Tschechiens Comic-Ikone Kája Saudek erregt wieder Aufmerksamkeit

Ein Superheld auf vier Rädern und eine vollbusige Blondine aus Pappkarton verzieren gerade die Schaufenster des Tschechischen Zentrums in Prag. Wer einen Blick hinein wagt, der bekommt eine Ausstellung zum Frühwerk des großen Stars der tschechischen Comic-Szene Kája Saudek zu sehen. Der Comiczeichner Kája Saudek stand in den vergangenen Jahren oft nur im Schatten seines Bruders, des international erfolgreichen Fotografen Jan Saudek.

Kája Saudek beherrscht die Kunst, Texte und Zeichnungen in einer Geschichte geschickt zu pointieren. Mit Doppeldeutigkeit, Humor und jeder Menge Sexappeal versieht Saudek seine skurrilen Charaktere. Oft gleichen die Personen aus den Comics der Physiognomie seiner Verwandten und Freunde. Saudeks Leserschaft ist von all dem begeistert.

„Er hat seine Inspiration aus der ‚westlichen Welt’ genommen. Ich habe alles von ihm gesammelt, ich habe ihn besucht und ich habe Bilder von ihm nachgezeichnet. Seine Comics, sein Sarkasmus, sein Witz und die ganze Komik, das ist einfach typisch Saudek, das ist Tschechien“, so ein Besucher der Saudek-Ausstellung „Kája Saudek and the ’60s“, die am 19. September im Tschechischen Zentrum in Prag eröffnet wurde.

Geboren am 13. Mai 1935 in Prag als Sohn eines jüdischen Bankangestellten musste Kája Saudek zusammen mit seinem Zwillingsbruder Jan in früher Kindheit miterleben, wie seine Familie aufgrund ihrer jüdischen Abstammung während der Nazizeit verfolgt wurde. Doch gerade diese Umstände waren für Kája Saudek der Eintritt in die Welt des Comiczeichnens. Die Autorin der Kája Saudek-Biografie Helena Diesing erzählt:

„Zwischen 1945 und 1949 haben Verwandte aus den USA Lebensmittelpakete an die Familie Saudek geschickt. Darin enthalten waren auch Comic-Hefte, die in der Tschechoslowakei noch nicht so bekannt waren. Sie inspirierten Kája Saudek zum Comiczeichnen. Weil es überhaupt in den 1950er Jahren schwierig war, an Comic-Zeitschriften aus dem Westen heranzukommen, hat Saudek seinen eigenen Stil erschaffen. Es sieht dennoch so aus, dass er die Trends aus dem Westen kannte, also dass er sich von Art Nouveau oder vom Pop-Art Künstler Roy Lichtenstein beeinflussen ließ.“

Anfang der 1960er Jahre arbeitete Kája Saudek in den Barrandov-Filmstudios als Kulissenschieber. Dort hat er erste Kontakte zur Filmbranche geknüpft. Regisseur Václav Vorlíček war von Kája Saudeks Zeichentalent begeistert und holte ihn schließlich ins Boot für die Filmproduktion „Kdo chce zabít Jessii?“ (Wer will Jessie umbringen?) von 1966. Neben den Comic-Elementen im Film kreierte Saudek Werbematerialen und drei Kostüme. „Kdo chce zabít Jessii?“ ist eine Parodie der US-amerikanischen Superhelden-Filme. Schon im musikalischen Vorspann erklingt der sarkastische Unterton des Films.

„Wer will Jessie umbringen?“
„Kdo chce zabít Jessii?“ bildete den Auftakt für Saudeks Karriere als Comiczeichner und Werbegrafiker. Der Autodidakt wusste den Zeitgeist der 1960er Jahre, der so genannten goldenen Sechziger, in seinen Arbeiten einzufangen. Seine Comics und Werbeplakate vermittelten Rock’n’roll, jugendliche Begeisterung und kreative Revolte. Kája Saudek arbeitete in diesen Jahren auch eng mit seinem Bruder, dem Fotografen Jan Saudek, künstlerisch zusammen. Die Geschwister waren provokant in ihrer Kunst und eckten in der tschechoslowakischen Gesellschaft an. Kája Saudek hat sich selbst oft als „Fremder im eigenen Land bezeichnet“. Denn Comics galten als Kitsch, als perverser, kapitalistischer Schund. Einige Saudek-Comics wurden schon vor Veröffentlichung von offizieller Seite her gestoppt, darunter der futuristische Comic „Muriel a andělé“ (Muriel und die Engel). Mit Beginn der so genannten Zeit der „Normalisierung“ 1969 verschlimmerte sich die Situation in der Comic-Szene. Autorin Helena Diesing:

