Straftaten aufarbeiten: Gesprächsrunden zwischen Gefängnisinsassen und Opfern in Tschechien
Der englische Begriff Restorative Justice bezeichnet ein Konzept, mit dem Straftaten durch Betroffene und Beteiligte aktiv aufgearbeitet werden und eine Art der Widergutmachung erreicht werden soll. Diesem Zweck dient etwa das Projekt „Building Bridges“, das schon seit mehreren Jahren in den Gefängnissen Tschechiens organisiert wird.
„Ich bin mir voll im Klaren darüber, welch großen Schmerz ich für Sie verursacht habe“,
verkündet ein verurteilter Straftäter in einer Runde von zwölf Personen. Im Gefängnis in Vinařice bei Kladno sitzen Insassen und Opfer von Straftaten im Kreis beisammen. Sie haben gerade das zweimonatige Programm „Building Bridges“ (Brückenbau) hinter sich, bei dem sie sich einmal pro Woche zu Gesprächen getroffen haben. Ziel dieser Zusammenkünfte ist, die Lage des jeweils anderen besser zu verstehen. Mit dabei ist auch der Therapeut Josef Hrubý:
„Wenn die Geschädigten zum ersten Mal ins Gefängnis kommen, haben sie natürlich große Angst. Denn sie wissen nicht, was sie erwartet. Interessanterweise gehen aber auch die Verurteilten, die in Vinařice quasi zu Hause sind, mit genau den gleichen Gefühlen und Bedenken in die Runde. Gleich bei dem ersten Treffen fängt das Eis aber schon langsam an zu brechen.“
Die Teilnehmer von außen treffen bei dem Programm aber nicht auf jene Täter, die ihnen den Schaden zugefügt haben. Die Gesprächspartner sind vielmehr Gefängnisinsassen, die bereit sind, sich dem Austausch zu stellen. Verurteilt sind sie etwa wegen Diebstahl, Betrug oder auch Mordversuch. Tomáš zum Beispiel sitzt in Vinařice mehr als fünf Jahre für ein schweres Eigentumsdelikt ab:
„Als ich zum ersten Treffen kam, war ich unglaublich nervös. Ich habe nur dagesessen und nicht gewusst, was kommt. Heute kann ich die Mädels umarmen, und wir haben so etwas wie eine freundschaftliche Beziehung.“
Durch die Gespräche betrachte er die eigenen Taten nun auf neue Weise, berichtet Tomáš weiter:
„Wenn jemand, der etwas Schlimmes erlebt hat, darüber zu erzählen beginnt, dann geht einem in dem Moment durch den Kopf: Himmel, was habe ich getan!?“
Dies sei auch der Fall, wenn das Gegenüber nicht das Opfer der eigenen Taten ist, betont Tomáš. So war etwa Silvie Teil der Runde in Vinařice. Sie berichtete von einem bewaffneten Überfall im Ausland, dessen Opfer sie geworden ist. Und sie sagt am Ende des Programms:
„Ich würde mich freuen, wenn wir weiter in Kontakt bleiben. Außerdem würde ich mich mit den Insassen gern auch nach ihrer Freilassung treffen. Ich denke, dass das eine Chance für sie sein könnte, sich in einem anderen sozialen Umfeld zu bewegen.“
„Building Bridges“ ist eine Initiative der Internationalen Gefängnisgemeinschaft – einer christlichen Organisation in Tschechien, die den Betroffenen und Beteiligten von Straftaten hilft. Das Programm ist seit 2016 auch vom Justizministerium akkreditiert. Jedes Jahr wird es in zwei oder drei Gefängnissen des Landes durchgeführt. Gerne würden sie mehr Gesprächsgruppen organisieren, bemerkt Gabriela Kabátová, die Leiterin der NGO. Es fehle aber an Interessenten auf Seiten der Gefängnisinsassen. Dabei könne sich die Teilnahme an einem Projekt wie diesem positiv auf einen Antrag auf vorzeitige Entlassung auswirken, so Kabátová:
„Im Gefängnis hat im Prinzip alles einen pragmatischen Zweck. Die Insassen wollen natürlich so schnell wie möglich rauskommen. Aber selbst wenn sich ein Verurteilter nur aus diesem Grund beim Programm anmeldet, bringt er sich doch im Verlaufe des Projektes gefühlsmäßig ein und erlebt es letztlich genau so, als wenn er es rein aus gutem Vorsatz angegangen wäre.“
Am Projekt „Building Bridges“ haben sich Kabátová zufolge seit 2015 in Tschechien bereits 90 Gefängnisinsassen und ebenso viele Geschädigte beteiligt.