Sie fuhren nur zwei Sommer lang: Prags erste Autobusse vor 100 Jahren

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Die tschechische Hauptstadt Prag ist zwar von der Einwohnerzahl her nicht gerade die größte Metropole in Europa. Doch verteilen sich die rund 1,2 Millionen Menschen, die hier leben, auf eine vergleichsweise große Fläche. Und die wollen natürlich auch bequem und schnell in die City kommen. 195 Autobuslinien verbinden deswegen insbesondere die Außenbezirke mit dem Zentrum. Keiner der Busse ist dabei älter als aus den 1990er Jahren – also recht zuverlässige Technik, die Prag da hat. Das war aber nicht immer so, schon gar nicht bei den allerersten Bussen.

Der motorbetriebene Autobus ist in der Geschichte der Verkehrsmittel eine relativ junge Erscheinung. In Prag feiert er seinen 100. Geburtstag. Milan Pokorný, der das Museum der Prager Verkehrsbetriebe leitet:

„Das genaue Datum ist der 7. März 1908, da nahm der erste Linienbus seine Fahrt durch Prag auf. Es war zwar nicht der erste in der gesamten Donaumonarchie, aber immerhin auf dem Gebiet des Königreichs Böhmen. Der Bus bediente die Trasse Kleinseitner Platz – Nerudova-Straße – Pohořelec.“

Es war Ende des 19. Jahrhunderts, als die Stadt begann, ihren Fuhrpark zu modernisieren. Dem Pferdegetrappel auf den Straßen sollte damit das letzte Stündchen schlagen – zumindest was die offizielle Fahrgastbeförderung betraf. 1891 wurde die elektrische Straßenbahn eingeführt und Anfang des 20. Jahrhunderts ersetzte sie dann endgültig ihre von Pferden gezogenen Vorgänger. Bei den Omnibussen lagen die Dinge etwas anders. Drei Versuche, Busse mit Pferdestärken vor der Deichsel und nicht unter der Motorhaube fahren zu lassen, schlugen fehl - der erste bereits 1829, die anderen beiden in den 1870er Jahren.

Erst ein Vierteljahrhundert später wurde der Omnibus mit Verbrennungsmotor in Betracht gezogen. Mehrere Marken standen zur Auswahl.

„Es war die Marke Laurin und Klement, ein tschechischer Hersteller, sowie Fiat aus Italien und aus Frankreich die Firma Aries.“

Dazu kam noch ein deutsches Produkt, also aus dem Land des ersten motorbetriebenen Omnibusses. Den hatte Carl Benz bereits 1895 bauen lassen. Die Prager hatten jedoch einen anderen Hersteller im Visier: der Autobus Gaggenau von der Süddeutschen Automobilfabrik. Vier Firmen also - eine wahrlich schwere Wahl, deswegen traf die Stadt Prag eine Entscheidung von vermeintlich salomonischer Weisheit: Sie bestellte je einen Wagen jeder Marke. Man wollte diese Busse in der Praxis testen. Wie sich aber herausstellen sollte, war dies eine folgenschwere Entscheidung.

Zuerst jedoch herrschte eine gewisse Euphorie in der Stadt, die damals viel kleiner als heute war und nur etwa 200.000 Einwohner hatte. Die 1600 Meter lange Strecke vom Kleinseitner Platz nach Pohořelec hatte es nämlich in sich.

„Für Straßenbahnen war sie wegen der Steigung nicht zu meistern. Die Autobusse fuhren die Strecke aber ziemlich flott und das selbst im Vergleich. Hinter den Bussen von heute würden sie nicht sonderlich zurückbleiben, die müssten auf der Strecke nämlich in den ersten Gang runterschalten“, erläutert Milan Pokorný.

