Tschechen kämpfen in Kambodscha gegen Kindersterblichkeit und Überschwemmungen
Die Tschechische Republik genießt in Kambodscha ein hohes Ansehen. Kein Wunder, denn in dem asiatischen Land leben hunderte von Absolventen tschechischer Hochschulen, darunter auch der derzeitige König von Kambodscha. Tschechische Fachleute, vor allem Mediziner, erfreuen sich in Kambodscha eines ausgezeichneten Rufes.
„Mein Name ist Alžběta Němcová, ich bin 28 Jahre alt und arbeite als Hebamme. Ich habe fünf Jahre lang Erfahrungen in einer Geburtsklinik in Prag gesammelt, hauptsächlich bei Risikoschwangerschaften und im Kreißsaal. Gern bin ich auf reisen, denn das ist wichtig für meine persönliche Entwicklung.“
Alžběta ist gerade von ihrem zweiten zweiwöchigen Einsatz in Kambodscha zurückgekehrt. Die Reisen nach Südostasien waren Teil des Projekts „Tschechische perinatologische Hände fliegen nach Kambodscha“ („České perinatologické ruce letí do Kambodži“). Das Ziel ist dabei, die Sterblichkeit von Müttern, Neugeborenen und Kindern unter fünf Jahren zu senken. Das Projekt wird von der Tschechischen Entwicklungsagentur in Zusammenarbeit mit der Stiftung „Vita et futura“ durchgeführt.
„Die erste Reise eines kleinen Teams von Geburtshelfern aus unserer Klinik war eine Erkundungsreise. Der zweite Aufenthalt im Januar dieses Jahres hatte ein anderes Konzept, es handelte sich um einen Ausbildungsworkshop. Neben uns Geburtshelfern waren auch Anästhesisten, Neonatologen, Bioingenieure und IT-Spezialisten daran beteiligt. Wir bilden kambodschanische Ärzte und Hebammen aus. Der Zugang zur Bildung ist in Kambodscha aufgrund der Geschichte des Landes sehr kompliziert. Deshalb stellen wir Videos und andere Lehrmaterialien zur Verfügung und organisieren E-Learning-Konferenzen. Auf einer dieser Konferenzen haben wir den Ärzten und Hebammen gezeigt, wie man mit Ultraschall- und anderen Geräten arbeitet, die sie oft von Spendern erhalten, aber kaum benutzen können. Unser Wunsch ist, dass das von uns geschulte Gesundheitspersonal die von uns vermittelten Informationen weitergibt.“
Eine wichtige Person im Team ist Ratanak, ein kambodschanischer Bioingenieur, der dauerhaft in Tschechien lebt und alle Materialien und Vorträge in Khmer übersetzt.
„Die Sprache ist für den Erfolg dieses Projekts sehr wichtig. Wenn wir alles auf Englisch präsentieren würden, könnten die kambodschanischen Mediziner nur fünf Prozent der Informationen im Kopf behalten, da die meisten von ihnen kein Englisch sprechen“, sagt Alžběta Němcová.
Mütter- und Kinderfürsorge
Das Königreich Kambodscha mit 17 Millionen Einwohnern leidet noch immer unter den Folgen des brutalen Terrors der Roten Khmer. Nach dem Sturz des mörderischen Regimes im Jahr 1979 leisteten eben die Tschechen einen wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung der medizinischen Versorgung im Land. Die tschechisch-kambodschanische gemeinsame Geschichte begann schon 1962. Damals kam der neunjährige Norodom Sihamoni zum Studium nach Prag. Der heutige König von Kambodscha blieb zwölf Jahre lang im Land und studierte Tanz. Bis heute spricht er angeblich besser Tschechisch als Khmer.
