Tschechischer „Wunderheiler“ bei Berlinale

Film „Der Scharlatan“ (Foto: Alžběta Jungrová, Marlene Film Production)

Die Berlinale veröffentlicht derzeit in kleinen Happen ihr Programm. Vergangene Woche wurde bekannt, dass der in Tschechien gedrehte neue Film der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland bei den Filmfestspielen in der deutschen Hauptstadt seine Premiere feiern soll. Die Regisseurin war in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks zu Gast.

Film „Der Scharlatan“  (Foto: Alžběta Jungrová,  Marlene Film Production)

Agnieszka Holland  (Foto: Martin J. Kraft,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die anerkannte polnische Regisseurin Agnieszka Holland hat eine enge Beziehung zu Tschechien. Sie hat die Prager Filmhochschule Famu abgeschlossen. 2013 drehte sie in Tschechien bereits ihre Serie „Burning Bush – Die Helden von Prag“. In drei Episoden erzählt sie darin von den Folgen und Nachwirkungen der öffentlichen Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Im vergangenen Jahr entstand hierzulande auch ihr bisher letzter Streifen, in dem sie wieder das Schicksal einer tschechischen Persönlichkeit aufgreift. Die Filmbiografie „Der Scharlatan“ (Englisch: Charlatan) erzählt von dem tschechischen Heiler Jan Mikolášek (1887-1973), einem Mann mit außergewöhnlichen Fähigkeiten.

„Der ‚Scharlatan‘ basiert auf wirklichen Ereignissen und bleibt diesen ziemlich treu. Gleichzeitig bietet der Film viel Freiheit und einen spielerischen Umgang mit der Biographie. Das liegt auch daran, dass die Hauptfigur wenig bekannt ist. Als schriftliche Quelle liegt nur ein Buch vor, das er über sich selbst geschrieben hat. In dieser Autobiographie malt er sein Leben verständlicherweise schön. Weiter gibt es Gerichtsakten, ansonsten stehen nur wenige authentische Quellen zur Verfügung. Daher habe ich die Fantasie spielen lassen. Es ist ein Spielfilm und keine Dokumentation.“

Biographie des Heilers Jan Mikolášek

Film „Der Scharlatan“  (Foto: Marlene Film Production)
Der Film erzählt von dem tschechischen Heiler Jan Mikolášek, der Mitte des 20. Jahrhunderts mehreren Tausend Menschen aus allen Gesellschaftsschichten geholfen haben soll. Der Sohn eines Gärtners, der an die Kraft der Heilkräuter glaubte, galt als „Wunderheiler“. Die Menschen standen Schlange vor seiner Praxis in Třebechovice pod Orebem, in Hradečno bei Kladno und später in seiner Villa in Jenštejn bei Prag. Zu den Patienten zählten unter anderem die Fabrikantenfamilie Ringhoffer, der NSDAP-Offizier Martin Bormann und der spätere tschechoslowakische Staatspräsident Antonín Zápotocký. Letzterer litt nach einer Inhaftierung in einem deutschen Konzentrationslager an einem Bein an Wundbrand, und durch Mikolášek konnte eine Amputation umgangen werden. Nach dem Tod des Präsidenten kam es allerdings zu einem Schauprozess gegen den „Wunderheiler“. Jan Mikolášek wurde zu drei Jahren Haft verurteilt.

Film „Der Scharlatan“  (Foto: Marlene Film Production)
„Mikolášek ist in unserer Darbietung beziehungsweise in der Interpretation des Schauspielers Ivan Trojan eine ambivalente, dramatische oder sogar tragische Persönlichkeit. In seiner Seele spielt sich ein Kampf ab zwischen Gott und dem Teufel. Man sieht, wie schwer es ist, wenn ein Mensch eine außerordentliche Begabung hat. Diese Begabung kann unter gewissen Umständen zum Fluch werden. Der Hochmut kann aus einem großzügigen einen bösen Menschen machen. Für mich ist am wichtigsten zu schildern, was im Gemüt der Hauptfigur passiert. Es ist im Grunde eine psychologisch-philosophische Betrachtung über Jan Mikolášek. Gleichzeitig war es uns wichtig, dass die Geschichte farbig, lebendig und fesselnd ist.“

Agnieszka Holland und tschechische Drehbuchautoren¨

Marek Epstein  (Foto: Šárka Ševčíková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Das Drehbuch für den „Scharlatan“ hat der renommierte tschechische Autor Marek Epstein geschrieben. Für Agnieszka Holland war es die zweite Zusammenarbeit mit einem jungen tschechischen Drehbuchautor. Zuvor hatte sie mit Štěpán Hulík den Film über Jan Palach gemacht:

