Seit 21 Jahren im Dienst Mitteleuropas: die Revue Stredni Evropa
In der heutigen Ausgabe unserer Mediensendung geht es um eine politisch-kulturelle Zeitschrift, die sich abseits der täglichen Berichterstattung um tiefere Einblicke bemüht. Die Rede ist von der Zeitschrift Stredni Evropa (auf Deutsch: Mitteleuropa), einer - laut Eigendefinition - Revue für mitteleuropäische Politik und Kultur. Sie erscheint mittlerweile ununterbrochen seit genau 21 Jahren.
Über die Geschichte von Stredni Evropa erzählt nun im Folgenden der Politikwissenschaftler Rudolf Kucera, der seit Beginn ihr Chefredakteur ist. Gleich eingangs erläutert Kucera Näheres zur Themenwahl seiner Zeitschrift:
"Wir haben uns am Anfang, als die Zeitschrift noch vor der Wende im Samisdat erschien, auf Themen konzentriert, über die man in der damaligen Zeit nicht schreiben durfte und die offiziell nicht existierten. Nach 1989 nahmen wir uns dann jener Fragen an, die für die Region Mitteleuropa wichtig waren - und zwar aus aktueller, geistiger und kultureller Sicht. Es wurden auch Themen wie die europäische Integration aufgegriffen. Wir gehörten aber auch zu den Ersten, die Kritik an der Form des Transformationsprozesses geübt haben, so wie er hierzulande eingeleitet wurde. Wir haben auf die Fehler und Versäumnisse der wirtschaftlichen wie auch der politischen Transformation hingewiesen, und das war so zu sagen unser Beitrag zu dieser damaligen Diskussion."
Stredni Evropa, deren Artikel wie alle anderen inoffiziellen Zeitschriften mit Schreibmaschine geschrieben waren, ist praktisch gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten entstanden: in Prag und im mährischen Brno / Brünn. Warum? Hing das mit den politischen Rahmenbedingungen vor dem Jahr 1989 zusammen?
"Das war deshalb so, weil wir Stredni Evropa zwar in Prag herausgegeben haben, gleichzeitig hatten wir aber auch Autoren und Freunde in Brünn und in Mähren, die dort die bekannten Hausseminare organisierten. Zunächst haben wir dort also die Prager Ausgabe ausgeliefert. Nach einer gewissen Zeit ist aber in diesem Umfeld eine eigene Redaktion entstanden, die auch die Schwerpunkte ein wenig anders setzte. Wir haben aber sehr eng zusammengearbeitet, haben die Artikel ausgetauscht und haben uns auch regelmäßig getroffen. So ist die so genannte mährische Version unserer Zeitschrift entstanden. Später, als wir dann offiziell erscheinen durften, bildete dann diese Brünner Redaktion den Grundstein für einen eigenen Verlag, und es entstanden dann ganz andere Zeitschriften."
In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebte der Mitteleuropa-Begriff eine regelrechte Renaissance und er war positiv besetzt. Schließlich wollte man in Tschechien nicht mehr zum Osten gehören; der politische und wirtschaftliche Anschluss an die Länder Westeuropas schien jedoch noch weit entfernt. Gleichzeitig war aber in dieser Umbruchszeit der Begriff Mitteleuropa als solcher relativ unklar definiert. Das fing schon bei der Frage nach den genauen Grenzen Mitteleuropas an und führte bis zu unterschiedlichen Ansichten, ob sich bei den Ländern in Europas Mitte überhaupt irgendwelche Gemeinsamkeiten finden lassen.Gab es ähnliche Debatten auch bei den Redaktionssitzungen der Revue Stredni Evropa? Rudolf Kucera:
"Unsere Auffassung von Mitteleuropa hat sich geändert und somit in gewisser Weise auch die Definition von Mitteleuropa. Zunächst einmal ist der mitteleuropäische Gedanke anderswo, als in Prag geboren worden - etwa in Paris oder Budapest. Später ging es um die Feststellung, dass dieser Teil Europas, der oft nur mit anderen Regionen des sowjetischen Imperiums in einen Topf geworfen wurde, in Wahrheit seine kulturellen, politischen, geistigen Traditionen hat. Das wollten wir wieder in Erinnerung rufen. Später, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, gingen wir davon aus, dass dieser Teil Europas an die vorhandenen Gemeinsamkeiten anknüpfen und sich irgendwie integrieren sollte. Nicht etwa in Opposition zum bereits bestehenden Einigungsprozess in Westeuropa, sondern dass eben diese spezifischen Merkmale erhalten bleiben. Natürlich gab es diesbezüglich Versuche - Stichwort Visegrader Initiative. Aber letztlich stellte sich heraus, dass die beteiligten Ländern an so einer Art der Kooperation kein Interesse haben, sondern sich im Gegenteil untereinander, wie auch gegenüber Europa, in einem Konkurrenzverhältnis befinden. Im Zuge dieses unnötigen Wettstreits wurden auch alte Vorurteile und Reminiszenzen wieder geweckt. In diesem Sinne haben wir begonnen, Mitteleuropa als einen spezifischen geistig-intellektuellen Raum zu verstehen, der Europa bereichern kann, und dabei haben wir mehr oder weniger die verschiedenen politischen Konnotationen verlassen."
Zum mitteleuropäischen Raum gehört zweifelsohne auch die bewegte Geschichte dieser Region, das gegenseitige Bereichern der Völker und Kulturen, wie auch deren Konflikte. Eines jener Themen, das von Stredni Evropa in diesem Zusammenhang ganz besonders oft aufgegriffen wurde, war die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei. Vor allem in den frühen 90er Jahren, als das Thema fast ausschließlich die politischen Beziehungen zwischen dem wiedervereinigten Deutschland und Tschechien dominierte, war Stredni Evropa deswegen oft auch Anfeindungen ausgesetzt war. Wann ist eigentlich dieses Thema auf den Seiten von Stredni Evropa aufgetaucht - schon vor der Wende, in den Samisdat-Ausgaben der Zeitschrift, oder erst nach 1989? Dazu sagt Rudolf Kucera abschließend:
"Ich denke, dass das schon längst vor dem Jahr 1989 aufgetaucht ist. Wir haben dieses Thema nicht politisch betrachtet, sondern unter dem Aspekt, dass sich die tschechische Gesellschaft dadurch selbst geschädigt hat - sie wurde ganz einfach ärmer. Nach der Wende wurde darüber vor allem auf politischer Ebene diskutiert, es kam zu einer starken Instrumentalisierung des ganzen Themas. Wir stellten uns dagegen, auch wenn wir immer mit hineingezogen wurden, in dem man uns beschuldigte, wir wären angeblich zu deutschfreundlich. In letzter Zeit widmen wir uns diesem Thema nur noch dann, wenn sich in der tschechischen Öffentlichkeit, bei den Medien oder Politikern offensichtlich irgendein falscher Mythos zu verbreiten beginnt, die Ereignisse vom Kriegsende verfälscht werden. Wir veröffentlichen dann Beiträge renommierter Autoren und wollen erreichen, dass die Menschen bei uns darüber frei nachdenken können."