Von 'unpolitischer Politik' zur Wahlalternative? - Die tschechischen Grünen im Aufwind

Drei Monate vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus sorgt in Tschechien eine Partei für Furore, die bislang nicht im Parlament vertreten war, jetzt aber gute Chancen hat, den Sprung dorthin zu schaffen und möglicherweise sogar bei der Regierungsbildung zum sprichwörtlichen Zünglein an der Waage zu werden: die tschechischen Grünen. Nach Gründen für ihre steigende Popularität und nach den Wurzeln der Grünen-Bewegung in Tschechien hat sich Silja Schultheis umgehört.

Jüngste Prognosen renommierter Meinungsforschungsinstitute zsagen den tschechischen Grünen bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Juni wischen fünfeinhalb und sechs Prozent der Wählerstimmen voraus. Wie lässt sich dieser Trend erklären? Ist die tschechische Gesellschaft 'grüner' geworden? Für Petr Uhl, Kandidat der Grünen in Prag, sind die jüngsten Umfragewerte für seine Partei keine große Überraschung:

"Die tschechische Gesellschaft ist vergleichsweise ökologisch orientiert - vielmehr als zum Beispiel die Gesellschaft in Russland, der Ukraine oder auf dem Balkan. Also, diese sechs Prozent ökologisches Wählerpotenzial, die jetzt ermittelt wurden, die gab es in der tschechischen Gesellschaft immer."

Immerhin, so erinnert Uhl, ist die tschechische Grünen-Bewegung nicht erst eine Errungenschaft der Demokratie, sondern reichen ihre Wurzeln in die Zeit vor 1989 zurück, in die Kreise der oppositionellen Bürgerrechtsbewegung Charta 77, die Uhl übrigens als einer der ersten unterzeichnete. Unter den Regimegegnern habe es damals starke Sympathien für ökologische Anliegen gegeben und ab Mitte der 80er Jahre gründeten sich auch organisierte Umweltgruppen.

"Also ungefähr 5-10 Prozent derjenigen, die sich in der Opposition betätigten, waren in diesen ökologischen Gruppen", schätzt Uhl. Von einer Partei im eigentlichen Sinne konnte damals noch keine Rede sein - im Gegenteil: Abgestoßen von der kommunistischen Kaderpolitik verfolgte die Opposition in der Tschechoslowakei damals eine bewusst "unpolitische Politik". Die tschechischen Grünen wurden also aus einer völlig anderen Stimmung heraus geboren als die deutschen, vergleicht Uhl:

"In der Bundesrepublik Deutschland sind die Grünen praktisch aus extremlinken Studentenorganisationen entstanden. Die tschechischen oder tschechoslowakischen Grünen waren zunächst viel weniger politisch. Erst langsam haben sie sich politisiert, weil sie verstanden haben, dass sie ohne den politischen Kampf ihre ökologischen Forderungen nicht durchsetzen können."

Als Partei gründeten sich die tschechischen Grünen unmittelbar nach der "Samtenen Revolution" im Dezember 1989. Den Sprung ins Parlament schafften sie seitdem nur ein einziges Mal: 1992 - damals allerdings nicht als eigenständige Partei, sondern als Parteienbündnis. Danach, so Uhl, folgten 10 Jahre Stagnation. Erst 2002, unter der Führung von Jakub Patocka und Jan Beranek hätten sich die tschechischen Grünen zu einer modernen ökologischen Partei etabliert. Uhl, der bis dahin keiner Partei angehört hatte, beschloss, ihr beizutreten. Ausschlaggebend war für den überzeugten Anhänger einer 'unpolitischen Politik', der sich nach der Wende insbesondere für die Menschenrechte engagierte, damals die starke europäische Orientierung der Grünen:

"Damals war die Tschechische Republik vor dem Eintritt in die Europäische Union und ich sagte mir, ich muss auch auf institutioneller Ebene etwas dazu beitragen und nicht nur als Journalist oder Publizist."

