Tschechien trauert Merkel nach und hofft auf weiteren Ausbau der guten bilateralen Beziehungen

Angela Merkel und Olaf Scholz

In Deutschland ist nach 16 Jahren die Ära Merkel zu Ende gegangen. Seit Mittwoch ist Olaf Scholz nun Bundeskanzler, er steht an der Spitze einer Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen. Auch für Tschechien und die tschechische Politik bedeutet dies eine Änderung – unter anderem weil Angela Merkel als Ostdeutsche ein besonderes Verständnis für die ehemaligen kommunistischen Länder und ihre Probleme mitbrachte. Wie sind die Reaktionen in Tschechien auf den Regierungswechsel in Berlin?

Petr Fiala | Foto: Michaela Danelová,  Tschechischer Rundfunk

Am Mittwoch wurde der Sozialdemokrat Olaf Scholz im Bundestag vereidigt. Der politische Wechsel im Nachbarland wird in Prag genau beobachtet. Nicht zuletzt auch vom designierten Premier in Tschechien, dem Bürgerdemokraten Petr Fiala. Im Tschechischen Fernsehen sagte er:

„Deutschland ist unser wichtiger Partner – in der EU sowie politisch gesehen und auch wirtschaftlich. Das betrifft aber nicht nur die staatliche Ebene, sondern es bestehen auch viele Verbindungen zu unseren Regionen und den einzelnen Bürgern. Für uns ist es wirklich ein sehr wichtiges Land. Ich glaube, dass die neue Regierung in Berlin keinen Wandel bedeuten wird für die Beziehungen zwischen Tschechien und Deutschland. Sondern wir sollten uns bemühen, die Beziehungen weiterzuentwickeln, denn das liegt im Interesse beider Staaten.“

Rudolf Jindrák | Foto: PPPir,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Ein Großteil der tschechischen Politiker, die sich am Mittwoch zum Regierungswechsel in Berlin äußerten, erinnerte aber auch noch einmal an Scholz´ Vorgängerin Angela Merkel. So etwa der frühere tschechische Botschafter in Deutschland, Rudolf Jindrák. Er leitet die außenpolitische Abteilung in der Präsidialkanzlei, das heißt er berät Staatspräsident Miloš Zeman.

„Sie war geduldig auch bei dem einen oder anderen Ausrutscher in unserer Außenpolitik und mit unserer Unerfahrenheit in diesem Bereich. Schließlich waren wir noch nicht so lange Mitglied der EU. Dazu kamen ihre Erfahrungen durch einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in Prag, die auch eine gewisse Rolle spielten. Sie wird uns sicher fehlen. Zwar bin ich nicht ganz dazu befähigt, dies zu beurteilen – aber ich denke, dass sich mit der Zeit zeigen dürfte, dass Merkel von allen bisherigen Bundeskanzlern Mittel- und Osteuropa am nächsten stand“, sagt Jindrák.

Jindrák weist aber auch darauf hin, dass in der Energiepolitik derzeit die größten Reibungsflächen zwischen Prag und Berlin bestehen. So baut Tschechien auf die Atomkraft, während Deutschland die letzten Meiler schon kommendes Jahr vom Netz nehmen will. Und die Ampelkoalition strebt bereits für 2030 den Kohleausstieg an. Außerdem dürfte Berlin auf die Umsetzung des Green Deals in der EU drängen. Und weiter Rudolf Jindrák:

Illustrationsfoto: Jeff Djevdet,  Flickr,  CC BY 2.0

„Die Energie als solches, der ganze Green Deal respektive die grüne Agenda könnten Reibungsfläche bieten. Denn Tschechien als am stärksten industrialisierte Volkswirtschaft in Europa ist abhängig von bestimmten Prozessen in der Energie. Dazu müssen wir einen intensiven Dialog mit Deutschland führen. Das tun wir aber auch. Wir müssen die Prioritäten nun zum Teil neu aufstellen – je nachdem, was aus Deutschland kommt. Da wir hierzulande aber auch eine neue Regierung haben werden, besteht eine gute Gelegenheit, genau darüber zu sprechen.“

Das plant ebenso der als Außenminister vorgesehene Pirat Jan Lipavský. Im Tschechischen Fernsehen erläuterte er:

Jan Lipavský | Foto: Vít Šimánek,  ČTK

„Für die neue tschechische Regierung wird entscheidend sein, den Weg zu den neuen Ministern in Deutschland zu finden, gemeinsame Interessen auszuloten und die tschechischen Positionen zu erläutern. Das ist für uns eine Herausforderung. In einigen Bereichen wird die Politik der neuen Bundesregierung sicher von Vorteil für uns sein – so zum Beispiel in den Beziehungen zu Russland. Auf der anderen Seite gibt es auch Bereiche, in denen wir vor die Aufgabe gestellt sind, die Prioritäten Tschechiens geduldig zu erläutern. Da meine ich zum Beispiel die Energiepolitik.“

Der Politologe Robert Schuster glaubt jedoch, dass letztlich die Unterschiede auch in diesem Bereich nicht so groß sein dürften, wie sie derzeit erscheinen. Der Kohleausstieg sei ja auch hierzulande gewollt und kein politisches Minenfeld wie etwa in Polen, betont er gegenüber Radio Prag International…

Illustrationsfoto: Rainer Haufe,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

„Was generell die Energiewende oder auch den Green Deal beziehungsweise den Übergang zu nachhaltigeren Formen der Energiegewinnung angeht, glaube ich, dass Tschechien früher oder später nachziehen wird. Und zwar, weil die industrielle Struktur hierzulande sehr ähnlich ist wie in Deutschland. Das bedeutet vor allem einen starken Fokus auf die Automobilindustrie, aber auch Weiteres. Die deutschen Pkw-Hersteller haben sich verpflichtet, auf grüne Technologien umzusteigen. Wenn sie ebenfalls in Tschechien produzieren oder einen Bezug zu Tschechien haben, dann wird sich auch die Industrie hierzulande irgendwann dem Trend anschließen. Das heißt, vielleicht übernimmt die Wirtschaft die Entwicklung noch vor der tschechischen Politik, aber auch diese wird dann nachziehen“, so der Deutschland-Kenner.

Im Koalitionsvertrag der deutschen Ampel steht zudem, dass sich die EU möglichst zu einem föderalen Bundesstaat entwickeln sollte. Für viele tschechische Politiker, so muss man aus den Äußerungen der vergangenen Jahre schließen, ist dies eigentlich unvorstellbar. Doch der Politologe Robert Schuster verweist darauf, dass die neue Bundesregierung zugleich das Prinzip der Subsidiarität betone. Das heißt, dass nicht einfach Kompetenzen nach Brüssel verschoben werden, wenn man die jeweiligen Probleme besser auf lokaler, regionaler oder auch nationaler Ebene lösen kann.

Robert Schuster | Foto: Jan Bartoněk,  Tschechischer Rundfunk

„Ich denke, selbst in Deutschland will in der öffentlichen Meinung niemand eine Bundesrepublik Europa haben. Insofern sehe ich hier keinen großen Konfliktstoff. Es wird eher darauf ankommen, wie stark zum Beispiel die neue deutsche Bundesregierung versuchen wird, bei Themen wie dem Green Deal oder generell dem Umbau der Wirtschaft auch ihren Einfluss über die europäischen Institutionen geltend zu machen. Das könnte zu einem gewissen Konflikt führen mit der neuen tschechischen Regierung. Aber es sind alles meiner Meinung nach noch schwammige Vorstellungen, die sich letztlich nicht mit der politischen Wirklichkeit decken müssen“, sagt Robert Schuster.