„Sie sind zwei unterschiedliche Persönlichkeiten. Beide sind sehr begabt. Sie haben ein Erzähltalent und nehmen ihre Arbeit sehr ernst. Ihre Vorstellungskraft und ihre Beziehung zur Realität unterscheiden sich aber. Štěpán ist in der konkreten Realität tief versunken, Marek besitzt eine stärkere literarische Vorstellungskraft. Beide sind sehr offen, daher ist die Zusammenarbeit mit ihnen hervorragend. Ihr Ego ist stark genug, um als Künstler arbeiten zu können. Zugleich aber nicht so stark, dass sie nicht auch einlenken können, wenn sich eine bessere Lösung bietet.“

Film „Der Scharlatan“  (Foto: Marlene Film Production)
Die Dreharbeiten begannen Anfang April 2019 im ehemaligen Gefängnis von Mladá Boleslav / Jungbunzlau in Mittelböhmen. Nach 36 Drehtagen wurden sie Anfang Juli 2019 beendet. Die ersten Reaktionen auf den Film bei den Zuschauern seien positiv gewesen, sagt die Regisseurin. Allerdings habe sie ihn bisher nur in einem engeren Kreis von Freunden gezeigt:

„Es ist gewissermaßen ein Risiko, dass hierzulande keine Screenings für Fachleute gemacht werden, wie dies im Westen – vor allem in den USA – üblich ist. Dabei wird zwar in die Intimität des Films brutal eingegriffen, gleichzeitig handelt es sich aber auch um eine echte Wahrheitsprobe. Wenn man sein neues Werk seinen Bekannten zeigt, sind sie a priori positiv dafür eingenommen. Und es herrscht auch eine andere Energie bei der Projektion, als wenn fremde Menschen den Film schauen. Bei meinem vorherigen Werk ‚Mr. Jones‘ habe ich eben in Berlin ein größeres Screening gemacht. Dabei wurde mir klar, wo ich den Film kürzen kann. Wir haben etwa 20 Minuten weggeschnitten, und es war gerade das, was der Film brauchte. Das hat sehr geholfen.“

Einladung zu Berlinale

Ivan Trojan und Agnieszka Holland  (Foto: Cinemart)
Der künstlerische Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, hat den „Scharlatan“ nun zu der Veranstaltung eingeladen. Chatrian hatte im vergangenen Jahr die neue Sektion „Special Gala“ für Streifen außerhalb des Wettbewerbs gegründet. Agnieszka Holland:

„Es gefällt mir, den Film außer Konkurrenz zu zeigen. Das habe ich schon viele Male gemacht und würde sagen, dass es sich nicht immer lohnt.“

Bei der Berlinale hat die weltbekannte Regisseurin zuvor bereits drei ihrer Werke im Hauptwettbewerb gezeigt. „Charlatan“ ist in tschechisch-polnisch-irisch-englisch-slowakischer Koproduktion entstanden. Das komplette Filmteam soll nach Berlin reisen, mit den Hauptdarstellern an der Spitze:

Foto: Marlene Film Production
„Ivan Trojan ist eines der Gesichter des Films. Er hat eine schöne Rolle, die ganz anders ist als das, was er zuvor gespielt hat. Sein Sohn Josef Trojan ist auch dabei, er hat Mikolášek in seinen jüngeren Jahren gespielt. Das ist der zweite wichtige Darsteller im Film. Und ich hoffe, dass meine engsten Mitarbeiter auch mit nach Berlin fahren.“

Die Regisseurin jedenfalls weiß die Teilnahme an der Berlinale zu schätzen:

„Wenn ein Film aus einem Land wie Tschechien, Polen oder Rumänien international besprochen wird, kommen mehr Zuschauer in Kino. Die Festivals, vor allem die großen und prestigeträchtigen, beeinflussen das Publikum. Gleichzeitig ist es ein Schritt dazu, dass der Film im internationalen Kontext bestehen kann. In Europa gibt es im Grunde drei große Festivals, und die Berlinale ist eines davon. Dorthin kommen viele Vertreter der Verleihfirmen und Chefs kleinerer Festivals. Es ist eine gute Gelegenheit. Daher hoffe ich, dass unser Film dort gefallen wird. Wenn er keinen Anklang findet, kann nicht einmal die Teilnahme am Festival mehr helfen. Wenn er aber positive Resonanz erhält, dann ist das hilfreich.“