Tschechiens umstrittenste Straße – die Autobahn D8

Foto: Archiv des tschechischen Verkehrsministeriums

An diesem Samstag wird es wahr: Nach mehr als drei Jahrzenten Bauzeit besteht eine durchgehende Autobahnverbindung zwischen Prag und Dresden. Ganz besonders umstritten war das letzte Teilstück durch das Böhmische Mittelgebirge. Die Fertigstellung dieses Abschnitts war geprägt von Problemen geologischer Art, den Klagen von Umweltschützern und Fehlern der Behörden. Ein Blick zurück.

Autobahn D8  (Foto: Archiv des tschechischen Verkehrsministeriums)
Wenn am Samstag die Autobahnverbindung zwischen Prag und Dresden geschlossen wird, dann geschieht dies rechtzeitig vor den Festtagen. 15 bis 20 Minuten weniger dürfte es dann für Tschechen dauern, um beispielsweise auf den Dresdner Striezelmarkt zu gelangen, oder für Deutsche, um in einer Prager Kneipe zu sitzen. Vor allem fällt aber die mühselige Fahrt durch die Ortschaften im Böhmischen Mittelgebirge oder entlang der Elbe weg.

Die allerersten Pläne für eine Autobahn zwischen der Goldenen Stadt und dem Elbflorenz gehen auf ein nationalsozialistisches Projekt von 1938 zurück. Wiederbelebt wurde die Idee in der kommunistischen Tschechoslowakei. Der Spatenstich erfolgte im April 1984. Aber erst 32 Jahre und acht Monate später kann auch das letzte Teilstück Autobahn befahren werden.

Wie sicher ist die D8?

Erdrutsch auf der D8  (Foto: Juandev,  CC BY-SA 3.0)
Allein die gut 16 Kilometer durch das Böhmische Mittelgebirge haben vielen Beteiligten den Schlaf geraubt. Bis zum Schluss hat es Zweifel gegeben, ob Verkehrsminister Dan Ťok und seine Gäste aus Deutschland überhaupt einen Grund zum Feiern bekommen. Denn erst seit dem Sommer wird ein mehrere Hundert Meter langes Stück der Straße saniert, das zweimal durch Erdrutsche verschüttet wurde. Außerdem war es an einer anschließenden Brücke zu Verschiebungen im Bereich von mehreren Zentimetern gekommen. Wie sicher ist also die D8 überhaupt? Im November sagte der Geologe Vladimír Cajz vom Geologischen Institut an der Akademie der Wissenschaften in einer Talkshow des Tschechischen Fernsehens:

Vladimír Cajz  (Foto: ČT24)
„Ich weiß, dass von Anfang an geologische Gefahren gedroht haben. Ich befürchte, dass dagegen noch nicht alles unternommen wurde. Es hat wenig Sinn, jetzt Potemkinsche Dörfer zu bauen, um die Autobahn zu eröffnen und zu riskieren, dass man sie nachher wieder schließen muss.“

Für diese Zweifel erntete Cajz allerdings Kritik von Fachkollegen. Sie warfen ihm vor, mutwillig den Ruf des Landes beschädigt zu haben, ohne die Fakten zu kennen. Den offenen Brief an Cajz hat auch Josef Stemberk unterschrieben. Er ist Fachmann für die Strukturen und Mechanik von Gesteinen an der Akademie der Wissenschaften:

Josef Stemberk  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Ich werde ohne Furcht über die Autobahn fahren. Die Sanierung des betreffenden Abschnitts läuft auf Hochtouren. Die Akademie der Wissenschaften ist nicht beteiligt an der Bewertung, das macht der Geologische Dienst. Und der hat Fachleute, die sicher niemanden auf eine gefährliche Straße lassen würden. Aber auch Fachleute von der Karlsuniversität arbeiten an dem Projekt mit. Es wurde unterstellt, dass sich keine Straße in einem Gelände bauen ließe, das erdrutschgefährdet ist. Das ist Unsinn. In solchen Gebieten wird überall auf der Welt schon seit Jahrzehnten gebaut. Es müssen dabei einfach nur grundlegende Regeln beachtet werden. Dann kommt es auch nicht zu Problemen.“

Erdrutsch auf der D8  (Foto: Juandev,  CC BY-SA 3.0)
In der Sache jedoch gibt Stemberk seinem Kollegen Cajz Recht. Die Autobahn sei ohne Sicherungen durch das Erdrutschgebiet durchgeschlagen worden. In einem viertelstündigen Fernsehbericht vom vergangenen Dienstag erläuterte Josef Stemberk dem Reporter, was er damit meine.

„Das ist, wie wenn man von einem Lehmhaufen einen Teil wegschaufelt, den Rest dann einfach stehen lässt und hofft, dass der Haufen nicht in sich zusammensackt.“

Dass es Probleme mit dem Hang gibt, das bestreiten auch weder das Verkehrsministerium noch die Autobahn- und Straßendirektion. Doch wer schuld ist an der leichtfertigen Bauweise, darüber streiten sich die Seiten. Das Ministerium hat einen Steinbruch oberhalb der Autobahn verklagt. Dieser soll die Erdrutsche in den Jahren 2010 und 2013 zu verantworten haben. Eine Studie von Fachleuten sagt aber etwas anderes. Demnach soll nämlich auch die Autobahn- und Straßendirektion als Investor schwer geschlampt haben. Wie es in dem Fernsehbericht jedoch heißt, hält das Verkehrsressort die Studie derzeit unter Verschluss.

