Von der Uni in die freie Wirtschaft? In Tschechien fehlen akademische Spin-offs, meinen Experten

In Tschechien gibt es derzeit 84 Spin-off-Unternehmen. Das sind Firmen, bei denen Entwicklungen von Hochschulen und Universitäten in der freien Wirtschaft vertrieben werden – bei enger Bindung an die Bildungsinstitutionen. Einigen Experten zufolge ist die Zahl dieser sogenannten Ausgründungen jedoch zu niedrig.

Ondřej Rychecký | Foto: MarbleMat/VŠCHT

Ondřej Rychecký ist einer, der das geschafft hat, was hierzulande nur wenigen gelingt. Aus einem Projekt, zu dem er während seiner Promotion an der Prager Hochschule für Chemie und Technologie (VŠCHT) geforscht hat, ist mittlerweile eine Firma entstanden…

„Das sind eigentlich kleine Ölkügelchen. Es handelt sich also um flüssiges Fett, aus dem ein Wirkstoff entfernt wurde“, erklärt Ondřej Rychecký. „Die eigentlich liquiden Kullern werden von einem Polymer umzogen. Unser Produkt zielt vor allem auf die Pharmaindustrie ab. Es gibt aber beispielsweise auch viele Nahrungsergänzungsmittel, die schlecht wasserlöslich sind. Dank unserer Technologie dürften sie vom menschlichen Körper besser verarbeitet werden und so auch eine höhere Wirksamkeit erzielen.“

Foto: MarbleMat/VŠCHT

MarbleMat heißt das Unternehmen, das Rychecký gegründet hat – oder ausgegründet, wie es in der Wirtschaftssprache heißt. Im Medizinbereich könnten die Kugeln etwa in Kapseln eingebracht werden, sodass mehrere Medikamente in nur einer Dosis kombiniert wären. Die Idee, die mittlerweile patentierten Kugeln in der freien Wirtschaft zu vertreiben, habe er vor zwei Jahren gehabt, schildert Rychecký in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.

Schwierige Unternehmensgründung

Bis es aber so weit war und das akademische Spin-off wirklich an den Start gehen konnte, hat es eine ganze Weile gedauert. Denn MarbleMat ist das erste Unternehmen, an dem sich die Hochschule für Chemie und Technologie beteiligt hat.

„Wir mussten uns auch überlegen, wie es weitergehen könnte für andere Interessenten – seien das Mitarbeiter, Studenten oder Absolventen der Universität für Chemie und Technologie –, die eine ähnliche Richtung wie wir einschlagen wollen“, meint Rychecký. „Weil wir die Ersten waren, war es komplizierter, eine Genehmigung zu bekommen und den Weg für weitere Projekte freizumachen.“

Helena Langšádlová,  Ministerin für Wissenschaft,  Forschung und Innovation  | Foto: Regierungsamt der Tschechischen Republik

Dem Verband Transfera zufolge gibt es in Tschechien derzeit 84 Spin-off-Unternehmen, durch die unter anderem wissenschaftliche Institutionen ihre Entdeckungen vertreiben. Doch das ist zu wenig, findet Helena Langšádlová (Top 09), die tschechische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Innovation:

„Institutionen etwa in Israel und weiteren Ländern erzielen Einnahmen, weil sie mit Unternehmen zusammenarbeiten, Lizenzen verkaufen oder Spin-off-Firmen gründen. In Österreich etwa entstehen pro Jahr vier Mal mehr Spin-offs als in Tschechien. Das Potential ist hierzulande groß, wir nutzen es aber nicht.“

„Das Potential ist da“

Dass es in Tschechien nicht wirklich vorwärtsgeht, hängt laut Langšádlová nicht nur mit den legislativen Bestimmungen zusammen, sondern auch mit den Akteuren an den Instituten und Fakultäten:

„Die Universitätsvertreter haben Angst, Spin-offs zu gründen oder Lizenzen zu verkaufen, da sie befürchten, man könnte ihnen vorwerfen, sie seien keine guten Wirtschafter. Aber wir müssen das andersherum sehen. Wenn man verwertbare Forschungsergebnisse in der Schublade lässt, dann ist man kein guter Wirtschafter.“

Martin Fusek | Foto: Westböhmische Universität in Pilsen

Und in der Schublade bleibt in Tschechien scheinbar so einiges – meint Martin Fusek. Der Biochemiker sitzt im Vorstand des Vereins Transfera, der sich für Technologietransfers einsetzt und die aktuelle Studie durchgeführt hat: „Wir haben uns intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Was die Naturwissenschaften angeht, ist die Qualität der Forschung in jedem Fall gegeben. Das Potential ist da.“

Die Angst der Wissenschaftler und Universitäten, in die Wirtschaft zu gehen, begründet Fusek wie folgt:

„Während der Zeit des Kommunismus und in den 1990er Jahren ist das Bestreben verloren gegangen, die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten zu vermarkten. Denn damals wurde vor allem auf die Publikationen wertgelegt. Es fehlt vor allem an der mentalen Einstellung.“

Ein weiteres Problem sei Fusek zufolge die hohe Bürokratie an den Hochschulen…

„Wenn man will, dass das Institut Teilhaber wird, muss man zunächst alle Dokumente vorbereiten und diese dann der Reihe nach drei oder vier Organen vorlegen. Diese Institutionen müssen das Vorhaben absegnen, was dann schon mal ein Jahr dauert. Und dann müssen noch die finalen Verträge bewilligt werden, da vergehen erneut zwölf Monate.“

Und in dieser Zeit könnte sich ein potentieller Investor bereits zurückgezogen haben. Immerhin: Klarere Regeln für die Kommerzialisierung wissenschaftlicher Erfindungen in Tschechien könnte im kommenden Jahr eine Novelle des sogenannten Wissenschaftsgesetzes bringen.