Der autoritäre Führungsstil der neuen Parteispitze unter Patocka und Beranek brachte den Grünen zunehmend negative Schlagzeilen und führte vor allem zur inneren Spaltung. Nach Monatelangem zermürbenden Zwist wurde im September 2005 Martin Bursik zum neuen Vorsitzenden gewählt. Zuvor hatte sich auch Daniel Cohn-Bendit, ein Freund Uhls, in den innerparteilichen Streit eingeschaltet. Überhaupt waren die deutschen Grünen eine wichtige moralische Stütze für ihre tschechischen Kollegen gewesen, nicht zuletzt wegen enger persönlicher Bindungen über Milan Horacek. Dieser war Ende der 60er Jahre aus der Tschechoslowakei nach Deutschland emigriert und hatte dort später die grüne Partei mitgegründet. Heute sitzt Horacek für die Grünen im Europaparlament. Seine Erfahrungen waren und sind für seine tschechischen Landsleute äußerst wertvoll, so Uhl:

"Es war sehr wichtig. Das ist wirklich das Bewusstsein, dass wir nicht alleine sind, dass wir Mitglied des europäischen Stromes sind und Teil derjenigen Kräfte, die für ein gemeinsames Europa sind. Und das gibt uns Kraft."

Mit einem Wahlprogramm, das bei weitem nicht nur ökologische Themen in den Vordergrund stellt, sondern insgesamt für "mehr Lebensqualität" in unterschiedlichen Bereichen wirbt, strebt Parteichef Bursik bei den Wahlen in drei Monaten ein zweistelliges Ergebnis an. Großes Wählerpotential vermuten die Grünen zum einen bei den 40-50 Prozent Nicht-Wählern. Petr Uhl:

"Unter älteren Leute, die so skeptisch sind, dass sie sich in ihre Privatsphäre zurückgezogen haben. Wir wollen diesen Leuten eine Chance geben und sagen, es hat einen Wert, etwas zusammen zu machen. Ich glaube, die Hälfte unserer potenziellen Wähler ist hier zu suchen: unter denen, die sonst nicht zu den Wahlen kommen würden, wenn es nicht die Grünen auf der politischen Szene gäbe."

Dass es bei den Nicht-Wählern für die Grünen durchaus Stimmen zu holen gibt, bestätigt auch Jana Hamanova von der Marktforschungsagentur SC&C, die den Grünen in einer Meinungsumfrage für das öffentlich-rechtliche Tschechische Fernsehen unlängst 5,8 Prozent der Stimmen prognostizierte. Ein wenig schlechter hingegen, so Hamanova, schneiden die Grünen ab, wenn man die Umfragen auf die Gruppe derjenigen beschränkt, die entschieden sind, tatsächlich wählen zu gehen:

Wir kennen uns doch!
"Das liegt einmal daran, dass die Grünen noch keine feste Stammwählerschaft haben. Und zum anderen werden die Grünen von vielen jungen Menschen gewählt, und für diese ist es häufig nicht selbstverständlich, dass man zu den Wahlen geht und Wählen ein Zeichen von staatsbürgerlicher Verantwortung ist. Bislang sieht es so aus, als wenn diese Jungwähler noch nicht ganz entschlossen sind, zu den Urnen zu gehen. Es kann also passieren, dass die Grünen auf ihre Stimmen verzichten müssen."

Neben den Nichtwählern setzen die Grünen daher auch auf Wähler anderer Parteien, vor allem der beiden großen Volksparteien - der regierenden Sozialdemokraten (CSSD) und der konservativen Opposition: der Demokratischen Bürgerpartei (ODS).Unter ihnen, so ermittelte die Agentur SC&C, ist die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Arbeit der tschechischen Abgeordneten besonders hoch. Was macht die Grünen heute so attraktiv? Jana Hamanova:

"Ich denke, die Grünen sind zum einen deshalb attraktiv, weil über sie gesprochen wird. Durch die jüngsten positiven Prognosen werden die Grünen jetzt auch für diejenigen Wähler interessant, die nach einer Alternative zu den großen Parteien suchen und gleichzeitig sicher sein wollen, dass ihre Stimme nicht verloren geht."

Wie wichtig dieser letztgenannte Faktor ist, daran erinnerte auch Daniel Cohn-Bendit bei seinem letzten Prag-Besuch im Gespräch mit diesem Sender:

"Die Grünen müssen zeigen, dass sie eine absolut notwendige neue Stimme und Alternative zum herrschenden Parteiensystem sind. Und wenn ihnen das gelingt, dann wird auch das Argument der Wähler - wir wissen nicht, ob wir sie wählen sollen, weil ja gar nicht sicher ist, ob sie überhaupt ins Parlament kommen - fallen."

Gegenwärtig sieht es so aus, als könnten sich die Grünen tatsächlich zu einer stabilen Wahlalternative etablieren. Petr Uhl ist optimistisch - jedenfalls was das Ergebnis in seinem Wahlkreis anbelangt:

"Ich glaube, das wird zwischen zehn und 15 Prozent - zumindest in Prag."