Tschechische Regierung im Würgegriff eines Angestellten?
Das turbulente Innenleben der tschechischen Regierung, das wir in unseren Sendungen seit Monaten verfolgen, hat in der vergangenen Woche einen neuen Tiefstand erreicht. Die Minister einer der drei Regierungsparteien, der liberal-konservativen TOP 09, verkündeten, dass sie die wöchentlichen Kabinettssitzungen solange boykottieren werden, bis der umstrittene Personaldirektor des Bildungsministeriums Ladislav Bátora entlassen wird. Bátora ist wegen seiner extremistischen Positionen bereits mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Handelt es sich dabei lediglich um eine weitere von vielen Krisen dieser Regierung oder könnte diese Krise das Kabinett nun endgültig sprengen?
Ja, das kann man wohl sagen. Ladislav Bátora hält die Regierungskoalition auf jeden Fall in Schach. Er nutzt geschickt die Spannungen aus, die es in dieser Koalition zwischen den einzelnen Regierungsparteien gibt und er weiß natürlich auch, dass ihm diese Position als Personaldirektor, die er jetzt inne hat und die ja offiziell eine unpolitische Position ist, eine relative Sicherheit gibt. Er wird nicht unmittelbar als politisch aktiv wahrgenommen, aber er kann die Regierung mit seinen Positionen und Äußerungen natürlich immer stärker in die Bredouille ziehen. Wichtig in dieser Situation ist wiederum die Haltung von Premierminister Petr Nečas, der schon bei der vorletzten Krise der Regierung im Juni gezeigt hat, dass er scheinbar nicht die Fähigkeit hat, einmal auf den Tisch zu hauen und die Regierungspartner zu disziplinieren. Wenn ein Premierminister erfährt, dass wichtige Minister seines Koalitionspartners, wie etwa der Finanz- oder Gesundheitsminister, die Regierungssitzungen unter einem gewissen Vorwand oder Motiv boykottieren werden, dann muss er sie natürlich disziplinieren und kann dies nicht einfach hinnehmen. Ebenso verhält es sich, wenn er vor wenigen Tagen meint, jemand wie Ladislav Bátora sei nicht tragbar und der Bildungsminister müsse seinen Personalchef entlassen, aber letztlich geschieht wiederum nichts, so ist dies vor allen Dingen ein Problem des Premierministers und das weiß natürlich Ladislav Bátora für seine Zwecke zu nutzen.
Wer genau ist denn dieser Bátora? Er bezeichnet sich ja selbst immer wieder als tschechischen Nationalisten. Was muss man sich darunter vorstellen?
Das ist auch eine sehr interessante Frage, denn es gibt eigentlich keinen originären tschechischen Nationalismus. Das Spektrum, das Ladislav Bátora unterstützt, ist eigentlich sehr breit angesetzt: Da sind Ultra-Liberale, die am liebsten den Staat und auch alle sozialen Einrichtungen ganz abschaffen würden, ebenso wie traditionelle Katholiken, die den Zweiten Vatikanischen Konzil für einen großen Fehler halten und glauben, man sollte wieder auf die Zeit davor besinnen. Das sind Positionen, die an sich sehr schwer unter einen Hut zu bekommen sind. Was sie allerdings eint, ist die Europa-Skepsis. Es wird regelmäßig hervorgehoben, dass Tschechien Gefahr läuft, in der immer größer werdenden Europäischen Union auseinanderzufallen oder sich aufzulösen. Natürlich ist diese Europa-Skepsis auch immer wieder mit einem mehr oder weniger offen zur Schau gestellten Deutschen-Hass verbunden. Die Kritik an Europa wird auch sehr stark mit Deutschlands Rolle in der Europäischen Union verbunden und so lassen sich natürlich auch andere Ressentiments schüren, die in der tschechischen Gesellschaft immer wieder vorhanden sind, da Deutschland als größter Nachbar in der Vergangenheit natürlich maßgeblich die tschechische Geschichte mit beeinflusst hat. Dies sind die Themen, die sowohl von Bátora als auch den Leuten, die ihn in den Medien unterstützen, wiederholt geäußert werden und das ist etwas völlig Neues. Man kann nicht sagen, Bátora ist ein Faschist, der beispielsweise versucht an die faschistische Bewegung in der Zwischenkriegszeit anzuknüpfen – das wäre zu einfach. Es handelt sich um eine neue Bewegung, die in den kommenden Wochen und Monaten vielleicht eine konkretere Gestalt annehmen wird.
Du sagst Bátora ist ein Nationalist, der auch katholische Positionen stark vertritt. Nun ist Tschechien ja nicht unbedingt bekannt dafür, derartig Standpunkte besonders zu unterstützen. Ist Bátora denn mit seinen Meinungen ein Einzelgänger, dem es immer wieder gelingt, sich öffentlich Gehör zu verschaffen oder kann er von einer breiteren Unterstützung ausgehen?
Er macht es wirklich sehr geschickt. Er provoziert natürlich ganz bewusst und wenn man provoziert, dann kann man auch als Personaldirektor eines Bildungsministeriums in die Schlagzeilen kommen und sich Gehör verschaffen. Aber Fakt ist auch, dass er seit einigen Jahren der Gruppierung D.O.S.T. vorsteht, die sich auf Deutsch mit dem Wort „genug“ übersetzen lässt. „Genug“ bedeutet für diese Leute insbesondere: Genug der europäischen Integration und genug der Political Correctness. Wichtig für die Gruppe ist, dass sie einen mittlerweile fast halboffiziellen Status erhalten hat, indem sie mehrfach vom Staatspräsidenten Václav Klaus und dessen engsten Mitarbeitern unterstützt worden ist. Zudem habe ich von Überlegungen gehört, dass aus dieser politischen Bewegung „Genug“ eine neue Partei mit stark nationalistischer, deutschfeindlicher und europakritischer Ausrichtung entstehen könnte. Denn viele der der Unterstützer Bátoras kommen aus der ODS, der dominierenden Regierungspartei, und sie werfen der Führung von Petr Nečas vor, er wäre zu europafreundlich geworden und hätte die Partei zu sehr in die Mitte, weg von den ursprünglichen konservativen Positionen gerückt. Das ist dann das Spektrum, das diese neue Bewegung und eventuelle Partei aufarbeiten könnte.