Tschechischer Kubismus im Haus zur Schwarzen Mutter Gottes

Foto: Martina Schneibergová

Der Kubismus entstand als eine der Stilrichtungen der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und zwar in der französischen Malerei und Bildhauerei. Von diesen Werken ließen sich auch tschechische Künstler inspirieren. Im Unterschied von Frankreich übertrugen tschechische Architekten und Künstler den Kubismus aber auch auf Architektur und Kunsthandwerk, das war weltweit einzigartig. Kubistische Möbel, aber auch Glas und Gemälde sind in einer neuen Dauerausstellung im kubistischen Haus zur Schwarzen Mutter Gottes in Prag zu sehen.

Haus zur Schwarzen Mutter Gottes  (Foto: Martina Schneibergová)
Das Haus an der Ecke der Straße Celetná und des Obstmarktes in der Prager Altstadt gehört zu den ältesten kubistischen Gebäuden in Prag. Es wurde 1912 nach dem Entwurf von Architekt Josef Gočár erbaut. Benannt wurde es nach einer Plastik aus dem 17. Jahrhundert, die außen an einer Ecke des Hauses platziert wurde. Das Prager Kunstgewerbemuseum hat vor kurzem in der zweiten und dritten Etage des Hauses eine neue Dauerausstellung über den tschechischen Kubismus eröffnet. Daniela Karasová leitet im Kunstgewerbemuseum die Sammlung der Möbel und Metallgegenstände. Mit einer kubistischen Baskenmütze auf dem Kopf führt Karasová durch die Ausstellung.

Daniela Karasová  (Foto: Martina Schneibergová)
„Wir befinden uns im Haus zur Schwarzen Mutter Gottes, das zu den ältesten und – meiner Meinung nach – auch schönsten kubistischen Bauten gehört. Ursprünglich wurde es als Kaufhaus entworfen. Das Gebäude hat einige Mal den Besitzer gewechselt, aber ist praktisch samt der ursprünglichen Gestaltung original erhalten. Während des Kommunismus wurden hier Büros eingerichtet, der große Saal wurde durch Wände geteilt. Nach der Wende 1989 hat Architekt Karel Prager das Haus komplett restauriert.“

In der Welt einzigartig: Kubismus in Architektur und Design

Das Haus ist heutzutage voll von kubistischen Möbeln, Gemälden, Plastiken, Glas, Keramik und Porzellan. Dies alles dokumentierte die einzigartige tschechische oder eher Prager Kunstrichtung, sagt die Kuratorin. In der Dauerausstellung sind Werke namhafter Architekten, Maler, Bildhauer und Designer zu sehen.

Foto: Martina Schneibergová
„Das waren Architekten und Künstler, die eine neue Kunst schaffen wollten. Ihr Ziel war es, sich vom dekorativen Jugendstil zu befreien. Sie wollten etwas Geometrisches machen, das einem neuen Lebensstil entsprach. Darin besteht jedoch ein Paradox, die Kunstgeschichte ist voll von Paradoxen. Denn unter dem Aspekt der Nützlichkeit der Gegenstände war der Kubismus eine Sackgasse. Es war schwer kubistische Gegenstände zu erzeugen. Mit klassischen handwerklichen Techniken konnten jedenfalls kaum jene Artefakte angefertigt werden, die Dreieck- oder Pyramidenformen hatten. Über die kubistischen Möbel machten sich Karikaturisten lustig. Es gab beispielsweise eine Zeichnung, auf der ein Mensch mit Gipsverband und mit Krücken abgebildet wurde. Er wurde gefragt, was ihm passiert sei. Er antwortete, er habe sich nur auf eine kubistische Couch setzen wollen.“

Kristallformen als Inspiration

Foto: Martina Schneibergová
Der Kubismus entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankreich. Zu den Begründern gehörten Pablo Picasso, Georges Braque oder André Derain. Tschechische Künstler, die damals nach Paris kamen, waren von ihren Werken fasziniert. Nach der Heimkehr entwickelten die Tschechen die Kunstrichtung aus Paris auf höchst interessante Weise weiter, sagt Daniela Karasová:

„Es handelte sich um eine Gruppe von bildenden Künstlern, die sich vom Künstlerverein Mánes abspaltete. Sie gründeten die Künstlergruppe SVU (SVU – Skupina výtvarných umělců). Mitglieder waren beispielsweise die Maler Emil Filla, Josef Čapek und Václav Špála und der Bildhauer Otto Gutfreund. Auch der Schriftsteller Karel Čapek war dabei. Zu der Künstlergruppe gehörten zudem Architekten und Theoretiker wie Pavel Janák, Josef Chochol und Vlastislav Hofman. Ihr Ziel war es, Nutzgegenstände zu entwerfen, die zudem einen künstlerischen Wert haben sollten. Die Künstler inspirierten sich an der Form von Kristallen. Von Pavel Janák zeigen wir hier eine Dose, die die Form eines mineralischen Kristalls hat.“

Schreibtisch für V. V. Štech
Die Namen von fast allen Auftraggebern, für die die ausgestellten Möbel und andere Exponate entworfen wurden, sind bekannt. Es seien die Künstler oder Kunsttheoretiker selbst oder deren Freunde gewesen, sagt die Expertin:

„Diesen Schreibtisch entwarf Josef Gočár für den Kunsttheoretiker V.V. Štech. Er war ein Altersgenosse dieser jungen Künstler und Architekten. Štech hat als Theoretiker die Künstler propagiert. Den Tisch verkaufte Štech dann selbst an das Museum. Während des Kommunismus wurden viele Intellektuelle verfolgt und oft dazu gezwungen, aus einer großen Wohnung in eine kleine umzuziehen. Meistens konnten sie ihre Möbel nicht mitnehmen. Es war dann ein Glück, wenn solche wertvollen Stücke ins Museum kamen.“

Gočárs Interieur von Werkbund-Ausstellung wiedergefunden

In den letzten 20 Jahren erfreuen sich kubistische Möbeln großer Beliebtheit. Das Kunstgewerbemuseum besitzt eine sehr große Sammlung von kubistischen Artefakten. Das kubistische Interieur gegenüber dem Eingang in den Ausstellungssaal finde sie besonders beachtenswert, sagt die Expertin:

„Es ist Teil eines Interieurs, das 1914 auf einer Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Köln zu sehen war. Die Schau wurde kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs eröffnet und musste dann vorzeitig beendet werden. Jahrelang haben wir vermutet, dass der Großteil der Artefakte von diesem Esszimmer nie nach Böhmen zurückgebracht wurde. Vor ein paar Jahren erschien in Prag ein großer Bildband über Architekt Josef Gočár. Ich habe die Kapitel über Möbel zusammengestellt. Kurz darauf meldete sich ein Mann bei mir, der sagte, er besitze einen Teil des im Buch abgebildeten Interieurs. Ich habe ihn besucht und dort diesen kubistischen Tisch, die wunderbaren kubistischen Stühle und den Glasschrank gesehen. Interessant war, dass auf den Stühlen noch Aufkleber mit der Aufschrift ‚Zollamt Prag‘ zu finden waren. Es waren also die Möbel, die wir für verschwunden gehalten haben.“

Café im Haus zur Schwarzen Mutter Gottes  (Foto: Martina Schneibergová)
Das Haus zur Schwarzen Mutter Gottes ist nicht die einzige kubistische Sehenswürdigkeit in der tschechischen Hauptstadt. In der Ausstellung erhältlich ist ein Stadtplan, auf dem weitere kubistische Gebäude eingezeichnet sind. Daniela Karasová empfiehlt, zum Abschluss der Visite noch das kubistische Café im Haus zur Schwarzen Mutter Gottes zu besuchen.

„Es gibt hier bewundernswerte kubistische Kronleuchter und Erkerfenster. Auch die Laternen und die Kleiderhaken sind kubistisch geformt. Das Café wurde sehr behutsam restauriert, obwohl bis auf ein paar Fotos vom ursprünglichen Café nur wenige Originaldokumente erhalten blieben.“

Foto: Martina Schneibergová
Ein Muss für Dessert-Liebhaber im „Café Grand Orient“ ist übrigens der kubistische Spritzkuchen.


Die Dauerausstellung über den tschechischen Kubismus im Haus zur Schwarzen Mutter Gottes ist täglich außer Montag geöffnet, und zwar von 10 bis 18 Uhr.