Vom Gesamtkunstwerk zum Ramschdepot – Kritik an der Zukunft der Prager Metro
Billig, zuverlässig und von den Pragern eigentlich heiß geliebt – die Metro. Als Gesamtkunstwerk begonnen, erregt sie aber in letzter Zeit eher Ärger bei den Bewohnern der tschechischen Hauptstadt. Grund dafür sind die jüngsten Erweiterungen der Bahn. Nicht sinndienlich seien sie, überteuert und hässlich, wie man oft auf der Straße hört. Bei der komplett neuen Linie D der Prager Metro soll das nun anders werden, fordert eine Gruppe von Bürgern. Sie stemmt sich mit einer Petition gegen die bestehenden Beschlüsse des Magistrats. Auch Petr Kučera ist gern im Untergrund. Er ist Architekt und weiß genau, warum die alten Linien der Prager Metro einzigartig sind und was bei den neuen jetzt besser gemacht werden soll.
„Vorsicht, das ist nicht ganz richtig. Die älteste ist die Linie C aus dem Jahr 1974, die Linie A kam erst 1978 und 1985 die Linie B. Bei der Prager Metro ist interessant, dass jede Trasse ihr eigenes Konzept hat. Die Linie C beispielsweise wurde geplant als luftiges Verkehrsbauwerk ohne Säulen, sie wurde ganz einfach in den Untergrund gebohrt. Gemeinsames Merkmal der Stationen sind die steinernen Kacheln aus Material, das aus dem gesamten damaligen Ostblock stammt. Die Linie A wiederum, die durch die gesamte Prager Altstadt führt, ist als Rundfahrt durch die Geschichte konzipiert. Die Stationen dort haben Aluminiumplatten als wiederkehrendes Element, die entweder ausgebeult oder vertieft sind. Diese Platten sind je nach Station in anderen Farben gehalten, die aber dem Charakter des jeweiligen Ortes entspricht: Die Station Flora ist weinrot, da dort Weinberge waren, die Station Naměstí Míru, also der Friedensplatz, ist blau, also in der Farbe des Friedens, und die Station Můstek ist golden, da man diesen Ort Zlatí kříž, also Goldenes Kreuz, nannte. An die Geschichte sollten auch die Beleuchtung und damit die Atmosphäre erinnern. Das Licht ist gedämpft, geheimnisvoll und magisch. Es ist im Großen und Ganzen eine durchgehende Szenerie. Die Linie B schließlich zeichnet sich durch ihre weißen Kacheln und gelben Rohre aus. Jeder Station war ein Künstler zugeteilt, der dort ein einzigartiges Werk aus Keramik oder Glas schaffen konnte. Eigentlich ist die gesamte Linie B eine Hommage an die tschechische Glasereikunst. Vor allem für die Ausstattung der Linien A und B wurde viel Geld aufgewendet. Insgesamt gab es dort rund 120 Mosaike und Statuen, die aber heute zum Großteil verschwunden sind oder beschädigt wurden.“
1989 kam die politische Wende, und die Prager Metro wurde erweitert. Was ist der größte Unterschied zwischen der Architektur der Stationen vor und nach der Wende?
„Man maß der Metro nicht mehr dieselbe Bedeutung zu wie früher.“
„Man muss sich verdeutlichen, dass die Metro im Kommunismus ein bewusst hervorgehobenes Verkehrsprojekt war. Sie sollte das Beste aus der damaligen tschechoslowakischen Kunst präsentieren, aber gleichzeitig auch eine ideologische Botschaft tragen. Mit der Metro fahren täglich Millionen Menschen, sodass sie eigentlich ein großes Medium ist. Aus diesem Grund hat man unvorstellbare Mengen an Geld in das Projekt investiert. Nach der Wende war das anders. Man maß der Metro nicht mehr dieselbe Bedeutung zu wie früher, und dementsprechend ist auch die Ausstattung nach 1989 viel bescheidener. Was aber heute noch viel schlimmer ist: Das Design der neuen Stationen ist immer noch auf dem Stand der 1990er Jahre. So auch auf den neusten Stationen der Linie A und auf denen der geplanten Linie D. Es ist nicht so wie beispielsweise in München, Budapest oder Stockholm, wo die U-Bahnen tatsächlich wieder zu einem Schaufenster der Kunst geworden sind.“
Vergangenes Jahr wurden an der Linie A vier neue Stationen eröffnet. Für ihr Design gab es viel Kritik…
„Dem Design fehlt ein Konzept und ein Grundgedanke sowie eine starke Geschichte.“
„Dieselbe Kritik gab es bereits, als die Linie B erweitert wurde. Der Hauptpunkt war, dass das Design bei weitem nicht dem hohen Standard entspricht, wie vor dem Jahr 1989 oder unmittelbar danach. Kurz gesagt: Dem Design fehlt ein Konzept und ein Grundgedanke sowie eine starke Geschichte. Es sind ganz einfach zweckmäßige Bauten ohne künstlerischen Mehrwert. Zudem besteht der Verdacht, dass es gewisse Verpflichtungen den jeweiligen Baufirmen gegenüber gibt. Das bedeutet, dass die Zulieferer von Leuchtmitteln und Wandplatten das Aussehen bestimmen und nicht mehr die Architekten. Die Qualität ist also durchschnittlich oder unterdurchschnittlich, die Preise für den Bau dafür aber überdurchschnittlich hoch. Hier muss Druck entstehen, dass ein öffentliches Bauwerk auch irgendwie wieder in öffentliche Hände kommt. Und vor allem, dass es einen architektonischen Wettbewerb gibt, damit nicht wie seit bereits dreißig Jahren dieselben Leute an den Projekten sitzen. Und zwar, ohne sich Kritik anhören zu müssen.“
