Thema „Freundschaft“: Neuntklässler aus Tschechien und Deutschland schreiben eigene Texte
Der tschechisch-deutsche Literatur-Wettbewerb „Junge HUMANisten“ wendet sich an Jugendliche aus beiden Ländern. Nun sind die Gewinner des Pilotjahrgangs bekannt. Eine Kollage aus Stimmen zu dem Wettbewerb und Textausschnitten.
In festlicher Stimmung haben sich junge Tschechen und Deutsche kurz vor dem Ende des Schuljahrs im Barockpalais des Nationalen Pädagogischen Museums auf der Prager Kleinseite getroffen. Dort wurden nämlich die Preise beim nullten Jahrgang des Literaturwettbewerbs „Junge HUMANisten“ vergeben. Eva Lustigová ist Mitbegründerin des Wettbewerbs. Gegenüber Radio Prag International sagte sie:
„Das Ziel des Wettbewerbs ist es, die kreative Begabung junger Literaten zu fördern. Er ist bestimmt für Schüler der neunten Klassen, also für Jugendliche im Alter von 14 oder 15 Jahren in Tschechien und Deutschland. Das Thema ihrer Literaturbeiträge ist Freundschaft. Wir haben dieses Motto gewählt, weil es die Werte unserer Stiftung zum Ausdruck bringt. Die Schüler sollen einen kurzen Prosatext, ein Gedicht oder ein publizistisches Essay schreiben.“
Der Wettbewerb war das erste Projekt der 2020 gegründeten Arnošt-Lustig-Stiftung. Arnošt Lustig (1926-2011) war ein tschechischer Schriftsteller und Journalist. Er ist vor allem als Autor von Büchern über den Holocaust bekannt, den er selbst erleben musste.
Zur Teilnahme eingeladen wurden die Bohumil-Hrabal-Grundschule in Prag und die Grundschule Antonínská in Brno / Brünn, die Thüringer Gemeinschaftsschule Carl Zeiss in Weimar, die Ostschule Gera sowie Schülerinnen und Schüler der Tschechischen Schule ohne Grenzen und des Europäischen Gymnasiums in Brüssel. Insgesamt 83 literarische Arbeiten zum Thema „Freundschaft“ wurden eingereicht.
Bei der Preisverleihung wurde zudem eine Ausstellung präsentiert, die von Anfang an gar nicht geplant war. Doch nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine beschloss die Arnošt-Lustig-Stiftung, ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck zu bringen, und forderte ukrainische Schüler im Alter von 14 bis 15 Jahren auf, am Wettbewerb teilzunehmen. Sie schrieben keine Texte, sondern schufen Kunstwerke zum Thema Freundschaft. Diese sind nun im Rahmen der Ausstellung „Krieg und Frieden“ zu sehen.
Eliška Jirásková geht in die neunte Klasse der Bohumil-Hrabal-Schule in Prag. Mit ihrem Aufsatz gewann sie den ersten Preis in der Kategorie Essay. Die Aufarbeitung des Themas „Freundschaft“ findet sie ziemlich schwierig:
„Deswegen habe ich mich entschieden, das Thema aus einer Perspektive zu betrachten, die nicht so üblich ist. Es ging nicht um die Freundschaft mit einer anderen Person, sondern um die Freundschaft mit sich selbst.“
Die Freundschaft ist eine zarte, zerbrechliche Sache, sie kann neben der Freude aber auch Schmerz bringen. Und in diesem Augenblick kommen wir darauf, dass es am Wichtigsten für einen Freund ist, für den anderen da zu sein. Denn niemand anderer auf der Welt weiß mehr über uns als wir selbst. Kein anderer kann uns besser helfen. Danach müssen wir niemandem mehr etwas erklären, da wir alleine am besten wissen, was wir empfinden. Genauso wie wir es kennen, mit den anderen zu lachen und Spaß zu haben, sollten wir es auch mit uns selbst können. Denn ab und zu gibt es halt niemanden, der uns helfen oder einen Ratschlag geben könnte. Aber wir sind immer hier! Deswegen schadet es nicht, ab und zu allein zu sein, zumindest haben wir Zeit, uns selbst zu erkennen. Wenn wir uns selbst kennen, kann es auch behilflich bei den anderen sein. Die falschen – oder nicht richtigen Menschen – können wir auch positiv nutzen, und zwar um den besten Freund zu erkennen, den wir haben: uns selbst.
Eliška Jirásková
Viktorie Trávníčková, ebenfalls von der Bohumil-Hrabal-Schule in Prag, belegte den dritten Platz in der Kategorie tschechischsprachiges Gedicht.
„Ich habe ein Gedicht über den Verlust meines Freundes geschrieben. Auch ein Verlust gehört zur Freundschaft, und es ist ein entscheidender Moment in unserem Leben. Es ist wichtig, dass wir mehr darüber wissen. Ich wollte diese Situation durch mein Gedicht populärer machen, weil jeder sie ab und zu erlebt, und sie nicht einfach ist.“
Ich bin hier allein,
Früher war ich hier mit euch.
