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1) Jiří Trnka und Hermína Týrlová: Die Meister des tschechischen Puppenfilms

Foto: Barbora Němcová
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1946 fand zum ersten Mal das heute renommierte Filmfestival im französischen Cannes statt. Als bester Kurzfilm wurde das Zeichentrickmärchen „Zvířátka a Petrovští“ (Die Tiere und die Räuber von Petrov) ausgezeichnet. Damit feierte nicht nur dessen Schöpfer Jiří Trnka seinen ersten internationalen Erfolg, sondern auch das neue Trickfilmstudio „Bratři v triku“ (Brüder im T-Shirt), in dem der Film entstanden war. Es begann die goldene Ära des tschechischen Trickfilms, an der unzählige Zuschauer auf der ganzen Welt teilhatten.

Jiří Trnka  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Zeichner, Illustrator, Marionettenspieler, Bildhauer und Drehbuchautor – Jiří Trnka gehört zu den Pionieren des tschechischen Trickfilms. Diese spezielle Branche wurde von der kommunistischen Führung der damaligen Tschechoslowakei in besonderem Maße gefördert. Schließlich brachte sie dem Land einen guten Ruf bei den internationalen Festivals ein und nicht wenig Geld durch das Geschäft mit dem Westen. „Bratři v triku“ gehörte gemeinsam mit anderen Studios zum Staatsunternehmen „Krátký film“ (Kurzfilm). Allein dort wurden Hunderte von Filmen geschaffen, inklusive dem populären Abendgruß, ähnlich dem ostdeutschen „Sandmännchen“.

Michaela Mertová  (Foto: Archiv des Instituts für das Studium der totalitären Regime)

Die Anfänge des Trickfilmstudios, das im Sommer 1945 kurz nach der Befreiung der ČSSR entstand, reichen bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück. Michaela Mertová ist Filmhistorikerin:

„Die Deutschen wollten mit Walt Disney mithalten und im großen Stil Trickfilme produzieren. Also haben sie in Prag ein Studio gegründet. Und die Studenten und Anwärter der Kunsthochschulen, die sich unter normalen Umständen mit Architektur, Malerei oder Grafik, aber eben nicht mir Trickfilm beschäftigt hätten, wurden nun vor die Wahl gestellt. Sie konnten einen Arbeitsplatz in dem Studio bekommen oder aber in die Industrie oder Landwirtschaft gehen. Viele haben sich dann im Trickfilm eingearbeitet. Zu Ende des Krieges gab es also eine Gruppe von Leuten, die schon Erfahrungen mit der Animation hatten.“

„Stvoření světa“  (Die Erschaffung der Welt). Quelle: Tschechisches Fernsehen

Unter den Enthusiasten, die beim Trickfilm blieben, war zum Beispiel Eduard Hofman. Er verarbeitete später die Märchen der Brüder Čapek und beteiligte sich am französisch-tschechoslowakischen Film „Stvoření světa“ (Die Erschaffung der Welt). Zum jungen Team gehörte auch Zdeněk Miler, der Schöpfer des heute legendären kleinen Maulwurfs. Von ihm stammt im Übrigen das Logo der „Bratři v triku“, die drei lockenköpfigen Jungs nämlich im blau-weiß gestreiften T-Shirt. Die künstlerische Leitung des Studios übernahm der etwas ältere und erfahrene Jiří Trnka. Historikerin Mertová:

Foto: Benjamin Thompson,  Flickr,  CC BY-SA 2.0

„Die jungen Mitarbeiter wollten eben nicht Filme wie die von Walt Disney produzieren. Sie wollten ihre eigenen Sachen machen, nach ihren eigenen Ideen und künstlerischem Stil. Darin hat sie Trnka sehr unterstützt.“

Vollbewegliche Puppen

Jiří Trnka war bis zu dieser Zeit vor allem als Illustrator tätig. Filme stellten für ihn eine neue Herausforderung dar, wie sich sein Enkel Matyáš Trnka erinnert:

Jiří Brdečka  (Foto: Aerofilms)

