Treffen mit einem Künstler (2.Teil)
Vor zwei Wochen haben Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, die Möglichkeit gehabt, den tschechischen Maler Miroslav Houst kennen zu lernen. In einem Gespräch mit Jitka Mladkova ging er vor allem auf sein thematisch breit gefächertes Werk ein. Um dieses besser zu verstehen, sollte man auch die Persönlichkeit des Künstlers selbst näher kennen lernen, der - wenn man ihm zuhört - nicht gerade in der Welt des 21.Jahrhunderts verwurzelt zu sein scheint. Schließlich macht er auch kein Hehl daraus, lieber in einer längst vergangenen Zeit leben zu wollen. Mehr erfahren Sie auch diesmal von Jitka Mladkova. Es folgt also "Treffen mit einem Künstler", Teil zwei:
Miroslav Houst hat ein paar Lieblingsorte für sich entdeckt: an erster Stelle den Winkel um das westböhmische Cheb/Eger, wo er seine Kindheit verbracht hatte. Gerne malt er in Südmähren, in der Umgebung der Stadt Lednice. Auch dies ist natürlich kein Zufall, denn aus dieser Gegend, die der so genannten Mährischen Slowakei angehört, stammte sein Vater. Lieb gewonnen hat er auch die nordostmährische Berglandschaft der Beskiden, wo wiederum die Familie seiner Frau Mirka ihre Wurzeln hat. Natürlich malt er auch in Prag. Am liebsten aber im Böhmerwald, wie Sie bereits vor zwei Wochen erfahren konnten. Und damit ist natürlich bei weitem nicht alles genannt. Mit der Frage, womit sich ein solcher Künstler identifiziert, setze ich unser Gespräch fort. Eine schwere Frage, sagt Miroslav Houst, trotzdem muss er nicht lange nachdenken:
"Kurz gesagt, es gibt Orte, wo man sich angesprochen und absolut frei fühlt. Auf einmal beginnt man dort die umliegende Realität in sich aufzunehmen. Bedauern muss man dann nur, dass das menschliche Potential bei der künstlerischen Darstellung so begrenzt ist und daher nur ein kleiner Teil von all dem reflektiert werden kann."
Zu Tschechien habe er eine komplexe Beziehung, sagt Houst. Immerhin, auf die Frage nach der eigenen Identifikation komme ich noch einmal zurück und erläutere, warum ich sie eigentlich gestellt habe: Vor dem EU-Beitritt Tschechiens hat man hierzulande immer wieder aus verschiedenen Ecken des politischen und gesellschaftlichen Spektrums zu hören bekommen: zu viel Integration, zu viel Globalisierung führe dazu, dass man sich als ein Land mit seiner eigenständigen Kultur wie ein Zuckerwürfel im europäischen Meer auflösen werde. Wie nimmt er diese Warnungen wahr, frage ich. Es folgt ein Wasserfall von Ausführungen eines Künstlers, dem auf einmal die Geschichte, eine Vielfalt von Sprachen, Baustilen und noch mehr in einem komplexen Bild des alten Kontinents in den Sinn zu kommen scheint. Hier nur ein kleiner Ausschnitt aus seiner Antwort:
"Das ist natürlich nichts anderes als ein politisches Spiel. Einige verdienen damit sogar ihr Brot. Schauen Sie, Europa, namentlich Westeuropa, lebt immer noch im Bann der Vorstellungen aus der Nachkriegszeit. Nach wie vor wissen die Westeuropäer nicht viel über die Osteuropäer. Ihre Einstellung zur Welt ist eher vom Pragmatismus bestimmt. Oft kennen sie nicht einmal die eigene Geschichte. Lange Zeit haben sie nur damit gelebt, dass hinter dem Eisernen Vorhang auch Menschen leben, und das war´s. Wissen Sie, alle Revolutionen und alle Kriege wirken sich eigentlich immer sehr zerstörerisch auf die gesamte Gesellschaft aus. Vor den Kriegen, dem 1. und dem 2.Weltkrieg, beide waren im Prinzip ein einziger großer Krieg, war unser Kontinent anders. Blicken wir aber z.B. auf das Europa in der Zeit Karls des Vierten, also der Blütezeit der Gotik. Damals war doch Europa ein einziger Kulturraum."
Anders gesagt, Miroslav Houst sieht nicht die Gefahr einer kulturellen Auflösung Tschechiens in Europa. Über die Frage, wie es mit dem Kontinent weiter geht, ist er sich völlig im Klaren:
"Dieses Europa kehrt über den - wie man zu sagen pflegt - Fortschritt dorthin zurück, wo es einst war, zurück an seine Wurzeln. Schauen Sie, hierzulande sprechen wir Tschechisch, eine ziemlich komplizierte Sprache, eine enorm flexible Sprache, in die sich alles übersetzen lässt. Warum sollten wir auf unsere Sprache verzichten? Unsere Muttersprache wird doch nie Englisch sein. Dafür gibt es ja keinen Grund! Blicken wir z.B. auf das Hochmittelalter zurück, als ganz Europa mit der wunderbaren Gotik den Höhepunkt dieser Etappe der Geschichte erlebt hat. Verbreitet hat sie sich aus dem Süden, wo sie deutlich von der Antike gezeichnet war - dort war sie jedoch nicht vertikal sondern horizontal. Sehen Sie, auch bei diesem so dominanten Baustil, der praktisch ganz Europa beherrschte, war es in jeder Region doch anders und nicht überall gleich."
Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Houst in einem Europa, wie er es begreift und das er auch an seine ursprüngliche Wurzeln zurückkehren sieht, schon längst gelebt hat, als Tschechien noch nicht EU-Mitglied war. Schaut man sich seine Bilder an, strahlen sie u.a. eben auch die Freiheit aus, die sich ein Künstler nimmt, um in seiner eigenen Welt zu wandeln. In seinem Fall geht es aber keineswegs um eine Flucht aus dem realen Leben. Und so stelle ich eine simple Frage: Was bedeutet für ihn das Malen, was bedeutet es für sein Leben?
"Darauf gibt es keine leichte Antwort. Jeder Mensch kommt mit einer Veranlagung bzw. mit einem Talent zur Welt. Die Möglichkeiten, dessen Maß wesentlich zu beeinflussen, sind sehr begrenzt. Aber es ist etwas, was man pflegen muss. Das ist die Pflicht seinem eigenen Schicksal gegenüber, etwas, was man tun muss, auch wenn es keinen unmittelbaren finanziellen Profit bringt. Das Substanzielle eines künstlerischen Lebensweges besteht darin, dass man diesen findet und geht. Eine Veränderung in Europa oder die Tatsache, ob es Grenzen gibt oder nicht, ist für mich nicht relevant. Es gibt bestimmte Gegebenheiten und die Menschen können in ihrer Mehrheit ein gutes Leben haben. Wenn man die Chancen nicht genutzt hat, das ist dann etwas, denke ich, was man am meisten bereut, wenn man an der Schwelle zwischen Leben und Tod steht. Natürlich gibt es auch Hindernisse, wenn man im Leben so sehr auf etwas Bestimmtes gesetzt hat."
Da muss man auch einen tiefen Glauben in sich haben, den Glauben z.B., dass man bis ans Ende seiner Lebenstage malen kann. Dies hat wiederum mit einem Glauben als solchen zu tun, und damit meine ich keinen konfessionellen Glauben. Wer ihn innehat, den kann im Leben nichts bedrohen, sagt Houst. Mit so einem festen Glauben ausgestattet, fällt mir ein, könnte ein Künstler in jeder beliebigen Zeit leben, ungeachtet der herrschenden Gesellschaftsordnung. So frage ich Miroslav Houst, in welcher Zeit er leben möchte, falls er die Wahl treffen könnte. Selbstverständlich in der Zeit des Feudalismus, antwortet er prompt. Für einen, der Housts Bilder gesehen hat und über seine Inspirationen aus der Kindheit und der Jugendzeit weiß, ist diese Antwort wiederum nicht ganz überraschend. Trotzdem frage ich, warum denn "selbstverständlich" in der Feudalzeit?
"Das ist doch logisch. Wenn man die Sache rein rationell betrachtet, dann muss man feststellen, dass das, was man in allen möglichen Galerien weltweit bewundert, in der feudalen Zeit das Licht der Welt erblickt hat. Das war die Zeit, die für das Kunstschaffen günstig war. So z.B. die Sixtinische Kapelle in Rom, die hätte kaum in einer anderen Zeit entstehen können. Das ist nur eines von unzähligen Beispielen. Oder denken wir an all die königlichen Städte hierzulande. Was bewundern wir bis heute in deren Stadtkernen? Eine Kathedrale natürlich, eine gotische oder ein barocke."
Eine Gegend, die Miroslav Houst neben all den anderen auch lieb gewonnen hat, kann man auf keinen Fall unerwähnt lassen, denn auch sie ist aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken und auf der ideellen Ebene gilt sie als integraler Bestandteil seines Schaffens. Warum fährt er immer wieder nach Kalabrien, frage ich:
"Wissen sie, mir gefällt ganz Italien, es hat viel vom Vermächtnis der Antike in sich. Dort ist immer noch die fabelhafte Ordnung der antiken Kunst präsent. Und den Süden Italiens habe ich besonders gern. Dort ist eigentlich auch noch das antike Griechenland zu spüren. Hier sieht man Reste großer Bauten im dorischen Baustil, die mich an die griechische Mythologie erinnern. In dieser habe ich, wie Sie wohl wissen, auch eine ganze Reihe von Motiven für meine Bilder gefunden. Auch dort haben es aber die Leute heute schwer ihre eigene Identität zu finden. Erinnern Sie sich, wie wir über die Landschaften in Tschechien gesprochen haben? Über die Energie, die sie ausstrahlen und die einerseits von der geologischen Substanz herkommt, gleichzeitig aber auch davon, wie sie kultiviert und genutzt worden sind. Genauso gibt es in Süditalien den "Abdruck" des alten Griechenland zu spüren."
Ganz zum Schluss fragte ich meinen Gastgeber, ob er mit einem der von ihm bewunderten alten Meister Gespräche führt. Die Antwort ist positiv und spontan: Er habe es sehr nahe zu Rembrandt. Und dann auch zu Francesco de Goya, gesteht er. Worüber diese Gespräche sind, habe ich nicht gefragt. Das wäre doch etwas indiskret, oder?