15 Fahrgäste fanden in den neuen Bussen Platz. Falsche Vorstellungen macht man sich heute vielleicht auch darüber, wie der öffentliche Nahverkehr damals funktionierte. Von wegen langes Warten: Alle 15 Minuten fuhr eines der Gefährte mit der Aufschrift „Omnibusse der königlichen Hauptstadt Prag“. Und das von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends. An einem Tag konnten so also insgesamt bis zu 960 Passagiere befördert werden. An manchen Tagen leider aber auch kein einziger: Hatte wieder einmal die Technik versagt, dann konnte man an den Endstationen die Aufschrift „Heute fahren keine Autobusse“ lesen. Doch ein ernstes Problem war das noch immer nicht. Das tauchte erst auf, als die Strecke verlängert wurde, nämlich bis zum Kreuzherrenplatz über die Karlsbrücke.

„Die Reifen der Busse waren nicht luftgefüllt, sondern aus Vollgummi. Es kam die Befürchtung auf, dass die Stöße der Wagen die Konstruktion der Karlsbrücke bedrohen.“

Im August 1908 wurde deswegen der Busverkehr auf dem Baudenkmal wieder eingestellt. Zweifel an dem Gefährt als solchem nährte zudem im November desselben Jahres ein erster Unfall. Der Wagen der Firma Aries durchbrach die Stützmauer unter dem Schwarzenberg-Palais. Noch einmal bekamen jedoch die Autobusse eine Chance von den Verkehrsbetrieben der Stadt.

Es sollte ein weiteres Jahr vergehen, bis sich der Unfall ereignete, der das Ende der ersten Autobusse in Prag bedeutete. Es ist der 17. November 1909, kurz nach 11 Uhr am Vormittag. Fahrer Josef Vaigl ist auf dem Weg von der Burg hinunter in Richtung Kleinseitner Platz, als die Antriebskette kracht. Später gibt Vaigl Folgendes zu Protokoll.

„Der Wagen schoss plötzlich nach vorne. Ich schaltete den Motor aus und zog die Bremse noch stärker an, aber vergeblich. Der Wagen fuhr steil die Nerudova-Straße hinunter und hier versuchte ich, soweit mir das die Pferdespannwerke ermöglichten, die Reifen am Rand des Bürgersteigs zu bremsen. Das konnte ich aber nur gelegentlich, ständig musste ich dem Verkehr ausweichen. Der Autobus schoss weiter hinunter und das bis vor die Leitung der Landwehr unterhalb des Thun-Palais. Hier gelang es mir endlich, den Wagen auf einer Schutthalde zu drehen und damit die wilde Fahrt deutlich zu mildern. Ungefähr nach 50 Metern, unter starkem Bremsen am Bürgersteig, blieb ich endlich stehen.“

Im Übrigen hatte erneut der Wagen der französischen Firma Aries versagt. Auch das vermerkt Vaigl und fügt noch an: „Schaden entstand keiner und ich bin auch mit niemandem zusammengestoßen.“

Trotz des glimpflichen Verlaufs hat die Leitung der Verkehrsbetriebe nach dem Unfall genug. Augenblicklich stellt sie den Busverkehr ein. Es dauert dann bis 1925, bevor erneut Autobusse über Prager Straßen holpern. Was geschah aber mit den allerersten Autobussen, kann man diese heute wenigstens im Museum bewundern? Milan Pokorný verneint:

„Die Busse wurden im Ersten Weltkrieg für die Armee requiriert. Und die beiden Exemplare, die dies überlebten, wurden danach zu Montagewagen umgebaut.“

Der älteste Bus, den also das Museum des öffentlichen Nahverkehrs in Prag besitzt, ist Baujahr 1929. Bevor er entdeckt wurde, fristete er sein Dasein als Gartenlaube in der Nähe von Kladno; nun soll er wieder hergerichtet werden.

Allerdings gibt es noch einige wirklich alte elektrische Straßenbahnen. Das älteste noch fahrtüchtige Modell stammt übrigens aus demselben Jahr, in dem die ersten Autobusse in Prag eingeführt wurden: 1908. Diese Straßenbahn feiert dieses Jahr also ihren 100. Geburtstag. Gratulation!

Autor: Till Janzer
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