Störe ich vielleicht?
Darf ich hier bleiben?
Was macht ihr?
Was habt ihr zueinander gesagt?
Warum tut ihr mir das an?
Wir waren doch Freunde.
Viktorie Trávníčková
Für Viktorie war der Wettbewerb nicht die erste literarische Erfahrung:
„Ich schreibe Gedichte, es macht mir wirklich Spaß und erfüllt mich. Wenn ich freie Zeit habe, versuche ich, Kurztexte zu schreiben und Kurzgedichte zu reimen. Ich möchte mich dem Schreiben auch in Zukunft widmen.“
Jáchym Štefulík von der Bohumil-Hrabal-Schule, der den zweiten Platz belegte, hat hingegen vorher noch nie ein Gedicht verfasst:
„Ich habe mein Gedicht darauf fokussiert, wie ich selbst die Freundschaft sehe. Ich habe mich darin an Menschen gewandt, mit denen mich eine Freundschaftsbeziehung verbindet.“
Aber doch, irgendwie geht es immer noch,
wir alle haben das Gefühl,
dass wir ein imaginäres Seil halten,
um das geht‘s.
Wir alle sehen uns schon an den Mittelschulen
und was dann kommt, man siehts.
Doch in jedem von uns ist ein Stück der Freundschaft
auch in gewöhnlichen Menschen,
ich mache mir also keine Illusionen,
dass ich dort keine Freunde finde.
Auch ihr findet welche,
Ich drücke euch die Daumen und viel Glück.
Jáchym Štefulík
Klára Špolcová vom tschechischen Zweig der Europäischen Schule in Brüssel liest gerne Bücher und schreibt auch gerne eigene Texte.
„Ich habe eine Kurzgeschichte verfasst. Das Thema war die Freundschaft zwischen einem Mädchen und einem Jungen. Es gibt da einen Moment, in dem sich der Zeitfluss verlangsamt und die Hauptfigur beschreibt, was sie gerade fühlt – nämlich wie wichtig der andere Mensch für sie ist.“
Und jede Flamme, die mein Haus vernichtet, ist wie ein erneuter Messerstich für mich. Ich hasse es, ich hasse das Feuer, das mein Haus vernichtet. Ich höre Jays Wörter, immer intensiver. Er weint fast auch schon. „Es tut mir leid. Wirklich. Es wird alles gut. Bitte entschuldige.“ Und immer das Gleiche. Ich drehe mich, um ihn zu sehen. Ich halte ihn fest. Ich beginne wieder zu weinen, aber diesmal verstehe ich, dass er mir mein Leben gerettet hat. Ohne ihn wäre ich nun tot. Jay hält mich fest und sagt nichts. Aber nun bin ich an der Reihe. „Ich…danke. Danke. Danke“, sage ich weinend und kann nur danke sagen. Nun habe ich aber weder Zeit noch Energie darüber nachzudenken, wie ich mich am besten revanchieren soll. Ich denke nur darüber nach, was passieren würde, wenn er nicht da wäre. Jaylin, mein bester Freund, mein Seelenverwandter, mein Bruder. Er war hier immer für mich da und half mir. Er fand immer die richtigen Worte für mich. Er ist meine Welt.
Klára Špolcová
Maximilian Montgomery von dem tschechischen Zweig der Europäischen Schule in Brüssel räumt ein, er sei kein besonders ausdauernder Leser, trotzdem liebe er Literatur und Lyrik sehr. Mit seinem Essay belegte er den zweiten Platz:
„Ich habe viel Zeit gebraucht, um darüber nachzudenken. Zu Anfang hatte ich viele Ideen, danach musste ich aber kürzen. Das Ergebnis ist, meiner Meinung nach, gelungen. Ich sehe die Freundschaft als ein großes Abenteuer, das lebenslang andauert. Man muss in Situationen geraten, die für einen bedrohlich sind, um den Menschen zu finden, mit dem man sein will.“
Ein Mensch, der für einen anderen wie ein Bruder ist, hat die langfristige menschliche Pflicht, zu überleben oder nicht verrückt zu werden. Und auch wenn man mit eingeschlagenem Kopf im Bett liegt, weil ein Freund einem versehentlich auf den Kopf getreten ist. Sie sind aber nie alleine. Sie sind sich nicht immer sicher, aber mit der Hilfe einer anderen Seele müsst ihr keine Angst vor der Dunkelheit oder Einsamkeit haben. Ich glaube, ein echter Freund muss nicht immer auf den ersten Blick freundlich und angenehm sein. Aber es ist einer, mit dem Sie immer ein Abenteuer erleben können, den Sie in Erinnerung behalten, der Ihre Denkweise und Ihre Weltanschauung verändert und auf den Sie sich immer verlassen können.
