Sie wollten so ein Element nicht haben: Korrespondent Johnny Krčmář
Johnny Krčmář wurde 1933 in Köln am Rhein als Sohn eines tschechischen Diplomaten geboren. Später wurde sein Vater an die tschechoslowakische Botschaft in London versetzt, und dort wuchs Johnny Krčmář dann während der Kriegsjahre heran. 1947 nach Prag zurückgekehrt, machte ihm der kommunistische Umsturz vom Februar 1948 einen Strich durch das geplante Jurastudium – und verwandelte sein ganzes Leben in eine regelrechte Odyssee. Die endete schließlich im Wiener Exil. Hören Sie im heutigen Geschichtskapitel einen Erlebnisbericht eines Zeitgenossen. Allen Unbilden zum Trotz mischte er, als Berichterstatter der Tschechischen Presseagentur ČTK und von Reuters … doch auch ein wenig beim Zeitgeschehen mit.
Herr Krčmář, Sie kamen Anfang der Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts ins erwerbsfähige Alter. Wo konnte ein junger Mann mit Ihrem biographischen Hintergrund in der damaligen, vom Stalinismus geprägten tschechoslowakischen Gesellschaft seinen Platz finden?
„Ich wollte ursprünglich Jura studieren. Ich habe die Prüfung gemacht, aber ich wurde wegen meiner bürgerlichen Abstammung abgelehnt. Ich hatte also keine andere Möglichkeit, als in einer Fabrik zu arbeiten.“
In den Fünfzigerjahren hat die kommunistische Partei nach und nach ihre unumschränkte Macht etabliert. Unter anderem mit Säuberungen. Wie gingen diese Säuberungen vor sich?
„Die größte Säuberung kam nach den Ereignissen von Budapest – dem Ungarnaufstand - im Jahr 1956. Damals entschloss sich die Partei wieder einmal, sich zu säubern. Denn nach der Chruschtschow-Rede gab es doch eine innerparteiliche Auseinandersetzung. Die Hardliner wollten sich kompromisslos durchsetzen. Zu Beginn des Jahres 1958 kam es zu einer großen Säuberung, bei der Tausende Leute von den Ministerien und anderen Ämtern ausgeschlossen wurden, weil sie nicht für orthodox genug gehalten wurden. Viele mussten dann in Fabriken in Prag oder außerhalb von Prag als manuelle Arbeiter tätig werden. Ich musste ein Jahr als Schweißer arbeiten. Danach war ich zwei Jahre in einer Stahlhütte. Dort arbeiteten mit mir in der Schicht fünf oder sechs Juristen, ein oder zwei Wirtschaftswissenschaftler und sogar ein ehemaliger Richter des Obersten Gerichtshofs. Das war natürlich auch eine Riesenverschwendung von intellektuellen Ressourcen, die das Land besaß. Das heißt anderseits auch, dass die Leute, die uns ersetzten, natürlich total unqualifiziert waren und die Wirtschaft des Landes immer mehr zugrunde richten mussten.“Die Menschen wurden damals in mehrere Kategorien eingeteilt …
„… Sie wurden danach eingeteilt, wer in Staatsorganen, wie Ministerien, arbeiten durfte, oder in Firmenleitungen, in Schulen und der Verwaltung, und dann gab es diejenigen, die überhaupt keine intellektuelle oder administrative Arbeit ausüben durften, die mussten in Fabriken arbeiten.“
Sie wurden damals unter die manuellen Arbeiter eingeordnet, kamen aber später – zunächst als Übersetzer - doch zur Tschechischen Presseagentur ČTK und fanden sich damit unter der Informationselite wieder. Wie war damals in diesem nach außen abgeschlossenen, unfreien Land der Informationsfluss organisiert?„Der Informationsfluss war natürlich total gleichgeschaltet. Man hatte offiziell kaum Zugang zu Informationen, die nicht sehr stark zensiert worden waren. Aber es gab BBC, es gab die Rundfunkstation Voice of Amerika, es gab Radio Freies Europa. Diese Sender wurden zwar stark gestört, aber man konnte sie dennoch empfangen. Offiziell gab es drei Stufen von Informationen. Die erste Stufe nannte man `Monitor`. Es gab bei der Tschechischen Presseagentur eine Spezialabteilung, die die echten Informationen in amerikanischen, englischen und französischen Zeitungen gelesen und übersetzt hat. Diese Informationen wurden unter etwa 300 Mitgliedern der Elite verteilt. Also an das Zentralkomitee und das Präsidium der kommunistischen Partei, an Minister und Generaldirektoren von Fabriken. Der zweite Umkreis waren Nachrichten, die schon zensiert wurden, aber noch nicht so stark. Diese Nachrichten gingen an Zeitungsredaktionen und den Rundfunk. Aber sie waren vertraulich. Und dann kam der dritte Umkreis, das waren Nachrichten für das gemeine Volk. Die waren stark zensiert.“
Dann – und jetzt machen wir einen kleinen Sprung – kam 1968 und der Einfall der Warschauer-Pakt-Truppen unter Führung der Sowjets am 21. August 1968 und die Okkupation der Tschechoslowakei. Diese Ereignisse haben Sie damals im Büro überrascht, nicht wahr?