„Er musste das selbst erst erlernen. Also studierte er die Fachliteratur, übte sich an Drehbüchern und im Schnitt. Zudem umgab er sich mit Menschen, die ihn dabei unterstützten. Dazu gehörte etwa Jiří Brdečka, sein lebenslanger Co-Autor, der einen ausgeprägten Sinn für Film und Szene hatte.“

„Ruka“  (Die Hand). Foto: Jan Kaliba,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

Trnkas Herz jedoch gehörte den Puppen. Als junger Künstler fertigte er diese für das Josef-Skupa-Theater in Plzeň / Pilsen an. Um mit dieser Trickform weiter zu experimentieren, gründete Trnka 1947 sein eigenes Studio für Puppenfilme. Bis zu seinem Tod 1969 drehte er mehr als 20 solcher Werke, darunter mehrere in Spielfilmlänge. Die letzte dieser Arbeiten war „Ruka“ (Die Hand) von 1965. Der Streifen ist eine Allegorie auf die Unfreiheit eines Künstlers im kommunistischen Regime und weckte ungewöhnlich großes Interesse beim namhaften Animationsfilmfestival im französischen Annecy.

Trnkas Puppen  (Foto: Jan Langer,  ČT24)

Überhaupt feierten Trnkas Filme große Erfolge im Ausland. Dort wurden sie, im Unterschied zur Tschechoslowakei, auch einem erwachsenem Publikum vorgeführt. Als Erzählerstimmen fungierten berühmte Schauspieler wie etwa Richard Burton in Großbritannien oder Jean Desailly in Frankreich. Von den Kommentaren aus dem Off abgesehen, sind Trnkas Puppen stumm und ohne veränderbare Mimik. Trotzdem vermittelten sie Emotionen, hervorgerufen durch ihre Bewegungen und das Spiel mit Licht und Schatten. Jan Trnka sagte selbst über seine Technik:

Trnkas Puppen im Film ‚Ein Sommernachtstraum‘  (Foto: Krátký Film Praha)

„Mir war es immer wichtig, dass die Puppen auch als Puppen erkennbar sind und nicht Menschen nachahmen. Darum wirken ihre Gesichter eher wie Masken. Schon die Masken in der Antike hatten immer nur einen bestimmten Ausdruck. Unser Schwerpunkt lag auf der Bewegung, also als Pantomime. Das Gesicht hat dabei nie eine große Rolle gespielt.“

Autodidaktin Týrlová

Trnkas Puppen  (Foto: Jan Langer,  ČT24)

Vielmehr bastelte der Künstler mit seinem Team an den feingliedrigen und beweglichen Gerüsten der Puppen. Sie hatten etwa filigrane Hände mit Fingern und Gelenken aus Draht, damit jeder Körperteil je nach Bedarf positioniert werden konnte. Diese Technik wird bis heute angewandt.

Film ‚Ein Sommernachtstraum‘  (Quelle: Tschechisches Fernsehen)

Matyáš Trnka berichtet über die technische Neugier und weitere Pionierarbeit seines Großvaters:

„Schon seinen Film ‚Ein Sommernachtstraum‘ (1959, nach der Vorlage von Shakespeare, Anm. d. Red.) drehte er als erster in Tschechien in Farbe und im Weitwinkelformat. Das war eine ganz neue technische Herangehensweise. Meinem Großvater hat es Spaß gemacht, neue Wege und Möglichkeiten zu suchen. Ich glaube, wenn er heute noch leben und arbeiten würde, würde er das ganze Potential von Computern und moderner Technik begrüßen, die so viel Neues für den Animationsfilm mit sich bringen.“

Hermína Týrlová  (Foto: Nationales Filmarchiv)

Ein weiteres berühmtes Studio, das sich um den Ruhm des tschechischen Animationsfilms verdient gemacht hat, besteht seit 1936 im mährischen Zlín. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat dort neben Karel Zeman auch Hermína Týrlová gearbeitet – eine der wenigen Frauen, die sich in Tschechien in diesem Bereich durchgesetzt haben. Týrlová war Autodidaktin, schrieb Drehbücher nach ihren eigenen Ideen und fertigte oft auch selbst die Requisiten an. Durch ihre Filme nahm sie die Kommunikation mit den kleinen Zuschauern auf und kehrte auf gewisse Weise in ihre eigene Kindheit zurück. Historikerin Mertová erläutert:

Dokufilm über Hermína Týrlová

„Týrlová wurde sehr früh Waise. Das hat sich auf ihr Leben und ihr Schaffen ausgewirkt. Sie wusste, wie empfindlich Kinder sind und dass die sie umgebende Welt manchmal feindselig sein kann. Sie wollte den Allerkleinsten entgegenkommen und ihnen erklären, was um sie herum geschieht. Dabei sollten ihre Filme helfen, die sie bis ins hohe Alter gedreht hat. Als sie ihren letzten Film fertigstellte, war sie schon über 80.“

Von Týrlová stammen über 60 Arbeiten, in der Mehrzahl Kurzfilme. Viele von ihnen wurden sowohl in der Tschechoslowakei als auch im Ausland ausgezeichnet. Erfolgreich war vor allem die Serie „Ferda mravenec“ (Ferdy, die Ameise). Im Antikriegsfilm „Vzpoura Hraček“ (Aufstand der Spielzeuge) von 1946 trafen erstmals Puppen mit einem echten Schauspieler zusammen. Den Durchbruch erreichte Týrlová aber 1958 mit „Uzel na kapesníku“ (Der Knoten im Taschentuch), in dem sie einem Stück Stoff Leben einhauchte. Die Künstlerin erinnerte sich an den Dreh wie folgt:

„Uzel na kapesníku“  (Der Knoten im Taschentuch)

„Diese Geschichte habe ich mir selbst ausgedacht. Und lange habe ich mich davor gefürchtet, dies umzusetzen, weil es schwierig ist. Das Stück Stoff, gebunden zum Knoten, soll ja etwas spielen. Und die Geschichte muss für Kinder verständlich sein. Letztlich ist es mir aber gut gelungen.“

Der Stoff, aus dem Geschichten sind

Foto: ČT24

Seitdem benutzte die Künstlerin für ihre Filme die unterschiedlichsten Materialien: Filz, Wolle, Perlen, Holzbausteine und sogar Figuren aus nicht essbarem Gebäck, dem sogenannten Vizovice-Teig. Michaela Mertová fährt fort:

„Eine weitere ihrer Arbeiten ist die Serie über den blauäugigen Kater, also die Geschichte eines Katzenjunges, das die Welt entdeckt. Dafür benutzte sie gestrickte Puppen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Stricken in Tschechien sehr beliebt, die Muttis und Omas strickten den Kindern bunte Mützen. So kann aus allem, was Kinder um sich herum wahrnehmen, eine Geschichte entstehen und ein Held, dem sie sich nahe fühlen.“

Serie über den blauäugigen Kater  (Foto: ČT24)

Hermína Týrlová, die selbst keine Kinder hatte, brachte die kleinen Zuschauer nicht nur zum Lachen. Vor allem wollte sie ihre Phantasie anregen. Es sind diese Originalität, die künstlerischen Ideen, die Handwerkskunst und die Qualität der Geschichten, für die nicht nur Týrlová, sondern auch andere Schöpfer tschechischer Animationsfilme im Ausland gefeiert wurden.

„Vzpoura Hraček“  (Aufstand der Spielzeuge)

Wann aber endete diese goldene Ära? Historikerin Mertová sieht einen deutlichen Einschnitt mit dem Ende des Staatsmonopols 1990. Die Studios wurden privatisiert, und eine ganze Reihe erfahrener Filmschaffender kehrte ihnen den Rücken:

„Die Studios konnten nicht an frühere Zeiten anknüpfen. Sie brachten keine neuen Künstler hervor, die von ihren Vorgängern lernten und Technik, Themen oder Wissen weiterentwickelten. Wenn man also heute in Tschechien einen Animationsfilm in abendfüllender Länge drehen wollte, müsste man erst wieder ein neues Studio eröffnen.“

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