Top 100 des tschechischen Designs
Hundert Jahre zusammengefasst, auch so könnte das Projekt "Czech 100" heißen, denn es erkundet den tschechischen Lebensstil im 20. Jahrhundert. Es ist eine Geschichte, die mit Hilfe von Hundert Gebrauchsgegenständen erzählt wird, die die jeweilige Zeit geprägt haben. Eine Ausstellung, ein Buch und eine Story - machen Sie mit Bara Prochazkova einen Spaziergang durch die Geschichte des tschechischen Designs:
Schlagen Sie bitte mit mir das Buch "Hundert tschechische Designikonen" auf, in dem die Geschichte der tschechischen Design-Kunst beschrieben wird. Sie begann hoffnungsvoll. Nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 herrschte eine Zeit des Optimismus und der redlichen Arbeit. Die Erzeugnisse konnten international Schritt halten und waren auch aus heutiger Sicht sehr attraktiv. Die tschechischen Design-Ikonen aus den 20er und 30er Jahren hat der Prager Designhändler Janek Jaros ausgesucht. Die Zwischenkriegszeit hat besondere Designstücke gebracht, so Jaros:
"Ich würde gerne Erzeugnisse von industriellen Glasfabriken erwähnen, wie zum Beispiel eines Glaswerks am Fluss Sazava, das das Teeservice von Ladislav Sutnar hergestellt hat. Weiter denke ich an Möbelstücke aus gewellten Chromröhren. Sogar mehrere Firmen produzierten diese Art von Möbeln. Die Röhrenmöbelstücke hielten vor allem Schritt mit dem, was zum Beispiel in Deutschland oder anderen europäischen Ländern in dieser Branche passiert ist. Der Beweis dafür ist, dass diese Möbel heute wertvolle Sammlerstücke sind."
In den 30er Jahren kam es zu einer einmaligen Verflechtung von schöpferischem Geist mit Industrie und Kapital. Menschen mit progressiven Ideen bekamen die Möglichkeit, ihre Ziele zu realisieren, zu bauen, zu produzieren und zu verkaufen, fährt Jaros fort. Über die konkreten Einflüsse der tschechoslowakischen Design-Kunst für die folgenden Jahrzehnte spricht noch einmal Janek Jaros:
"In der Nachkriegszeit gab es noch viele Nachklänge der Design-Kunst aus den 30er Jahren. Zum Beispiel wurden die Röhrenmöbel unverändert sogar bis zur Mitte oder teilweise bis zum Ende der 50er Jahre hergestellt. Die Glasindustrie hat auch an die Tradition vor dem Krieg angeknüpft. Die ersten Veränderungen des Stils, der Form und des Designs kamen allgemein erst nach Mitte der 50er Jahre. In der Zeit kam ein neue Generation von Designern und damit ein neuer Stil, den wir heute der Einfachheit halber mit dem Wort `Brüssel` bezeichnen."
Das Kürzel "Brüssel" erinnert in diesem Zusammenhang an die Expo-Ausstellung 1958 in Brüssel, wo tschechoslowakische Designer für ihre Arbeit über hundert Medaillen gewonnen haben. Die erfolgreichsten Bereiche nennt der Rektor der Hochschule für Kunst, Architektur und Design in Prag, Jiri Pelcl:
"Es gab eine Reihe von Medaillen. Im Maschinenbau, der Automobilindustrie, in den Bereichen Glas, Porzellan, Textil, in der angewandten Kunst und ähnlichen Bereichen. Später haben wir die guten Startpositionen nach und nach verloren und anderen überlassen."
Jiri Pelcl hat die bedeutendsten Design-Ikonen aus den 50er Jahren ausgewählt und orientierte sich dabei an Gegenständen, die ihm aus seiner Kindheit in Erinnerung geblieben sind. Teilweise werden sie jedoch noch heute benutzt, wie zum Beispiel eine Schere von Zdenek Kovar oder ein aerodynamisch geformter Mixer, bei dem der obere Teil zum Spülen extra herausgenommen werden konnte. Das war zeitgemäß, denn die 50er Jahre waren eine goldene Zeit der Mechanisierung und Elektronisierung des Haushaltes. Die grundlegenden Veränderungen der Nachkriegszeit haben auch die Design-Kunst verändert, wie überhaupt die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die Entwicklung von Design am meisten beeinflussen, so Jiri Pelcl:
"Design-Kunst hängt immer sehr eng mit dem Niveau der Wirtschaft des jeweiligen Landes zusammen. In den 50er Jahren war die tschechoslowakische Wirtschaft auf einem relativ guten Niveau, weil es hier kaum Kriegsschäden gab. Wenn wir das zum Beispiel mit Deutschland vergleichen, dann war unsere Industrie nicht beschädigt. Also es gab für die Wirtschaft fast ideale Bedingungen für einen Neustart. Die ersten Skoda-Wagen nach dem Krieg hatten dasselbe Niveau wie die Wagen anderer Automobilhersteller in Westeuropa. Aber dann nach dem Marschall-Plan begann vor allem in der Bundesrepublik Deutschland die Beschleunigung der Wirtschaft. Gleichzeitig kam es zu einer entgegengesetzten Entwicklung in der Tschechoslowakei. An dieser Stelle begann sich die Kluft ganz klar zu vertiefen."
Der Ausklang der Blütezeit der tschechoslowakischen Design-Kunst zog sich bis zum Beginn der 60er Jahre hin. Obwohl in dieser Zeit neue Materialien und neue Technologien kamen, wurde die Design-Kunst ärmer als im vorangegangen Jahrzehnt. Es kam eine Zeit der Ernüchterung und eine gewisse Traurigkeit eines Teils der Gesellschaft über die gesellschaftspolitische Entwicklung. Dadurch wurde die Produktion einfacher, aber gleichzeitig reiner, beschreibt der Designer und Architekt Jan Nemecek aus Prag:
"Die Reinheit, die daraufhin kam, war das Ergebnis einer gewissen Verarmung des Lebens. Nichtsdestotrotz haben die Sachen eine eigene Poesie behalten, vor allem wenn wir sie aus heutiger Sicht beurteilen. Bis heute sind einige Formen davon sehr modern und dynamisch."
