Tschechische Forscher auf dem Weg zu besseren Hörimplantaten
Von der Ohrmuschel bis zum Hörnerv – ein neues Computermodell soll nicht nur helfen, das menschliche Ohr besser zu verstehen, sondern auch Hörgeräte zu verbessern.
Das Computermodell des Ohrs kann genau simulieren, was in den einzelnen Zellen eines Hörnervs geschieht. Es erkennt auch eine Fehlfunktion von Hörnervenzellen, was bei der Herstellung geeigneter Implantate für Gehörlose helfen könnte. Entwickelt wurde das Modell von tschechischen Wissenschaftlern am Institut für organische Chemie und Biochemie der Akademie der Wissenschaften. Die Idee hatte der Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Modellierung, Pavel Jungwirth:
„Mein jüngerer Sohn ist sehr schwerhörig. Seit er ein kleiner Junge war, habe ich versucht zu verstehen, was dort nicht funktioniert. Das brachte mich auf die Idee, ein Modell seines Ohrs zu bauen.“
Der Forscher betont, dass die Fähigkeit zu hören von Atomen und Molekülen abhänge…
„Die Art und Weise, wie sich die Informationen im Innenohr ausbreiten und wie sie kodiert werden, basiert auf den elektrischen Strömen von Ionen. Es sind hauptsächlich Kalzium- und Kaliumionen. Und in unserer Arbeitsgruppe beschäftigen wir uns eben mit der Bewegung von Ionen“, so Jungwirth.
Ein Mensch, der kaum noch etwas höre und ein Cochlea-Implantat im Ohr habe, empfange den Schall in sehr reduzierter Form, beschreibt der Chemiker:
„Man muss in Betracht ziehen, dass ein Mensch etwa 3000 Haarzellen hat, ein Implantat aber nur über 20 bis30 Elektroden verfügt. Da kann man sich vorstellen, wie stark reduziert die Informationen sind. Unser Modell soll zeigen, wie sich das Restgehör mit dem Cochlea-Implantat verbindet, wie sie interagieren. Anhand dessen können die Implantate vielleicht besser angepasst werden, um die Informationen möglichst effektiv zu nutzen.“
Viele Hundert Programmierstunden und Zehntausende Codezeilen waren nötig, um das Computermodell des Ohres zu erstellen. 2011 begann Pavel Jungwirth bereits daran zu arbeiten. Zwölf Jahre später war es vollendet. Dabei unterstützt wurde er von dem Studenten Ondřej Ticháček. Dieser sagt:
„Wir haben gerade drei Töne gehört, 250 Hz, 500 Hz und 1 kHz, das sind drei Oktaven. Und diese drei Töne werden, wie in unserem Modell zu sehen ist, an drei verschiedenen Stellen der Basilarmembran registriert, die der jeweiligen Frequenz entsprechen.“
Ondřej Ticháček zeigt drei unterschiedlich dicke rote Linien auf dem Bildschirm. Sein Modell ähnelt nicht einmal im Entferntesten einem Ohr…
„Es sind im Grunde nur Zahlen, wir haben keine visuelle Darstellung dessen, was wir modellieren. Wir können kein hübsches Bild zeigen, was sich wie im Ohr bewegt. Wir beschäftigen uns nur mit Differentialgleichungen, die diesen Vorgang beschreiben. Und wir sind überzeugt, dass sie ihn sehr gut beschreiben“, so Ticháček.
Das Computermodell beruht auf den neuesten Erkenntnissen der Physiologie und der molekularen Prinzipien des Hörens. Es ermöglicht es, Daten zu erhalten, die auf experimentellem Wege nur schwer zu erlangen sind. Pavel Jungwirth:
„Wir können jede Art von Hörverlust und Behinderung simulieren und dann fragen, wie das Cochlea-Implantat konfiguriert werden sollte, um die Verstärkung zu maximieren und das Resthörvermögen zu nutzen.“
Und das könnte den Weg ebnen zu besseren Hörgeräten und Cochlea-Implantaten. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden in der Fachzeitschrift „Hearing Research“ veröffentlicht.