Vom Bergbau zur Hochschulstadt: Sokolov putzt sich heraus

Sokolov (Foto: Autorin)

Um eine eigene Hochschule bemüht sich die Stadtverwaltung im westböhmischen Sokolov / Falkenau schon seit Jahren. Nun wurde ein Anfang gemacht. Im Oktober wird die Außenstelle einer Prager Privathochschule eröffnet. Die neue Hochschulfiliale spielt auch bei der wirtschaftlichen Neupositionierung der traditionellen Bergbau- und Industriestadt eine Rolle.

Tradition und Innovation treffen in Sokolov aufeinander: Die neue Hochschulfiliale hat ihren Sitz im historischen Bergmannsheim. Die entschlossenen Bemühungen der Stadtverwaltung, in der mittelgroßen Stadt zwischen Erzgebirge und Kaiserwald einen Hochschulstandort zu errichten, sind damit schließlich von Erfolg gekrönt worden. Sokolov beherbergt nun eine Außenstelle der privaten Prager Hochschule für Wirtschaftsinformatik und Ökonomie. Der Andrang von Studienbewerbern übertrifft alle Erwartungen:

Bergarbeiterhaus in Sokolov  (Foto: Autorin)
„Das Interesse für die Hochschule hat mich sehr überrascht. Ich hatte schon damit gerechnet, dass das Studienangebot auf Interesse stoßen würde, aber ich habe nicht erwartet, dass eine so große Nachfrage herrschen würde. 150 Anmeldungen schon im ersten Jahr ist wirklich eine sehr positive Zahl, und ich freue mich sehr über diesen Erfolg“, so Direktorin Miluše Bartoňková.

Zugelassen werden alle Bewerber, die den Studienvertrag mit der Hochschule abschließen und die Gebühr von rund 1300 Euro pro Jahr entrichten. Nach drei Jahren erwerben die erfolgreichen Absolventen den akademischen Grad eines Bachelors. Organisiert ist der Lehrbetrieb im ersten akademischen Jahr als so genanntes „kombiniertes Studium“. Den größten Teil des Lehrstoffs bewältigen die Studenten im Selbststudium zu Hause, einmal im Monat kommen sie zum zweitägigen Direktunterricht zusammen. Belegen kann man entweder den Studiengang „Angewandte Informatik“ oder „Management“. Die Wahl dieser beiden Fächer ist nicht zufällig, vielmehr geht die Hochschule mit diesem Studienangebot gezielt auf den Bedarf des regionalen Arbeitsmarkts ein. Denn bei der Zahl der Wirtschaftsinformatiker hat die Region bisher im republikweiten Vergleich denkbar schlecht abgeschnitten.

Sokolov  (Foto: Autorin)
„Der Kreis Karlsbad schneidet statistisch von allen Regionen bei den Informatikern am schlechtesten ab. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine Hochschule mit dem Studienfach angewandte Informatik zu gründen. Wir glauben, dass die Absolventen leicht Arbeitsplätze in der Region finden werden. Die Informatik kennt keine Grenzen. Die Absolventen können also auch für Firmen in Österreich, Deutschland, der Schweiz und anderswo tätig werden“, erklärt Miluše Bartoňková.

Sokolov, auf halbem Wege zwischen Karlovy Vary / Karlsbad und Cheb / Eger), setzt mit der Außenstelle einen weiteren Schritt zur wirtschaftlichen Neupositionierung. Lange wurde die industriell geprägte Stadt neben dem stolzen Kurort Karlsbad und dem durch die Grenzlage begünstigten Cheb übersehen - ein unscheinbares Aschenputtel im Schatten zweier selbstbewusster Schwestern. Karlsbad und Cheb besitzen übrigens auch ihre Hochschuleinrichtungen.

Nach der Wende hatte Sokolov zunächst gewaltige Altlasten zu beseitigen. In den Jahrzehnten davor beherrschten die Braunkohleförderung, die Chemieindustrie und der Maschinenbau das Wirtschaftsleben der Stadt. Die schädlichen Einflüsse auf die Luft- und Wasserqualität belasteten die Umwelt massiv und beeinträchtigten die Lebensqualität der Bevölkerung. Das Umland der Bergbaustadt verschandelten Kippen und Gruben aufgelassener Tagebaustätten. Seither ist im Bereich der Umwelt einiges geschehen. Vizebürgermeister Zdeněk Berka rekapituliert die wesentlichsten Veränderungen:

„Die bedeutendsten Unternehmen, die hier angesiedelt sind, haben hoch wirksame Entschwefelungsanlagen installiert, und auch die Wasserqualität hat sich erheblich verbessert. Man kann sagen, dass die Eger heute ein recht sauberer Fluss ist, in dem wieder die meisten Fischarten leben können und in dem man schwimmen kann. Auch was die Lebensqualität betrifft, bietet Sokolov heute seinen Bürgern eine breite Skala von Freizeitmöglichkeiten, und zwar sowohl kultureller als auch gesellschaftlicher und sportlicher Art.“

 Vizebürgermeister Zdeněk Berka  (Foto: Autorin)
Das Ihre zu den ökologischen Anstrengungen taten sowohl die weitgehende Erschöpfung der Braunkohlevorräte als auch das geschärfte Umweltbewusstsein. Zur Sanierung der öden Tagebaustätten verpflichtete die privatisierte Braunkohle-Fördergesellschaft Sokolovská uhelná die neue Umweltgesetzgebung. An die Stelle kahler Mondlandschaften sind heute zum Teil ökologisch wieder lebendige, menschenfreundliche Naturräume und Freizeitanlagen getreten. Zufrieden mit dem bisher Erreichten, putzt sich Sokolov eifrig weiter heraus.

„Im Zusammenhang mit dem allmählichen Rückgang des Bergbaus entstehen hier große Projekte, die auch Touristen in die Region Sokolov bringen sollen. Ich erinnere nur an den Golfplatz und das Strandbad Michal. Derzeit lassen wir gerade das Wasser in den neuen, 50 Hektar großen See Medard ein“, sagt Vizebürgermeister Berka.

Die Landschaft um Sokolov ist nicht ohne Charme. Der Sage nach von dem Falken züchtenden Ritter Sebastian gegründet, liegt die Stadt am Zusammenfluss der Eger und der Svatava, in einen Talkessel eingebettet, am Rande von Erzgebirge und Kaiserwald. In ihrem gewandelten Selbstverständnis sehen sich die Sokolover durchaus als Fremdenverkehrsort. Der Ausbau der Freizeitwirtschaft verringert die Abhängigkeit von Bergbau und Industrie - und stärkt den unterrepräsentierten Dienstleistungssektor.

„Wir müssen selbstverständlich davon ausgehen, dass der Bergbau in Sokolov weiter zurückgehen wird. Die Braunkohle-Fördergesellschaft Sokolovská uhelná beschäftigt derzeit an die 5000 Personen, diese Zahl wird allmählich sinken. Die Leute müssen woanders unterkommen, dabei wird vor allem der Dienstleistungssektor eine Rolle spielen. Wir planen auch einen Industrie- und Gewerbepark, in dem - sofern sich größere Investoren finden - einige hundert oder tausend Leute Beschäftigung finden können. Aber das ist selbstverständlich alles Zukunftsmusik. Wir sind zuversichtlich, dass Sokolov in der Zukunft auch zu einem Fremdenverkehrsort werden kann, der sich in das westböhmische Bäderdreieck einfügt“, glaubt Vizebürgermeister Berka.

Der mythische Stadtgründer  (Foto: Autorin)
Die neue Hochschule passt zu diesen Plänen. Ein Technologie- und Innovationszentrum, das später hinzukommen soll, ist bereits angedacht. Das nächste Etappenziel ist jedoch ein reguläres Tagesstudium. Bei dem großen Interesse, das für das Studium in Sokolov herrscht, hofft man damit bereits in ein paar Jahren zu beginnen. Dann soll gemäß den Vorstellungen von Direktorin Bartoňková in Sokolov eine vollwertige Hochschule entstehen:

Gedenktafel für Karl May  (Foto: Autorin)
„Ein Tagesstudium wollen wir auch einführen, ursprünglich dachten wir, dass wir das schon kommendes Jahr schaffen würden. Wir werden sehen, was für Raumkapazitäten und personellen Ressourcen wir dann zur Verfügung haben. Auf jeden Fall werden wir uns bemühen, den Interessenten, die an unserer Hochschule studieren wollen, entgegenzukommen.“

Studenten wie Besucher finden also in Sokolov manches Neue vor. Ein berühmter Sachse hat Falkenau freilich schon im 19. Jahrhundert entdeckt: Karl May berichtet in seinem Reiseroman „Weihnacht“ von einer Wanderung durch Böhmen. Dem Reisebericht zufolge stieg er beim Falkenauer Franzl-Wirt ab - den Gastwirt Franz Scholz hat es wirklich gegeben. Der Wanderer stößt dort auf eine arme Familie, die trotz klirrender Kälte auf dem Weg nach Bremen ist, um per Schiff nach Amerika auszureisen. Und er schenkt ihr großmütig seine ganze Habe, damit die Familie ins ersehnte Amerika gelangen kann.

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