Trotz der politischen Entwicklung in den 60er Jahren wurde das tschechoslowakische Design in seinen Formen nicht gleichgeschaltet, wie es in anderen künstlerischen Bereichen der Fall war, fügt Jan Nemecek hinzu:
"Ich glaube, die Gleichschaltung gab es eher in der freien Kunst als in der Design-Kunst der Fall. Bei der angewandten Kunst und vor allem im Bereich des Designs gab es diese Entwicklung nicht. Die Beschränkung wurde vor allem durch die Technologien und durch ein gewisses Maß an Konservativismus gegeben. In der Zeit war keine Avantgarde im Design gefragt, aber trotzdem kann man sagen, dass in diesem Bereich der Staat am wenigsten eingegriffen hat. Man könnte fast sagen, dass die Sachen teilweise ästhetisch unabhängig waren."
Einige der ausgewählten Ikonen der damaligen Design-Kunst werden bis heute benutzt, wie zum Beispiel eine bunte Luftmatratze oder die bekannten Prager Straßenbahnen mit eingebauten Heizkörpern unter den Plastiksitzen. Nemecek nennt das Beispiel eines Plastikkanisters, der bis heute anderen Design-Gegenständen konkurrieren kann. Schade, dass er nie richtig funktioniert hat. Denn zum Kanister gab es einen Ausguss, zum besseren Gießen. Der Effekt war jedoch, dass die Flüssigkeit letztlich überall auf dem Boden landete, erinnert sich Jan Nemecek. Feststeht, er hat die Gegenstände für das Buch der Hundert Design-Ikonen mit seinem Herzen ausgewählt. Leicht war es jedoch nicht, die besten zu zeigen, so Nemecek:
"Jedes Automobil, das in der Tschechoslowakei hergestellt wurde, ist automatisch zur Ikone geworden, weil es kein anderes gab. Also wenn ein Skoda-Auto produziert wurde, dann wurde es zur Ikone, weil es einfach neu und einmalig war. Aus heutiger Sicht können wir durchaus auch bei den Sachen eine Qualität entdecken, die keine natürliche Konkurrenz hatten. Deshalb habe ich mit dem Herzen ausgewählt und zwar das, was mir in der Erinnerung hängen geblieben ist. Also ich habe nach der ästhetischen Wahrnehmungswelt des Kindes ausgewählt und danach, was für die Zeit bedeutend war."
Als bedeutend bezeichnet in diesem Fall Jan Nemecek diejenigen Gegenstände, die damals den Lebensstil der Menschen bestimmt haben. In den 70er Jahren folgte dann eine gewisse Stagnation, es ging ums Überleben, sagte der Designer und Architekt Michal Fronek. Zu den wenigen Ausnahmen zählten die künstlerische und industrielle Glasproduktion sowie die Gebrauchsgrafik. Die 80er Jahre kündigten dann mögliche Veränderungen an, es entstand zum Beispiel eine Reihe von Künstler- und Designergruppen. Eine typische Erscheinung aus der Zeit ist für Michal Fronek die Durchschnittlichkeit. Ein Beispiel dazu: eine Milchverpackung. Ausgewählt wurde auch die farbige Wandverkleidung der Prager U-Bahnstation Mustek, die 1978 fertig gestellt wurde.
Einen klaren Wandel gab es dann aber in den 90er Jahren. Viele der bekannten Marken und Namen verschwanden, auf der anderen Seite entstanden neue Designstudios und Firmen. Auch junge Leute bekommen heute eine Chance, ihre Ideen zu verwirklichen, beschreibt die Mitarbeiterin des Brünner Design-Zentrums, Dagmar Koudelkova, die Situation. Und sie fügt weitere wichtige Veränderungen hinzu:
"Im Zusammenhang mit allen damaligen Trends, wurde die Serienherstellung der Gegenstände beschränkt. Eine ganz andere Situation gab es zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg in den 50er Jahren. Damals musste man Möbel und Gegenstände für den Haushalt in großen Mengen herstellen. Die heutige Zeit ist ganz anders, wir müssen die Sachen nicht so produzieren wie zum Beispiel vor oder nach dem Krieg. Das ist ein Faktor, der auch die Form der Gegenstände beeinflusst."
Die Designer können seit den 90er Jahren neue Materialien und Herstellungsmethoden nutzen. Einen bedeutenden Einfluss auf die tschechische Design-Kunst hat auch die internationale Design-Welt. Heute können sich tschechische Designer auch mit Ideen aus dem Ausland konfrontieren, fügte Koudelkova hinzu. Trotzdem gibt es ihrer Meinung nach in der Design-Kunst etwas typisch Tschechisches:
"Ich würde sagen, dass es in der Tschechischen Republik so eine Verspieltheit, Draufsicht und einen gewissen Witz gibt. Als Beispiel würde ich einen Spermien-Löffel von Ales Pelcl nennen. Es handelt sich um einen Gebrauchsgegenstand, den wir bestimmt nicht jeden Tag zum Kaffee-Umrühren nutzen würden. Es ist ein sehr witziger Gegenstand, der in sich eine gewisse Idee trägt. Diese Art würde ich als typisch tschechische Eigenschaft bezeichnen."
Quelle: Tereza Bruthansova und Jan Kralicek, Czech 100 Design Icons Internetseite: www.czech100.com