Vysehrad bewahrt seine Geheimnisse

St. Martins-Rotunde
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Der am rechten Moldauufer liegende Prager Vysehrad war eine Zeit lang auch der Sitz der böhmischen Herrscher. Eine Vorstellung darüber, wie es jedoch im Frühmittelalter auf diesem Gelände ausgesehen hat, kann man sich ungefähr anhand archäologischer Ausgrabungen machen. Vor einigen Tagen erschien ein neues Buch über den Vysehrad. Wir sprachen mit zwei Archäologen, die im Sammelband über den Vysehrad ihre neuesten Forschungsergebnisse präsentiert haben.

Vysehrad
Wenn man zum Vysehrad von der gleichnamigen Metrostation geht, kommt man an der romanischen St. Martins-Rotunde vorbei, die zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten des ehemaligen Herrschersitzes gehört. Nur wenige Besucher ahnen jedoch, dass es einst auf dem Vysehrad auch eine St.- Laurentius-Basilika aus dem 11. Jahrhundert gegeben hat. Archäologe Borivoj Nechvatal beschreibt im neuen Vysehrad-Buch seine Erkenntnisse, die mit der St. Laurentius-Basilika und dem vorromanischen Bau zusammenhängen, der sich in der ehemaligen Barockresidenz in der Straße Sobeslavova verbirgt:

"Die Basilika allein war schon dank der archäologischen Ausgrabungen aus dem Jahr 1903 sowie den späteren Ausgrabungen bekannt, die Karel Guth in den 1930 Jahren durchgeführt hat. Damals gab es eine Kommission für die Geschichte des Vysehrads, die sich auf systematische Forschungen in den einzelnen Teilen des Vysehrad konzentrierte. Bei Forschungen, die ich mit meinen Mitarbeitern in den Jahren 1968-70 durchführte, wurde die Lage der vorher gefundenen frühmittelalterlichen Fliesen überprüft. Dabei haben wir entdeckt, dass es unter den Fliesen noch Reste eines älteren Mauerwerks gibt. Diese Mauer gehörte zu einem älteren Bau, dem Vorgänger der St. Laurentius-Basilika. Er hatte wahrscheinlich den Grundriss des griechischen Kreuzes. Dies deutet an, dass es sich um die älteste Zeitetappe der Sakralarchitektur auf dem Vysehrad handeln kann, die höchstwahrscheinlich vom Ende des 10. Jahrhunderts stammt."

Damit haben sich Borivoj Nechvatal zufolge die bisherigen Vorstellungen über den Vysehrad geändert, obwohl - wie er betont - bis heute vieles nur vermutet wird.

"Der Vysehrad war am Ende des 10. Jahrhunderts eine bedeutende Burgstätte. Vorübergehend war sie auch der Sitz von Fürst Boleslav II. Das war in der Zeit der Kämpfe der Premysliden und der Slavnikiden. Wir nehmen an, dass es in jeder wichtigen Burgstätte einen Sakralbau gab. Der gefundene Bau war eben ein solcher Sakralbau. Wir haben sogar eine Nachricht darüber, dass im Jahre 1004, als die Truppen des polnischen Herzogs Boleslaw Chrobry (Boleslav des Tapferen) aus Prag vertrieben wurden, die Glocken von Vysehrad dabei geläutet haben. Dies steht in der Chronik von Thietmar von Merseburg. Diese Glocken läuteten vielleicht eben in diesem Sakralbau, den wir bei den archäologischen Forschungen entdeckt haben. Wir können es nicht hundertprozentig beweisen, die Indizien können wahr, aber auch unwahr sein."

Wie sah es im Frühmittelalter auf dem Vysehrad aus? Kann man sich darüber eine Vorstellung machen, wie man hier gelebt hat? Dies wollte ich von dem Archäologen wissen:

"Der Vysehrad war damals kleiner als heute. Sein Gebiet reichte bis zur St. Martins-Rotunde, wo die mittelalterliche Burgstätte endete. Das weitere Gebiet kam wahrscheinlich erst später - beispielsweise im 14. Jahrhundert unter Karl IV. - hinzu. Die Rolle des Vysehrad hat sich auch während der Jahrhunderte geändert. Wir wissen nicht, wie genau es auf dem Vysehrad in der ältesten Zeit ausgesehen hat. Einem Laien kann es ganz einfach vorkommen, aber so ist es nicht. Das Gelände hat zahlreiche architektonische Änderungen erlebt. Zu den größten Änderungen kam es beim Umbau des Vysehrad in eine Barockfestung - in den Jahren 1654-1670. Das Terrain änderte sich dermaßen, dass die vorherige Lage nicht mehr gut zu deuten ist. Die Archäologie kann noch lange das Gebiet des Vysehrad erforschen. Er birgt zweifelsohne noch viele Überraschungen. Es ist nicht notwendig, das unsere Generation alles ausgräbt. Vielleicht werden künftig mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, es wird auch vollkommenere Forschungsmethoden geben. Die künftigen Chancen, das Gebiet besser und intensiver zu erforschen, sind bestimmt besser."