In Kürze soll eine neue Linie, die Linie D, vom Prager Süden ins Zentrum gebaut werden. Die Prager selbst sind jedoch nicht begeistert, was den architektonischen Plan der Stationen betrifft. Wo liegt das Problem?„Die Prager sind gerade deswegen sauer, weil die Stationen auf der neuen Linie genauso aussehen sollen, wie bei der Verlängerung der Linie A. Die bestehende Kritik ist also nicht angekommen. Die Stationen sind einfach geist- und ideenlos und wurden von Architekten entworfen, die sich nie für ihre Entwürfe rechtfertigen mussten und nie in einer öffentlichen Ausschreibung ausgewählt wurden. Sie haben das einfach von irgendjemandem als Aufgabe bekommen. Das sieht man auch an den Entwürfen, die einfach nicht interessant sind. Es wird allgemein der Verdacht genährt, dass hinter den Projekten vor allem wieder die Bauunternehmen stehen. Der Architekt soll, wie es scheint, nur die gelieferten Glühbirnen und Verkleidungen zusammenbauen. So kann im Grunde keine künstlerische Leistung entstehen. Auch wird allgemein der Sinn der neuen Linie D von den Bürgern infrage gestellt. Sie soll ja irgendwo im Feld enden, wie damals schon die Verlängerungen der Linie A und C.“
Sie haben eine Petition gestartet, um den Prager Magistrat auf Lücken vor allem bei der ästhetischen Planung aufmerksam zu machen. Was fordern Sie genau?
„Aus öffentlichen Geldern finanzierte Projekte sollten das Ergebnis eines transparenten Wettbewerbs sein.“
„Die Initiative ist eigentlich als Vereinigung unzufriedener Bürger entstanden, die mit den Verfahren bei der Planung der Linie D nicht einverstanden sind. Wir haben erst eine Online-Petition gestartet. Die war mit fast 10.000 Beteiligten außerordentlich erfolgreich, sodass wir auch eine Unterschriftenaktion begonnen haben. Diese ist nötig, damit sich auch der Magistrat mit unserem Anliegen befasst. Wir brauchen 1000 Unterschriften, haben mittlerweile aber schon 3000 gesammelt. Und wir erhalten mittlerweile auch genug gesellschaftliche und mediale Rückendeckung. Im Grunde fordern wir in unserer Petition drei Dinge. Erstens wollen wir, dass eine Ausschreibung unter Architekten für die Linie D stattfindet. Aus öffentlichen Geldern finanzierte Projekte sollten ja das Ergebnis eines transparenten Wettbewerbs sein und nicht irgendwelcher Verhandlungen im Hinterzimmer. Zweitens geht es uns nicht nur um die neuen Stationen, sondern eben auch um die bereits vorhandenen. Die Prager Metro ist in einem schlechten Zustand und gleicht heute eher einem geschmacklosen Marktplatz. Die ehemaligen Kunstwerke sind größtenteils zerstört, und die laufenden Renovierungsarbeiten machen alles noch viel schlimmer. Wir wollen eine Art Handbuch erreichen, nach dessen Regeln mit der Metro verfahren werden soll. Der dritte Punkt ist schließlich, dass es eine Art Untersuchungskommission geben sollte. Diese würde dann alle Verträge kontrollieren und untersuchen, ob alle Abschlüsse gerechtfertigt waren und ob sie rechtlich sauber sind.“
Gibt es vielleicht internationale Beispiele, an denen sich Prag orientieren könnte oder sollte?„Es gibt eine Reihe an Beispielen, bei denen es gut läuft. Oft wird in diesem Zusammenhang die Metro in Budapest genannt, die vergleichbare Bedingungen wie die in Prag hat. Dort ist eine ganz neue Trasse entstanden, dafür wurden tatsächlich Künstler beauftragt. So wurde etwas geschaffen, das Leute besuchen, nur um es sich anzuschauen. Die neue Linie der Budapester Metro ist eigentlich eine Untergrund-Galerie geworden. Genauso ist es mit der U-Bahn in München. Das zuständige Unternehmen hat dort einen leeren Raum gebaut, den Künstler nach bestimmten Regeln füllen sollen. Etwas anders ist es in Stockholm, wo die geologischen Begebenheiten andere Möglichkeiten bieten. Für ein weiteres Beispiel müssen wir im Grunde aber gar nicht so weit fahren. Hier in Prag haben wir die Linie B, die in diesem Sinne vorbildlich ist. Sie wurde genau nach den Regeln gestaltet, wie sie auch für die neue Linie."