Maximilian Montgomery
Die Schüler aus Gera konnten wegen ihrer schulischen Pflichten nicht nach Prag kommen. Die Preisträger aus Weimar waren aber mit dabei. Elisabeth Schmidt von der Thüringer Gemeinschaftsschule Carl Zeiss gewann den dritten Preis:
„Eigentlich fand ich es ganz toll, sich Gedanken über das Thema Freundschaft zu machen, und seine Gedanken dazu auch mitaufzuschreiben und zu teilen. Ich habe ein Essay über meine Freundschaft zu einem ehemaligen Kindergartenfreund geschrieben und über eine jetzige Freundschaft mit meiner besten Freundin.“
Und genau das ist, was Freundschaft für mich bedeutet, nicht nur das letzte Stück Schokolade zu teilen, sondern auch mit dem anderen so lange rumzualbern, dass es einfach nur peinlich ist und man sich vor Lachen nicht mehr einkriegt. Und auch in schwierigen Zeiten stehen Freunde einem beiseite, ob sie einem nun ein Taschentuch reichen, um die Tränen abzuwischen, oder ob sie uns auf andere Gedanken bringen – sie sind immer da, wenn wir sie brauchen. Was würden wir nur ohne Freundschaft tun!
Elisabeth Schmidt
Für Michelle Thiele war es nicht schwierig, über das Thema zu schreiben, wie sie sagt:
„Weil ich das schon öfters gemacht habe, meine Gedanken auf Papier zu bringen, da es auch teilweise erlöst von einigen Sachen. Ich schrieb ein Essay darüber, wie ich die Freundschaft sehe, mit meinen Erfahrungen und alles.“
Ich denke, in einer Freundschaft hält man zueinander.
Man ist immer füreinander da und tut alles für die
andere Person. Ich denke, dass Freundschaft zwischen
allen Geschlechtern bestehen kann und zwischen
allen Ländern und Religionen. Eine Freundschaft
ist eine starke Bindung unter Vertrauen. Ein
Freund ist eine Bezugsperson, mit der man
über alles reden kann und mit der man auch
lachen kann.
Michelle Thiele
Die literarischen Arbeiten der „jungen Humanisten“ wurden sowohl in Tschechien als auch in Deutschland von jeweils einer Fachjury beurteilt. Aber ebenso aus den Reihen der Schüler kamen Juroren und äußerten sich zu den eingereichten Werken.
Carsten Schmidtler unterrichtet Deutsch und Literatur an der Evangelischen Schule in Görlitz. Mit drei Jury-Schülern aus der zehnten Klasse hat er die Texte beurteilt:
„Wir haben uns anonym mehr als 40 Texte angeschaut. Die ganze Klasse hat sie gelesen und besprochen, und zwar in den Kategorien Kurzgeschichte, Essay und Gedicht. Ich habe mich als Lehrer ziemlich zurückgehalten. Die drei haben dann nach den Kategorien, die uns vorgegeben waren, und nach unseren besten Überlegungen Punkte verteilt und Empfehlungen geschrieben. Das haben wir dann verglichen mit der Fachjury. Interessanterweise waren die Schüler sehr überrascht von der breiten Diversität, vom breiten Spektrum der Arbeiten, die eingereicht wurden – und das sowohl von ganz kleinen Sachen bis zu sehr langen Texten, in denen eine Handlung richtig hin und her ging und es große Dialoge gab. Aber auch kleine, sehr dichte Gedichte sind dabei herausgekommen.“
Und welche Kategorie hat den Lehrer besonders beeindruckt?
„Besonders beeindruckt haben mich die Kurzgeschichten. Sie standen sowohl in einer Tierformation, also als Fabel, als auch im Traum oder in komplett anderen Umgebungen, die gar nichts mit Schule oder gar nichts mit dem direkten Leben der Autoren zu tun haben. Sie waren wirklich ganz phantasievoll und tief gegriffen. Aber auch das Essay ist ein ziemlich schwieriges Genre. Wir haben darüber gesprochen, was eigentlich ein Essay im Verständnis von tschechischen und von deutschen Kindern ist. Weil die deutschen Kinder im Lauf der Schulbahn etwas anderes lesen und lernen ist die Form des Essays bei uns mehr eine journalistische Reportage.“
Im Wettbewerb ging es um die Freundschaft. Ist dieses Thema denn auch für 15-Jährige interessant? Der Lehrer:
„Man denkt, das sei vielleicht zu abstrakt. Sie sprechen vielleicht nicht gerne über die Liebe in dem Alter. Aber Freundschaft ist ein Thema, das auf dem halben Weg dahin ist, ein halber Schritt in Richtung Liebe. Und das ist schon etwas, was die Schüler offensichtlich ganz gut bewegt hat. Denn sie haben sowohl Texte darüber geschrieben, was eine Freundschaft eigentlich ausmacht, als auch über das, was einem fehlt, wenn die Freundschaft nicht da ist.“