Barbora Žák Vlasová von der Tschechischen Entwicklungsagentur spricht über weitere tschechische Spuren in Kambodscha:
„Die Tschechoslowakei war eines der zwanzig Länder, die in den 1980er Jahren das pro-vietnamesische System in Kambodscha anerkannten. Schon damals begann die Entwicklungszusammenarbeit, gerade im Bereich der Gesundheit. Wenn man heute nach Kambodscha reist, kann man dort immer noch sogenannte ‚Krankenhäuser der tschechoslowakisch-kambodschanischen Freundschaft‘ sehen. Tschechien hat seit Langem hervorragende Erfolge im Bereich der Mütter- und Kinderfürsorge, daher ist dies eines der wichtigsten Themen, mit denen wir uns in Kambodscha beschäftigen.“
Kambodscha hat in den letzten Jahren eine rasante wirtschaftliche Entwicklung erlebt. Die Armutsquote sank zwar von 50 Prozent im Jahr 2009 auf heute rund 15 Prozent, doch leben immer noch 8 Millionen Kambodschaner an der Armutsgrenze. Und auch die Kindersterblichkeit sei nach wie vor hoch, erklärt Barbora Žák Vlasová:
„Unsere Untersuchungen aus dem Jahr 2018 zeigen, dass in Kambodscha jedes Jahr 6000 Neugeborene sterben. Da die lokalen Statistiken aber nicht gut geführt werden, ist die tatsächliche Sterblichkeitsrate wahrscheinlich noch höher. Ich selbst bin 2018 durch Kambodscha gereist und habe versucht, die offiziellen Zahlen zu verifizieren. Dabei stellte ich fest, dass die Krankenhäuser viele Fälle gar nicht erfassen. In einigen Fällen wurden Frauen mit potenziell komplizierten Entbindungen nach Hause geschickt, damit sie nicht als Sterbefälle in die Statistik aufgenommen werden.“
Einzige Einrichtung für Frühgeborene
In Kambodscha gibt es kein Krankenversicherungssystem. Die Verfügbarkeit und die Qualität der Gesundheitsversorgung, auch für Schwangere und Neugeborene, hängt von der finanziellen Situation einer Familie und ihrem Wohnort ab. Während das Nationale Kinderkrankenhaus in der Hauptstadt Phnom Penh eine hervorragende Versorgung biete, gebe es in entlegeneren Gebieten des Landes oft nur Gesundheitszentren ohne Ärzte, beschreibt Hebamme Alžběta Němcová:
„Wir arbeiten in unserem Projekt daran, die Versorgung in der Provinz Kampong Chhnang und im Nationalen Kinderkrankenhaus in Phnom Penh zu verbessern. In dieser Provinz, die etwa so groß wie Mittelböhmen ist, gibt es nur ein einziges Krankenhaus, in dem ein Kaiserschnitt durchgeführt werden kann. Ansonsten gibt es nur so genannte Gesundheitszentren, in denen lediglich Krankenschwestern arbeiten. In unserer Provinz steht nur ein Krankenwagen zur Verfügung. Als Alternative bleibt nur die Autorikscha oder der Motorroller. Fast jeder Patient, der ins Krankenhaus kommt, erhält eine Infusion und wird damit weggeschickt. Nicht selten kann man also etwa einen Mann auf einem Motorroller sehen, hinter dem seine Frau mit einem Infusionsbeutel in der Hand sitzt. So fahren sie dann gemeinsam nach Hause.“
Tschechien hat bisher eine Geburtsklinik in der Provinz Kampong Chhnang rekonstruiert und zudem die neonatologische Abteilung des Nationalen Kinderkrankenhauses in der Hauptstadt ausgestattet. Dies ist derzeit die einzige kambodschanische Einrichtung mit Inkubatoren für Frühgeborene. Das Programm „Tschechische perinatologische Hände fliegen nach Kambodscha“ soll dazu beitragen, dass Mütter mit Risikoschwangerschaften in einer spezialisierten Einrichtung noch vor der Entbindung behandelt werden.