„Comics wurden 1969 nicht gleich verboten. Es war eher so, dass sie nicht erwünscht waren. Comic-Magazine lösten sich auf. Für Saudek hieß das weniger Aufträge. Doch einige seiner Kontaktpersonen wechselten zu der Wochenzeitschrift für Jugendliche ‚Mladý svět’. Saudek konnte dort noch bis ungefähr 1973 Comics zeichnen. Seine wichtigste Serie hieß ‚Lips Tullian’. Sie wurde jedoch eingestellt. Zuvor im Jahr 1970 wurde noch der Film ‚Čtyři vraždy stačí, drahoušku’ (Vier Morde reichen, mein Liebling) gedreht. Saudek gestaltete dafür die Comics und die Werbe-Materialien. Das ist eines seiner besten Werke. Die düstere Zeit begann für Saudek erst 1973.“

Das Comic-Genre erlitt in den 1970er und 1980er Jahren in der Tschechoslowakei einen Tiefschlag. Kája Saudek musste sich neue, wohl auch ungewöhnliche Wege suchen, um der Zensur zu entgehen. Von 1979 bis 1991 konnte Saudek seine Comics weiterhin unter dem Schutzmantel der tschechischen Gesellschaft für Höhlenforschung veröffentlichen. Aus dieser Zeit stammt auch der Science-Fiction Comic „Arnal a dva dračí zuby“ (Arnal und die zwei Zähne des Drachen). 1988 hatte dieser Comic internationalen Erfolg. Der gesellschaftskritische, antikommunistische Ton begeisterte polnische, ungarische und französische Verlage. Auch ist in „Arnal und die zwei Zähne des Drachen“ ein neuer künstlerischer Einfluss zu erkennen. Saudeks Comic-Stil trägt nunmehr Elemente vom französischen Comiczeichner Jean Giraud Moebius. Nach dem Fall des kommunistischen Regimes 1989 gewann das Comic-Genre in der Tschechoslowakei einen neuen Auftrieb. Kája Saudek blieb davon nicht unberührt.

„Anfangs war Saudek nach 1989 wieder gefragt. Er ist ja ein glorifizierter Zeichner geworden. Viele seiner Comics und auch unveröffentlichte Werke wie ‚Muriel a andělé’ wurden wieder gedruckt. Saudek vermied jedoch das Zeichnen neuer Comics, weil es für ihn finanziell nicht mehr profitabel war. Sein Stil unterschied sich sehr stark von dem der 1960er und 1970er Jahre. Deshalb hatten die Medien kein großes Interesse mehr an Saudek. Er hat dann für Boulevard- und Erotik-Magazine gearbeitet. Er hat auch Auftragswerke gemalt und viele Variationen an einem Bild erstellt.“

Kája Saudek wird von vielen jungen Nachwuchs-Comiczeichnern heute immer noch als der König des tschechischen Comics bezeichnet. 2008 hat die tschechische Zeitung „Mlada fronta Dnes“ den Künstler als den besten „Comic-Experten“ der tschechischen Geschichte geehrt. Dennoch: Der ganze Umfang von Saudeks Werken ist für die Öffentlichkeit noch nicht zugänglich. Ein Großteil ist im Privatbesitz der Familie Saudek und anderer Sammler. Kája Saudek selbst kann über Verbleib seiner Kollektion nicht weiter entscheiden. Er liegt seit 2006 in einem Prager Krankenhaus im Koma. Eine Entscheidung über die Freigabe seiner Werke wäre nötig. Nur so kann der Künstler in den Kontext der tschechischen Grafik- und Kunstgeschichte eingereiht werden.


Die erste Monografie zum Comiczeichner erscheint voraussichtlich Ende Dezember in Tschechien im Abor Vitae-Verlag. Die Ausstellung „Kája Saudek and the ’60s“ ist im Tschechischen Zentrum in Prag noch bis zum 2. Januar 2010 zu sehen.

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