Überraschungen kann man nie ausschließen, meint der Archäologe, vor allem was die ältesten Zeiten betrifft, aber alle Geheimnisse müssen nicht sofort entdeckt werden.

"Wir gehen von der Überzeugung aus, dass es nicht notwendig ist, Ausgrabungen zu machen, wenn der Bau nicht irgendwie gefährdet ist. Das historische Material ist dort konserviert, und falls es von keinerlei Bauaktivitäten gefährdet ist, muss man da keine archäologischen Forschungen durchführen. Die Konzeption der Archäologie hat sich in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren bedeutend geändert, und ich halte es für völlig richtig."

Ein anderer Archäologe, Ladislav Varadzin, befasste sich mit Ausgrabungen, die in der Nähe des St. Martins-Rotunde durchgeführt wurden. Was kann man aufgrund der Funde über die dortige Siedlung sagen?

"Viele Funde stammen aus dieser Lokalität. Sie haben aber eine begrenzte Aussagekraft. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die Siedlung in diesem Teil des Vysehrad aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts stammt, die Rotunde kann höchstens in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts entstanden sein. Von der St. Martins-Rotunde stammt auch ein einzigartiger Fund, der belegt, dass dort Buntmetalle wie Silber oder Kupfer bearbeitet wurden. Vielleicht gab es dort eine Werkstatt, in der Schmuck hergestellt wurde. Theoretisch kann man auch daran denken, dass es sich um einen Fund von der bekannten Vysehrader Prägerei handelt. Es kann sein, dass sie sich eben an diesem Ort befunden hat."

Der Fund, der die Metallbearbeitung belegt, ist dem Archäologen zufolge verhältnismäßig unauffällig. Es sind Keramikscherben, auf deren einen Seite geschmolzene Metallstücke gefunden wurden. Diese hatten eine so hohe Temperatur, dass sie die Scherbe zerätzt hatten, dass deren Seite mit Schaum bedeckt war. Bei einer gründlichen chemischen Analyse der Proben hat es sich gezeigt, dass es sich um Reste von Silber-, Kupfer- und Zinnbearbeitung handelt. Dies sind alles Komponenten, die im Frühmittelalter mit der Silberbearbeitung zusammenhängen. Es konnte sich um Schmuckherstellung, aber theoretisch auch um die Prägerei gehandelt haben. Es mangelt aber dem Experten zufolge an mehr überzeugenden Beweisen, die die eine oder andere Variante belegen könnten.

"Ein Beweis für die Existenz einer Präge wäre ein Fund des so genannten Schrötlings - also des ungeprägten Münzrohlings. Die bekanntesten Münzrohlinge wurden bei uns in Zatec / Saaz gefunden. Dabei hat man nie über eine Präge in Zatec gehört. Es wurden dort jedoch silberne Bruchstücke und darunter auch ungeprägte Münzrohlinge gefunden. Das war ein überraschender Fund. So etwa könnte man sich den Beweis für die Existenz einer Münzprägerei auf dem Vysehrad vorstellen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in der Umgebung der Rotunde mal solche Beweise gefunden werden."

Der neue Sammelband über den Königlichen Vysehrad kann auch für ausländische Geschichtsliebhaber interessant sein, da alle darin veröffentlichten Studien durch deutsche und englische Resümees ergänzt sind. Wie gesagt, wurde der ganze Vysehrad mehrmals grundlegend umgebaut. Auf dem Vysehrad gibt es auch einen Ehrenfriedhof. Dort wurde auch ein gemeinsames Grabmal für hoch verdiente Persönlichkeiten vor allem aus der Kultur errichtet. Falls Sie wissen, in welchem Jahrhundert dieses Mausoleum, das "Slavin" heißt, erbaut wurde, können Sie es uns schreiben. Denn so lautet die heutige Quizfrage, für deren richtige Beantwortung Sie ein Buch über Prag gewinnen können. Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Prag, Vinohradska 12, PLZ 120 99 Prag 2.

In der Augustausgabe des Spaziergangs durch Prag haben wir Sie danach gefragt, wo sich das Gebäude Manes befindet, in dem sich eine Galerie und ein Restaurant befinden. Manes liegt am rechten Moldauufer unweit des Nationaltheaters. Ein Buch über Prag geht diesmal an Alfred Hora aus Wien.