Weiser Visionär - der „Ketzerkönig“ Georg von Podiebrad
Bereits seit Januar verfolgt uns die Zahl Acht, die Schicksals-Zahl in der tschechischen Geschichte. Gleich vier wichtige Daten im 19. Jahrhundert enden auf diese Zahl. Doch auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit sind wichtige Ereignissen für das Königreich Böhmen mit ihr verbunden. Vor 550 Jahren war dies zum Beispiel die Krönung von Jiří z Poděbrad (Georg von Podiebrad). Sie fand am 7. Mai 1458 im Veitsdom auf der Prager Burg statt. Georg von Podiebrad ist als Ketzerkönig in die Geschichte eingegangen - ein in mehrfacher Hinsicht interessanter Herrscher.
„Georg von Podiebrad kam aus einer alten hussitischen Adelsfamilie. Sein Vater war ein Freund des größten hussitischen Kriegers, Jan Žižka, und seine Familie genoss hohes Ansehen in hussitischen Kreisen“, erläutert Geschichtsprofessor Petr Čornej von der Prager Karlsuniversität.
Die Adligen hussitischen Glaubens stellen die Mehrheit im Königreich. Doch als 1458 Georg von Podiebrad gewählt wird, stimmt auch die katholische Minderheit für ihn. Der Hussit hatte seit 1453 als Verwalter de facto bereits die Geschäfte des Staates geführt und sich dabei als geschickt erwiesen.„Die Wahl von Georg von Podiebrad wurde zudem dadurch erleichtert, dass in Ungarn im Januar desselben Jahres bereits Matthias Corvinus zum König gewählt worden war – und er war auch nur ein einfacher Adliger“, ergänzt Petr Čornej.
Am Heiligen Stuhl jedoch gilt Georg von Podiebrad als Häretiker, deswegen erhält er später auch den Beinamen „Ketzerkönig“. Dass Papst Pius II. die Ernennung dennoch akzeptiert, hat mit der bedrohlichen Lage in Europa zu tun. Vor den Toren des Abendlandes stehen die türkischen Heere. In Rom hofft man, dass der Ketzerkönig und Mathias Corvinus einen militärischen Schutzschild gegen sie bilden. Doch so einfach kommt Georg nicht davon. Einen Tag vor seiner Krönung, also am 6. Mai 1458, nehmen die katholischen Bischöfe aus Ungarn ihm und seiner Frau einen geheimen Eid ab. Obwohl Georg von Podiebrad eigentlich Anhänger der reformatorischen Bewegung ist, schwört er, dem Papst treu ergeben zu bleiben, „um unser Volk abzuwenden von jeder Art Sekten, Irrglauben und auch anderen Elementen, die nicht mit der römischen Kirche vereinbar sind“. So heißt es in einer etwas freien Übersetzung des Eides.
Die Formulierung ist ziemlich allgemein gehalten. 1462 wächst sich der Gegensatz zwischen Papst und den Hussiten in Böhmen erneut zur Krise aus. In diesem Moment macht Georg den bis dahin geheimen Eid öffentlich bekannt – beide Seiten, katholische Kirche und Hussiten, legen ihn nun jeweils zu ihren Gunsten aus. Böhmen droht neuer Krieg.Bis zu diesem Zeitpunkt, als erneut ein militärischer Konflikt droht, war es Georg von Podiebrad aber gelungen, die Lage im Königreich zu beruhigen. Dazu hatte es viel Geschick gebraucht. Zeitgenössische Quellen nennen Georg auf Lateinisch sapiens – er war also weise, klug und kühn, mehr Politiker denn Krieger. Doch entgegen seinen Vorgängern auf dem böhmischen Thron beherrschte er praktisch keine Fremdsprachen neben dem Tschechischen. Sein Deutsch und Latein waren so schlecht, dass er sich anders behalf. Petr Cornej:
„Er war sich seines Handicaps bewusst. Und er wusste: Wollte er Erfolg haben, musste er kommunizieren können. Anders konnte er die Grundzüge seiner Politik schwerlich in Europa erläutern. Deswegen hat er ausländische Experten zu seinen Beratern gemacht.“
Und das waren vor allem drei Namen: die beiden Deutschen Martin Mair, der auch die Wittelsbacher in Bayern beriet, und Gregor von Heimburg, ein Rechtsgelehrter. Außerdem war es Antonius Marini, ein französisch-italienischer Wirtschaftsexperte aus Grenoble. Marini soll derjenige gewesen sein, der König Georg ab 1462 zu seinem wohl bedeutendsten Projekt gedrängt hat: dem europäischen Friedensplan. Darin schlug Georg von Podiebrad vor, ein ständiges Parlament aus den Vertretern aller europäischen Staaten zu schaffen. Dieser Vorläufer der Europäischen Union, wie er später genannt wird, sollte auf friedlichem Weg Auseinandersetzungen lösen. Zugleich beinhaltete er ein Militärbündnis gegen die Türken. Es war ein einzigartiges Projekt, befindet Jaroslav Boubín vom Historischen Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag:„Einzigartig war es, weil zum ersten Mal ein solch groß angelegtes Projekt Gegenstand offizieller Verhandlungen an einer ganzen Reihe von Herrscherhöfen in Europa wurde.“Allerdings griff der Plan seiner Zeit, dem Spätmittelalter, sehr weit voraus. Vor allem der Gleichheitsgedanke unter den Herrschern war revolutionär.
„Damit führte das Projekt bereits in die Neuzeit. Es bestreitet die privilegierte Stellung der wichtigsten mittelalterlichen Autoritäten, des Kaisers und des Papstes“, so Boubín.
Für Rom ist das natürlich nicht akzeptabel: Dort und an den europäischen Herrscherhöfen scheitert Georg von Podiebrad mit seinem Projekt. Stattdessen verschlechtert sich die Lage für ihn zusehends. 1466 hebt der Papst die Religionsfreiheiten auf, die 30 Jahre zuvor Böhmen garantiert worden waren. Und er ruft zum erneuten Kreuzzug auf – Georg gilt nun als Ketzer.
1468 fällt dann der vermeintliche Verbündete Matthias Corvinus mit einem Heer nach Böhmen ein. Erneut beginnt ein langjähriger Krieg. Am 22. März 1471 stirbt der König, der in seinen letzten Lebensjahren an Wassersucht leidet.„Die Herrschaft von Georg von Podiebrad hörte aber bereits mit dem Krieg auf, und nicht erst mit seinem Tod“, resümiert der Historiker Petr Čornej.
Noch vor seinem Tod hatte Georg den böhmischen Ständen empfohlen, aus dem polnischen Herrscherhaus der Jagiellonen einen Thronnachfolger zu wählen. Prinz Vladislav Jagiello und damit ein Katholik beerbte den Hussitenkönig.