Vaclav Havels Neujahrsansprache im Spiegel der Medien
Veehrte Hörerinnen und Hörer, zum ersten Medienspiegel des neuen Jahres begrüssen Sie recht herzlich Jörn Nuber und Robert Schuster.
Es ist also kein Wunder, dass sich die Kommentatoren der heimischen Tageszeitungen mit der Neujahrsrede Havel eingehend beschäftigten. Für besonderes Aufsehen sorgten dabei vor allem jene Aussagen Havels, in welchen er die Mitbürger vor der Wahl von selbsternannten Volkstribunen warnte, denen es laut dem Präsidenten nur um die Beschneidung der Demokratie in Tschechien gehe. Dafür hagelte in Richtung Vaclav Havels Kritik von allen Seiten und einen ähnlichen Ton wählten auch einige Redakteure, wie z.B. Karel Steigerwald in der auflagenstärksten tschechischen Tageszeitung, der Mlada fronta Dnes:
"Der Präsident hat es bereits entschieden. In diesem Wahljahr befinden wir uns auf einem Scheideweg, wir stehen vor einer Schicksalswahl, einer Grundsatzentscheidung. So oder so. Wir stehen vor einer Wahl zwischen Hölle und Paradies. (...) Dennoch sind aber die Richtungen in die wir uns begeben können schon von vornherein gegeben: Die eine Richtung ist Wahrheit und Liebe, die andere dann die Verknüpfung von Kapital und Mafia. Von diesem Blickpunkt aus betrachtet ist die Entscheidung für eine der beiden Richtungen nicht schwer zu treffen und genau das wollte uns Havel in seiner Rede einreden."
Havels Neujahrsbotschaft an die Bürger war also nach der Meinung von Karel Steigerwald allzu schwarzmalerisch, woraus er folgenden Aufruf an die Leser richtet:
"Versuchen wir doch beim nächstenmal ein Staatsoberhaupt zu wählen, das uns künftig in seinen Ansprachen sagen wird, dass das kommende Jahr ähnlich schlicht wie die vorhergehenden verlaufen wird!"
Ähnlich wie Karel Steigerwald, ist auch Jiøí Hanák von der linksorientierten Zeitung Pravo der Ansicht, das Staatsoberhaupt hätte in seiner Botschaft zu Jahresbeginn positivere Töne anschlagen sollen. Schliesslich konnte Tschechien laut Hanák 2001 einige Erfolge verbuchen, die nicht selbstverständlich waren, wie z.B. ein starkes Wirtschaftswachstum oder bei den Beitrittsverhandlungen mit der EU. Weiter steht im Leitartikel von Jiøí Hanák folgendes zu lesen:
"Václav Havel hat diesmal ein wenig von seiner Rasanz in früheren Neujahrsansprachen vermissen lassen. Den professionellen Scharfschützen unter seinen Kritikern gewährte er jedoch ausreichend Munition für einen Angriff. Vor allem dort, wo er vor Manipulatoren warnte, denen es ausschliesslich um die Ergreifung der Macht und deren Erhaltung geht, hat sich jeder der angesprochenen aber nicht namentlich genannten sofort wiedergefunden. Deren prompte Reaktion zeigte, dass Havel sein Ziel nicht verfehlte."
Die dritte Zeitung im Bunde, aus der wir Ihnen heute zitieren möchten, ist die Wirtschaftszeitung Hospodáøské noviny. Martin Denemark hat dort als einer der wenigen Kommentatoren sein Augenmerk ausschliesslich auf die Wahlen vom kommenden Frühjahr und Herbst ausgerichtet, wenn er u.a. schreibt:
"Je näher die Wahlen rücken, desto umtriebiger werden unsere gewählten Vertreter. So kommt es oft vor, dass auch jene von sich zu wissen geben, die ansonsten das ganze Jahr über stumm sind. Vor allem die Parteispitzen wollen uns jetzt Angst einjagen und uns vor dem Wahlmarathon einschüchtern."
Dazu gebe es jedoch laut Denemark keinen Grund und er rät deshalb den Lesern vor dem zu erwartenden Kreuzfeuer der Parteien Gelassenheit und Ruhe zu bewahren.
"Erlauben wir den Politikern nicht, ds sie uns die Lust an den Wahlen verderben. Denn schliesslich ist deren wirkliche Macht nicht so gross, wie es manchmal scheint. Auch wenn es uns oft nicht so vorkommt, liegen die Geschicke dieses Landes ausschliesslich in unserer Hand. Vergessen wir nicht, dass die Politiker uns brauchen, wir jedoch ohne den einen oder anderen von ihnen auch gut leben können."
Die etwas unterschiedliche Sichtweise von Hospodáøské noviny im Vergleich zu den anderen Zeitungen nahm Radio Prag zum Anlass mit Martin Denemark im folgenden ein kurzes Gespräch zu führen. Unsere erste Frage lautete, was vom kommenden Wahlkampf zu erwarten sein wird, vor allem, ob er wieder zu so einer starken Polarisierung führen kann, wie das 1998 der Fall war:
"Also vielleicht werden diesmal andere Schlagworte und Begriffe gebraucht werden, aber bestimmt steht uns das gleiche, wie damals bevor. Ich meine, dass der diesjährige Wahlkampf noch härter sein wird als alle anderen zuvor. Das hängt damit zusammen, dass die Feindschaft zwischen den beiden Parteien einerseits, die nun die Macht in Tschechien ausüben und der Viererkoalition auf der anderen Seite noch tiefer geworden ist, so dass man annehmen kann, dass die drei Lager sich einander nichts schenken werden."
Präsident Havel hat in seiner Neujahrsansprache die Parteien auch aufgefordert, den Wählern konkrete Namen seiner möglichen Nachfolgern vorzustellen. Von Havel ist ja seit längerem bekannt, dass er sich am liebsten wünschen würde, wenn das neue Staatsoberhaupt per Direktwahl gewählt werden würde. Da jedoch eine entsprechende Verfassungsänderung gegenwärtig keine Chancen auf Erfolg hat, wollte er auf diesem Weg die Wähler auffordern bei ihrer Wahlentscheidung die kommenden Präsidentenwahlen im Hinterkopf zu haben. Werden die Parteien darauf eingehen und konkrete Namen präsentieren? Das war unsere weitere Frage an Martin Denemark von Hospodáøské noviny:
"Ja ich meine, dass sie mit ähnlichen Angeboten kommen werden, aber ich würde sagen, dass dies sogar die Pflicht der Parteien ist von vornherein zu sagen, wen sie fürs höchste Staatsamt unterstützen werden. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus ist das ja auch so, dass die Parteien sagen, wer nach den Wahlen die Verhandlungen führen wird und eventuell Regierungschef werden wird. Das Präsidentenamt ist ungeheuer wichtig und es ist selbstverständlich, dass jede Partei von vornherein jemanden den Vorzug gibt und das den Wählern auch mitteilt. Viele Tschechen messen nämlich dem Amt des Staatspräsidenten eine besondere Wichtigkeit zu. Wenn dann also die Namen der möglichen Nachfolger von vornherein klar sind, dann sinkt auch das Risiko, dass es dann nach den Wahlen zu unwürdigen Tauschgeschäften unter den Parteien kommen wird."
Veehrte Hörerinnen und Hörer, damit wären wir wieder einmal am Ende eines weiteren Medienspiegels angelangt. Für Ihr Interesse an unserer Sendung bedanken und vom Mikrophon aus Prag verabschieden sich Jörn Nuber und Robert Schuster.