Tschechische und österreichische Historiker erforschen gemeinsam Geheimdienstaktivitäten

Viele Fragen in der Geschichte der tschechisch-österreichischen Beziehungen sind in der Vergangenheit bereits erforscht und bewertet worden, vor allem zum Thema Vertreibung gibt es mittlerweile zahlreiche Forschungsarbeiten und Publikationen. Bisher weitgehend im Dunklen geblieben ist hingegen die heikle Frage, wer in den Zeiten des Kalten Krieges wen beobachtet und bespitzelt hat. Dieser und anderen Fragen wollen das Prager Institut zum Studium Totalitärer Regime und das österreichische Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung nun nachgehen. Dazu haben die beiden Institutionen am Donnerstag in Prag ein Kooperationsabkommen geschlossen.

Stefan Karner und Daniel Herman
In den 1970er- und 1980er-Jahren, zur Hochblüte des Kalten Krieges, galt Wien als einer der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte für Agenten aus Ost und West, darunter waren auch viele Mitarbeiter des tschechoslowakischen Geheimdienstes. Mehr als 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges sei es höchste Zeit, die geheimdienstlichen Aktivitäten der Jahre 1945 bis 1989 näher zu beleuchten, meint Stefan Karner, der Leiter des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgenforschung.

„Das ist ein äußerst sensibles, aber zugleich äußerst wichtiges Thema zur Aufarbeitung unserer gemeinsamen Geschichte. Wir wissen über dieses Thema relativ wenig Bescheid. Es ist sowohl bei uns, als aber auch in Tschechien bisher nichts öffentlich gemacht worden, wie das geheimdienstliche Themen so an sich haben. Das Thema wurde tabuisiert, deshalb ist es wichtig, es jetzt aufzuarbeiten.“



Ferdinand Trauttmansdorff
Der Leiter des Prager Institutes zum Studium Totalitärer Regime, Daniel Herman, ist ebenfalls davon überzeugt, dass die nun geschlossene Kooperation einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte leisten kann. Im Gespräch mit Radio Prag schilderte er die Einzelheiten der Zusammenarbeit:

„Es geht vor allem um den Austausch von Materialen und Dokumenten. Das ist sehr wichtig. Wir haben in unserem Archiv eine ganze Menge interessanter Sachen, die auch für unsere österreichischen Partner wichtig sind. In Österreich wiederum gibt es vieles, was für uns von Interesse ist. Die kommunistischen Geheimdienste haben auf dem Gebiet Österreichs sehr aktiv gearbeitet. Das ist gerade das, was uns interessiert.“



Stefan Karner  (ganz links),  Ferdinand Trauttmansdorff  (3. von links) und Daniel Herman  (ganz rechts).
Erfreut über die Zusammenarbeit der beiden Forschungsinstitute zeigt sich auch der österreichische Botschafter in Prag, Ferdinand Trauttmansdorff. Es sei wichtig, die österreichisch-tschechische Geschichte weiter gemeinsam aufzuarbeiten und einseitige Betrachtungsweisen abzulegen. Dazu stelle er gerne das Gartenhaus seiner Residenz auf der Prager Burg zur Verfügung. Dort sollen in Zukunft regelmäßig Expertendiskussionen über die gemeinsame Geschichte stattfinden. Dabei dürfe man sich auch vor heiklen Fragen nicht fürchten, so Botschafter Trauttmansdorff gegenüber Radio Prag.

„Das ist ein ‚Risiko’, das wir aber bei zeithistorischen Forschungen immer in Kauf nehmen müssen: Es kann sein, dass hier Dinge an die Oberfläche kommen, die für die Medien interessant werden und dadurch nicht mehr ganz kontrollierbar sind. Das heißt aber nicht, dass wir uns dem nicht stellen müssen. Und ich glaube, es ist Zeit.“

In den kommenden zwei Jahren sollen nun die zahlreichen Dokumente in den Archiven in Österreich und Tschechien gesichtet und analysiert werden. Auf einer Tagung sollen die Ergebnisse dann präsentiert werden, auch eine Publikation soll entstehen, erklärten die tschechischen und österreichischen Historikerteams anlässlich der Unterzeichung des Kooperationsvertrages.

Fotos: Tomáš Hájek, Österreichische Botschaft Prag