist einfach nicht richtig. Die Burka wird fast nur in Afghanistan und Pakistan getragen, sonst nirgends. Ich habe noch nie in Tschechien eine Frau mit Burka gesehen. Dann wird immer die Burka mit Niqab vermischt. Und ein ganz normales Kopftuch, der Hidschāb, wird auch Burka genannt, obwohl es etwas ganz anderes ist. Wenn es in den Medien oder sonst irgendwo heißt, alle muslimischen Frauen trügen Burkas, erkennt man gleich, dass der Autor nicht informiert ist. Vor diesem Hintergrund muss man dann auch alle weiteren Informationen lesen.“

Nicht richtig informiert – das waren wohl auch die Mitarbeiter des tschechischen Bildungsministeriums. Minister Marcel Chládek begründete den Entzug der staatlichen Unterstützung für das Schulprojekt mit Beschwerden von Seiten der Eltern. Dabei ist das Projekt noch gar nicht an den Start gegangen. Klára Popovová hat von dem Rückzieher zuerst aus den Medien erfahren und erst später vom Ministerium einen Brief erhalten. Vor allem der Einfluss der Gruppe „Wir wollen den Islam in Tschechien nicht“ ist inzwischen sehr groß. Die gleichnamige Facebook-Seite hat fast 80.000 Unterstützer.

„Diese Gruppe ‚Islám v ČR nechceme‘ ist sehr gut organisiert. Die haben das auch schon vorher oft gemacht, mit Halal-Fleisch in den Geschäften. Sie veröffentlichen immer Themen, über die sich die Leute beschweren können, sowie Angaben, wohin man die Beschwerdemails schicken solle. Naja, und dann beschwert sich ja jeder. Die Tschechen beschweren sich auch sehr gerne.“

Das Projekt „Muslime durch die Augen tschechischer Schüler“ ist von dem Entzug der staatlichen Gunst nicht gefährdet. Finanziell beigetragen hat das Schulministerium ohnehin nicht, bezahlt wird das Projekt überwiegend durch einen Zuschuss von der amerikanischen Botschaft. Klára Popovová und ihre Mitstreiter sind ehrenamtlich tätig. Die Finanzierung des Buches ist bislang noch unklar. Unterstützung zugesagt hat schon die Prager Stadtbibliothek. Die mediale Präsenz der letzten Monate war für die Initiatoren nicht immer angenehm. Kateřina Gamal Richterová wird weiterhin mit der Gruppe zusammenarbeiten:

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„Wenn ein völlig Fremder zu mir kommt und fragt, ob er mich nach etwas fragen darf, dann bin ich froh darüber. Denn dann merke ich, dass er wirklich etwas erfahren will. Ich begrüße diese Möglichkeit sehr, den Menschen etwas über meine Religion sagen zu können, etwa warum ich diese Religion gewählt habe und so weiter.“

Die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hat auch dafür gesorgt, dass nun mehr und mehr Schulen an dem Projekt teilnehmen möchten. Für Klára Popovová behandelt der Unterricht weitaus mehr als nur eine religiöse Gruppe:

„Es geht um den Islam und Muslime, doch es soll darüber hinausgehen. Denn das Gleiche gilt für alle anderen Minderheiten – für alles, das anders ist.“