Tschechischer Kubismus im Haus zur Schwarzen Mutter Gottes
Der Kubismus entstand als eine der Stilrichtungen der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und zwar in der französischen Malerei und Bildhauerei. Von diesen Werken ließen sich auch tschechische Künstler inspirieren. Im Unterschied von Frankreich übertrugen tschechische Architekten und Künstler den Kubismus aber auch auf Architektur und Kunsthandwerk, das war weltweit einzigartig. Kubistische Möbel, aber auch Glas und Gemälde sind in einer neuen Dauerausstellung im kubistischen Haus zur Schwarzen Mutter Gottes in Prag zu sehen.
In der Welt einzigartig: Kubismus in Architektur und Design
Das Haus ist heutzutage voll von kubistischen Möbeln, Gemälden, Plastiken, Glas, Keramik und Porzellan. Dies alles dokumentierte die einzigartige tschechische oder eher Prager Kunstrichtung, sagt die Kuratorin. In der Dauerausstellung sind Werke namhafter Architekten, Maler, Bildhauer und Designer zu sehen.
„Das waren Architekten und Künstler, die eine neue Kunst schaffen wollten. Ihr Ziel war es, sich vom dekorativen Jugendstil zu befreien. Sie wollten etwas Geometrisches machen, das einem neuen Lebensstil entsprach. Darin besteht jedoch ein Paradox, die Kunstgeschichte ist voll von Paradoxen. Denn unter dem Aspekt der Nützlichkeit der Gegenstände war der Kubismus eine Sackgasse. Es war schwer kubistische Gegenstände zu erzeugen. Mit klassischen handwerklichen Techniken konnten jedenfalls kaum jene Artefakte angefertigt werden, die Dreieck- oder Pyramidenformen hatten. Über die kubistischen Möbel machten sich Karikaturisten lustig. Es gab beispielsweise eine Zeichnung, auf der ein Mensch mit Gipsverband und mit Krücken abgebildet wurde. Er wurde gefragt, was ihm passiert sei. Er antwortete, er habe sich nur auf eine kubistische Couch setzen wollen.“Kristallformen als Inspiration
Der Kubismus entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankreich. Zu den Begründern gehörten Pablo Picasso, Georges Braque oder André Derain. Tschechische Künstler, die damals nach Paris kamen, waren von ihren Werken fasziniert. Nach der Heimkehr entwickelten die Tschechen die Kunstrichtung aus Paris auf höchst interessante Weise weiter, sagt Daniela Karasová:„Es handelte sich um eine Gruppe von bildenden Künstlern, die sich vom Künstlerverein Mánes abspaltete. Sie gründeten die Künstlergruppe SVU (SVU – Skupina výtvarných umělců). Mitglieder waren beispielsweise die Maler Emil Filla, Josef Čapek und Václav Špála und der Bildhauer Otto Gutfreund. Auch der Schriftsteller Karel Čapek war dabei. Zu der Künstlergruppe gehörten zudem Architekten und Theoretiker wie Pavel Janák, Josef Chochol und Vlastislav Hofman. Ihr Ziel war es, Nutzgegenstände zu entwerfen, die zudem einen künstlerischen Wert haben sollten. Die Künstler inspirierten sich an der Form von Kristallen. Von Pavel Janák zeigen wir hier eine Dose, die die Form eines mineralischen Kristalls hat.“
Die Namen von fast allen Auftraggebern, für die die ausgestellten Möbel und andere Exponate entworfen wurden, sind bekannt. Es seien die Künstler oder Kunsttheoretiker selbst oder deren Freunde gewesen, sagt die Expertin:„Diesen Schreibtisch entwarf Josef Gočár für den Kunsttheoretiker V.V. Štech. Er war ein Altersgenosse dieser jungen Künstler und Architekten. Štech hat als Theoretiker die Künstler propagiert. Den Tisch verkaufte Štech dann selbst an das Museum. Während des Kommunismus wurden viele Intellektuelle verfolgt und oft dazu gezwungen, aus einer großen Wohnung in eine kleine umzuziehen. Meistens konnten sie ihre Möbel nicht mitnehmen. Es war dann ein Glück, wenn solche wertvollen Stücke ins Museum kamen.“
Gočárs Interieur von Werkbund-Ausstellung wiedergefunden
In den letzten 20 Jahren erfreuen sich kubistische Möbeln großer Beliebtheit. Das Kunstgewerbemuseum besitzt eine sehr große Sammlung von kubistischen Artefakten. Das kubistische Interieur gegenüber dem Eingang in den Ausstellungssaal finde sie besonders beachtenswert, sagt die Expertin:
„Es ist Teil eines Interieurs, das 1914 auf einer Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Köln zu sehen war. Die Schau wurde kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs eröffnet und musste dann vorzeitig beendet werden. Jahrelang haben wir vermutet, dass der Großteil der Artefakte von diesem Esszimmer nie nach Böhmen zurückgebracht wurde. Vor ein paar Jahren erschien in Prag ein großer Bildband über Architekt Josef Gočár. Ich habe die Kapitel über Möbel zusammengestellt. Kurz darauf meldete sich ein Mann bei mir, der sagte, er besitze einen Teil des im Buch abgebildeten Interieurs. Ich habe ihn besucht und dort diesen kubistischen Tisch, die wunderbaren kubistischen Stühle und den Glasschrank gesehen. Interessant war, dass auf den Stühlen noch Aufkleber mit der Aufschrift ‚Zollamt Prag‘ zu finden waren. Es waren also die Möbel, die wir für verschwunden gehalten haben.“
Das Haus zur Schwarzen Mutter Gottes ist nicht die einzige kubistische Sehenswürdigkeit in der tschechischen Hauptstadt. In der Ausstellung erhältlich ist ein Stadtplan, auf dem weitere kubistische Gebäude eingezeichnet sind. Daniela Karasová empfiehlt, zum Abschluss der Visite noch das kubistische Café im Haus zur Schwarzen Mutter Gottes zu besuchen.„Es gibt hier bewundernswerte kubistische Kronleuchter und Erkerfenster. Auch die Laternen und die Kleiderhaken sind kubistisch geformt. Das Café wurde sehr behutsam restauriert, obwohl bis auf ein paar Fotos vom ursprünglichen Café nur wenige Originaldokumente erhalten blieben.“
Ein Muss für Dessert-Liebhaber im „Café Grand Orient“ ist übrigens der kubistische Spritzkuchen.Die Dauerausstellung über den tschechischen Kubismus im Haus zur Schwarzen Mutter Gottes ist täglich außer Montag geöffnet, und zwar von 10 bis 18 Uhr.