Keine Diskussion über Varianten

 Bau des letzten Abschnitts zwischen Lovosice und Řehlovice  (Foto: Aktron,  CC BY-SA 3.0)
Mit dem Bau des letzten Abschnitts zwischen Lovosice und Řehlovice war am 6. November 2007 begonnen worden. Zum Auftakt ließ ein Dirigent die Bagger und weiteres schweres Gerät in einem Ballett der Maschinen tanzen. Was sich aber drumherum tat, war keineswegs fröhlich. Denn aus ökologischer Sicht ist dieses Straßenstück ein Affront. Als einzige tschechische Autobahn führt die D8 nämlich mitten durch ein Landschaftsschutzgebiet. Seit 1994 hat der Umweltverband Děti země (Kinder der Erde) dieses Unterfangen kritisiert. Miroslav Patrik leitet Děti země:

„Damals haben wir erwartet, dass in Tschechien eine große Diskussion darüber aufkommt, wo die Autobahn entlangführen soll. Ob dies durch das Böhmische Mittelgebirge sein soll oder an Most und Freiberg vorbei. Leider ist es zu der Diskussion nicht gekommen. Und letztlich wurden noch nicht einmal die Varianten für die Trassenführung durch das Landschaftsschutzgebiet Böhmisches Mittelgebirge erörtert. Das heißt, ob ein langer, ein kurzer oder überhaupt kein Tunnel gebaut wird. Dass dies ein Fehler war, haben auch die Gerichte und der Oberste Rechnungshof bestätigt.“

Miroslav Patrik  (Foto: ČT24)
Die Umweltschützer hatten einen rund drei Kilometer langen Tunnel favorisiert, der hätte auch unter dem so umstrittenen Erdrutschgebiet hindurchgeführt. Gebaut sind nun aber nur zwei kürzere Tunnels. Miroslav Patrik vermutet, dass die Autobahn- und Straßendirektion möglichst billig bauen wollte. Der Schuss ist allerdings nach hinten losgegangen. Reell sind die Kosten um gut die Hälfte gestiegen. Sie sollen nun umgerechnet bei über einer halbe Milliarde Euro liegen.

Miroslav Patrik betont zudem, dass die tschechischen Umweltschützer keineswegs gegen eine Autobahnverbindung Prag-Dresden seien. Im Gegenteil.

Böhmisches Mittelgebirge  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
„Děti země haben von Anfang an gesagt, dass eine Autobahn gebaut werden muss, um die Bewohner der kleinen Gemeinden im Böhmischen Mittelgebirge und entlang der Landstraße zwischen Prag und Ústí nad Labem zu entlasten. Nur wollten wir auch, dass die Natur dort geschützt wird. Ich gehe davon aus, dass die Autobahn nun die kleinen Gemeinden zum Großteil vom Pkw- und besonders vom Lkw-Verkehr befreit. Für die Zukunft hoffe ich aber, dass noch einige ökologischen Maßnahmen hinzukommen. So wurde versprochen, Bäume und Sträucher zu pflanzen. Damit würde sich die Autobahn besser in die Natur einfügen, auch wenn sie aus unserer Sicht eine große Narbe in das Landschaftsschutzgebiet schlägt. Denn das Böhmische Mittelgebirge ist ein Kleinod Tschechiens. Sogar die deutschen Romantiker im 19. Jahrhundert haben die Gegend als typisch tschechisch bezeichnet und mit Ehrfurcht von ihr gesprochen. Wir Tschechen hingegen nicht so sehr“, so Patrik.

Umweltschützer: Klagen hatten kein Einfluss auf Bauzeit

Bau der D8  (Foto: Aktron,  CC BY 3.0)
Ursprünglich hätte das letzte Teilstück sogar schon 2010 eröffnet werden sollen. Einige tschechische Politiker werfen gerade den Umweltschützern vor, die Fertigstellung der D8 verzögert zu haben. Zuletzt äußerte sich Staatspräsident Miloš Zeman in diesem Sinn. Insgesamt 26 Klagen haben Děti země und weitere Verbände in den Jahren 2003 bis 2013 bei Gerichten eingereicht. Miroslav Patrik weist jedoch die Schuld am langen Warten auf die entlastende Autobahn zurück:

„Bei uns gibt es diesen Mythos, dass die Einwände von Bürgern gegen Behördenentscheidungen etwas blockieren und Bauten bremsen würden. In diesem Fall haben wir aber eine Analyse angestrengt. Die sagt, dass keine der 26 Klagen praktischen Einfluss hatte auf die Bauzeit. Denn die Gerichte haben den Klagen keine aufschiebende Wirkung eingeräumt. Als dann 2010 die Flächennutzungsentscheidung vom Kreisgericht gekippt wurde, wurde schon drei Jahre lang an dem Autobahnstück gebaut, und es waren bereits 90 Prozent aller Baubewilligungen erteilt worden.“

Autobahn D8  (Foto: Archiv des tschechischen Verkehrsministeriums)
Laut Miroslav Patrik hatten die Klagen also keinen Einfluss. Die Schuld sei bei anderen zu suchen, meint der Ökologe.

„Der Hauptschuldige ist unserer Meinung nach der Investor, der nicht die nötigen Unterlagen für die einzelnen behördlichen Entscheidungen vorgelegt hat. Zudem haben die Beamten die Fristen nicht eingehalten. Bis zu manchen Entscheidungen dauerte es mehrere Jahre.“

Nun werden vor allem die Anwohner froh sein, die jahrelang unter dem Baustellenverkehr gelitten haben. Aber auch beim Handelsverband in Sachsen reibt man sich schon die Hände, weil mehr Tagesbesucher aus Tschechien zum Shopping nach Deutschland kommen könnten.