„Es gab in Prag natürlich eine Einheit der Invasionstruppen, die uns zensieren sollte. Aber die konnte uns nicht finden. Denn fast alle Straßenschilder waren heruntergerissen worden, und die Soldaten konnten sich nicht zurechtfinden. Sie haben uns erst um etwa zehn Uhr abends gefunden. Sie stürmten das Gebäude. Ich saß im oberen Stock, und es ist mir gelungen, schnell noch eine Nachricht darüber zu schreiben, dass die russischen Truppen jetzt in das Gebäude eingedrungen waren. Diese Nachricht ging noch hinaus. Und dann wollte ich eine weitere Nachricht schreiben, die lauten sollte, dass das die letzte Nachricht der freien ČTK sei, alle weiteren Nachrichten, die folgen würden, kämen nicht mehr von den Redakteuren der ČTK. Doch diese Nachricht wurde nur noch zur Hälfte hinaus gesendet, denn da hatten die russischen Soldaten schon den Lochstreifen zerrissen.“
Sie hatten die Leitung gekappt, sozusagen. Und ein paar Monate später fanden Sie dann Ihren Namen im Parteiorgan der Kommunisten, der „Rudé právo“ wieder …„Bis zu jenem Zeitpunkt war die Lage für mich in Ordnung. Denn ich wurde damals kurz nach der Okkupation sogar – als der erste nicht kommunistische Reporter – nach Pakistan geschickt. Aber als ich nach etwa einem halben Jahr zurückkam, wurde ich unter anderem auch in der `Rudé právo` als Contrarevolutionär bezeichnet. Die ČTK wollte mich nun natürlich loswerden. Sie wollten nicht, dass so ein Element bei ihnen arbeitet. Und da hat mir die Nachrichtenagentur Reuters angeboten, in ihrem Prager Büro, das sie damals gerade aufbauten, zu arbeiten. Dieses Angebot habe ich angenommen und bin von 1969 bis 1999 als Berichterstatter bei Reuters beschäftigt gewesen.“
Also dreißig Jahre, zuerst in der Tschechoslowakei, später dann in Österreich. Es überrascht aber ein wenig, dass eine internationale Nachrichtenagentur wie Reuters damals in Prag frei betrieben werden konnte.
„Die Tschechoslowakei war 1968 und der Zeit danach doch noch ein interessanter Standort. Und Reuters als weltgrößte Nachrichtenagentur wollte hier auch vertreten sein. Auch für das Regime war es wichtig, dass große Weltagenturen ihre Berichterstatter in Prag hatten. Das gab Prag eigentlich den Status, eine wichtige Stadt zu sein. Damals waren noch mehrere große Nachrichtenagenturen in Prag: AFP, Reuters, AP, UPI, auch der Deutschlandfunk und die Deutsche Welle.“
Und konnten Sie als Tscheche bei Reuters wirklich frei und ungestört arbeiten?
„Offiziell war ich als Dolmetscher und Übersetzer angestellt. Aber natürlich kamen viele unserer Nachrichten von meinen Freunden aus Dissidentenkreisen. Ich wurde öfters gefragt, woher ich diese Informationen hatte, und dann – ich hatte so eine Abmachung mit meinen westlichen Kollegen, sagte ich: Ja, also ich weiß nicht, der Kollege war auf einer westlichen Botschaft. Er hat diese Nachricht mitgebracht und hat mir aufgetragen, sie zu übersetzen. Ich habe nur meine Pflicht getan.“
Sie wurden also verhört …
„Ja, ich wurde öfters verhört. Aber die Staatssicherheit hatte sowieso einen Überblick darüber, wo sich meine Kollegen bewegten. Also ich konnte ihnen nichts sagen, was sie nicht ohnedies schon wussten.“
Als Berichterstatter von Reuters waren Sie in einer exponierten Position. Wie haben das Ihre Freunde und Bekannten wahrgenommen?
„Die Freunde, die ich als wirkliche Freunde bezeichnen kann, denen war es gleichgültig, wo ich arbeitete. Doch es gab auch Leute, die mir sagten: `Schau, wir wollen uns lieber nicht mehr sehen, denn ich habe eine Stelle, die ein bisschen heikel ist.ˇ“
Ende der Siebzigerjahre wurde der Informationsstrom in der Tschechoslowakei so dünn, dass es sich für Reuters nicht mehr lohnte, das Prager Büro aufrechtzuerhalten. Im Zuge der Schließung nahm Johnny Krčmář das Angebot seines Arbeitgebers an, im Wiener Büro der Presseagentur tätig zu werden. Der berufliche Wechsel von Prag nach Wien bedeutete sowohl für ihn, als auch für seine Frau und die drei kleinen Kinder den Verlust von Staatsbürgerschaft und Heimat. Johnny Krčmář lebt heute mit seiner Familie in Wien.