Im Rahmen dieses Vorhabens wird im März eine Gruppe kambodschanischer Mediziner nach Prag kommen. Im Herbst ist dann ein Rückbesuch tschechischer Experten in Kambodscha geplant. Dabei soll es unter anderem um die Anwendung der Telemedizin gehen, erklärt Alžběta Němcová:
„Wir erstellen Aufklärungsmaterial, das dann in Khmer übersetzt wird. Das Material richtet sich zum einen an die breite Öffentlichkeit, das heißt an Frauen, die es als Schwangerschaftsratgeber nutzen können. Wir erarbeiten aber auch Fachinformationen und Videos für medizinisches Fachpersonal. Die dritte Anwendung soll zur Datenerfassung dienen. In Kambodscha ist es üblich, dass auch arme Menschen die besten Smartphones haben, so dass die Verbreitung von Informationen über Apps hier definitiv eine Zukunft hat.“
Frühwarnsystem rettet Leben bei Überschwemmungen
Auch ein weiteres erfolgreiches tschechisches Projekt in Kambodscha basiert auf dem Einsatz digitaler Technologien. Es wurde von der Hilfsorganisation Člověk v tísni (Mensch in Not) entwickelt, die seit 2008 im Land tätig ist. Das Frühwarnsystem EWS 1294 wurde nach der gebührenfreien Telefonhotline benannt, über die sich die Kambodschaner in das System einloggen können.
Der 23-Jährige Sin Seouli und seine Familie wurden durch das Frühwarnsystem gerettet:
„Ich habe mehrere Überschwemmungen erlebt. Beim letzten Hochwasser habe ich mittels des Systems einen Evakuierungsbefehl erhalten. Als ich aus dem Haus kam, sah ich das Wasser bereits steigen. Nach ein paar Stunden stand es höher und etwas später dann noch höher. Also nahm ich unsere persönlichen Sachen, und ging mit meiner Frau und den Kindern den Hügel hinauf.“
Die Lehrerin Davy Tith lebt in einem kleinen Fischerdorf in der Provinz Kampot im Süden Kambodschas. Das Dorf am Ufer des Flusses Praek Tuek Chhu wurde schon mehrfach von Überschwemmungen und Taifunen heimgesucht.
„Ich habe mich 2017 auf Anraten meiner Nachbarin im Frühwarnsystem angemeldet. Am 16. Juli 2018 erhielt ich auf meinem Telefon eine Nachricht über Hochwassergefahr. Ich packte meine Sachen und fuhr in das Haus meiner Mutter, die weiter weg vom Fluss wohnt. Zudem warnte ich auch die Nachbarn.“
Kambodscha gehört weltweit zu den 15 Ländern mit dem höchsten Risiko für Naturkatastrophen. Mehr als 25 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung sind von wiederkehrenden Überschwemmungen betroffen. Nach den großen Überschwemmungen von 2010 entwickelte Člověk v tísni das einzigartige Frühwarnsystem. Die Französin Anouk Chaptal arbeitet seit mehreren Jahren für die tschechische Hilfsorganisation in Kambodscha und leitet das Projekt:
„Solarbetriebene Sensoren werden auf Brücken über Flüssen angebracht und überwachen permanent den Pegelstand. Sobald der Fluss gefährlich ansteigt, informiert das System über das Internet die lokalen Behörden, die dann direkt eine Nachricht an die registrierten Bewohner der gefährdeten Gebiete schicken können.“
Diese Warnungen helfen den Menschen, sich auf verschiedene Naturkatastrophen vorzubereiten. Die Meldungen wurden auch während der Corona-Pandemie verwendet. Laut Anouk Chaptal wird das System ständig verbessert, um die Reichweite zu maximieren:
„Wir haben mehrere Kommunikationskanäle. Die Menschen können sich über die Telefonnummer 1294 im System anmelden und erhalten im Falle einer drohenden Gefahr automatisch eine Warnmeldung von uns. 140.000 Menschen nutzen bereits diesen Dienst. Wir verbreiten die Nachrichten auch über Radiosendungen und öffentliche Lautsprecher. Derzeit arbeiten wir daran, das System um das in Kambodscha weit verbreitete soziale Netzwerk Telegram zu erweitern. Auch in Zusammenarbeit mit dem größten Mobilfunkbetreiber des Landes, der über 8 Millionen Kunden hat, wollen wir die Warnnachrichten verbreiten. Diese würden dann an die Mobiltelefone aller Menschen im Risikogebiet gehen, auch an diejenigen, die nicht im Frühwarnsystem registriert sind.“
Die Hilfsorganisation Člověk v tísni und die tschechische Entwicklungsagentur führen in Kambodscha auch zahlreiche weitere Projekte durch, etwa in den Bereichen Jugendbildung, Integration von Menschen mit Behinderungen, Unterstützung von Landwirten oder biomedizinische Entwicklung.
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