Von der Medizinsensation zum Routineeingriff: 40 Jahre künstliche Befruchtung in Tschechien
Am Freitag feiert ein besonderer Mensch in Tschechien seinen 40. Geburtstag: die erste Person, die hierzulande durch künstliche Befruchtung gezeugt wurde. Was damals eine Sensation war, ist mittlerweile ein Routineeingriff geworden: Pro Jahr erblicken in Tschechien circa 5000 sogenannte Retortenbabys das Licht der Welt.
„Das erste tschechoslowakische Kind ‚aus dem Reagenzglas‘, das gestern in der Ersten Gynäkologischen Klinik des Universitätskrankenhauses in Brünn geboren wurde, ist ein Junge“, informierte der tschechoslowakische Rundfunk am 5. November 1982. Der Knabe wog 3650 Gramm und wurde per Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Radioreporter Jaroslav Rektor sagte einige Tage später: „Den Ärzten zufolge ist der Gesundheitszustand von Mutter und Kind sehr gut. Der Junge wurde bereits gegen Tuberkulose geimpft. Die Funktionen von Herz, Lungen, Nieren und weiteren Organen sind völlig normal.“
Der Knabe war damals nicht nur das erste Kind, das in der Tschechoslowakei nach einer künstlichen Befruchtung geboren wurde, es handelte sich zugleich um die erste derartige Geburt im gesamten Ostblock. Gerade mal vier Jahre zuvor kam in England der erste in vitro gezeugte Mensch zur Welt.
Ladislav Pilka war es, der mit seinem Team die Entbindung in Brünn 1982 möglich gemacht hatte. Wie auch seine Kollegen ging der Gynäkologe und Geburtshelfer davon aus, dass die Methode sehr kompliziert sei und nur bei wenigen Frauen Erfolg haben würde:
„Einige Formen von Unfruchtbarkeit bei Frauen kann man nur durch die Befruchtung des menschlichen Eis außerhalb des Organismus umgehen. Diese Methode im größeren Stil einzusetzen, wird in absehbarer Zeit nicht möglich sein. Das Verfahren ist zu aufwendig. Die Methode wird in der näheren Zukunft wohl nur bei einer Gruppe von Frauen eingesetzt werden, bei der die besten Bedingungen auf Erfolg herrschen.“
Seitdem hat sich jedoch einiges getan. Der Europäischen Gesellschaft für menschliche Fortpflanzung und Embryologie (ESHRE) zufolge wurden weltweit bisher neun Millionen Reagenzglas-Kinder geboren. In Tschechien kommen auf diesem Weg heute jährlich 5000 Kinder zur Welt. Geholfen wird Frauen mit Kinderwunsch hierzulande unter anderen noch immer in jener Klinik, in der vor 40 Jahren alles anfing – nämlich im heutigen Zentrum für assistierte Reproduktion (Cermed) der Brünner Universitätsklinik. Auch Jana Hermanová konnte sich ihren Kinderwunsch erfüllen lassen…
„Ich wurde hier 2014 zunächst wegen Endometriose behandelt. Im Zentrum für assistierte Reproduktion haben wir 2017 eine künstliche Befruchtung probiert, die aber nicht funktioniert hat. Ich wurde dann operiert, und es folgten weitere Versuche. 2022 hat es schließlich geklappt. Mein Sohn David ist beim dritten Versuch entstanden.“
In der Klinik arbeitet unter anderem Lenka Mekiňová. Der Ärztin zufolge werden in Tschechien 30 Prozent der Frauen nach einer künstlichen Befruchtung auch tatsächlich schwanger. Mekiňová sagt aber auch:
„Natürlich fragen mich die Patientinnen, wie viele der Frauen bei uns schwanger werden. Ich sage dann immer: 0 bis 100 Prozent. Jede Frau hat schließlich ihre eigenen Probleme. Aber für sie ist jede Zahl gut, die höher als Null liegt. Denn ohne uns würden die Patientinnen gar nicht schwanger werden.“
In den 40 Jahren, in denen das Zentrum für assistierte Reproduktion in Brünn besteht, konnte dort schon Tausenden von Paaren zur Schwangerschaft verholfen werden.
Aber nicht nur in Brünn, sondern auch in anderen Orten Tschechiens florieren Kinderwunschpraxen, die sich zum Teil längst auf eine internationale Klientel spezialisieren. Denn Tschechien hat sich mittlerweile zu einem Mekka der künstlichen Befruchtung in Europa entwickelt, weil hier – anders als etwa in Deutschland – umstrittene Eingriffe wie Eizell- oder Embryonenspenden legal durchgeführt werden dürfen.
Der Name der ersten Person, die hierzulande durch künstliche Befruchtung gezeugt wurde, ist übrigens nicht bekannt. Wir wünschen dennoch alles Gute zum 40. Geburtstag!