Georg von Podiebrad und seine Friedensmission

Georg von Podiebrad

Seit März finden an mehreren Orten in Tschechien Veranstaltungen statt, die an den böhmischen König Jiří z Poděbrad / Georg von Podiebrad erinnern. Als Anlass gilt sein 550 Jahre altes Friedensprojekt, das eine vertraglich fixierte Kooperation der christlichen Länder Europas zum Ziel hatte. Die seinerzeit einmalige Friedensbotschaft, überbracht durch seine Sondergesandten an den französischen König Ludwig XI. und in der Folge auch an andere Königshäuser in Europa, verpuffte letztlich ohne Wirkung. Doch wer war dieser erste gewählte König Europas mit Friedensmission?

Georg von Podiebrad
Es waren keine rosigen Zeiten in Böhmen, als der künftige König Georg von Podiebrad am 23. April 1420 als Nachkomme eines mährisch-böhmischen Adelsgeschlechts zur Welt kam. Sein Vater Viktorin Boček von Kunstadt und Podiebrad war Anhänger des Kirchenreformators Jan Hus; doch nach der Verbrennung von Hus 1415 auf dem Scheiterhaufen in Konstanz brachen in Böhmen die Hussitenkriege aus. Georg selbst nahm schon mit 14 Jahren an der entscheidenden Schlacht bei Lipany / Lipan teil, in der der radikale Hussitenflügel geschlagen wurde. Er und sein Vater gehörten mittlerweile den gemäßigten Hussiten an.

Während der rund 30 Jahre andauernden ständigen Wechsel auf dem böhmischen Thron nach den Hussitenkriegen war Georg eine Zeitlang der Hauptmann der Region Mladá Boleslav / Jungbunzlau, bevor er 1452 zum Landesverwalter gewählt wurde. Als dann mit Ladislaus Postumus der letzte Thronfolger im Alter von 17 Jahren starb, wurde Georg zum böhmischen König gewählt. Und zwar einstimmig: 1458 sprachen sich sowohl die Adligen hussitischen Glaubens, die Utraquisten, die damals die Mehrheit stellten, für ihn aus als auch die katholischen Stände. Wie aber war das Leben am Hof des neuen Staatsoberhauptes? Blanka Zilynská ist Historikerin an der Prager Karlsuniversität:

Blanka Zilynská  (Foto: Archiv der Karlsuniversität)
„Über das Geschehen am Hof lassen sich in den zu Podiebrads Lebzeiten verfassten Chroniken kaum Informationen finden. Der König selbst hat offenbar nicht, wie es bei hohen Amtsträgern sonst üblich war, ein Schriftwerk für sich bestellt, das sein Leben dokumentiert hätte. Wir Historiker sind daher angewiesen auf relevante Rechtsdokumente jener Zeit, in denen die Namen der Teilnehmer an verschiedenen juristischen Handlungen genannt wurden. Es sind zum Beispiel Namen von Menschen, die die Beschlüsse des königlichen Rates der königlichen Kanzlei überbrachten und dort deren nachfolgende schriftliche Aufzeichnung beaufsichtigten.“

Georgs Hauptsitz war allerdings nicht die Prager Burg. Damals war sie durch die Kriege beschädigt, und auch die Maßnahmen zu ihrer Instandhaltung waren unzureichend. Nichtsdestotrotz diente die Burg als Quartier von Beamten des Landesgerichts. Der König wohnte und amtierte im so genannten Königshof (Královský dvůr), der schon seit der Zeit Wenzels IV. als Residenz der böhmischen Herrscher diente. Heute ist auf dem Gelände das sogenannte „Repräsentationshaus“ zu finden. Die Persönlichkeit Georgs von Podiebrad sieht Zylinská folgendermaßen:

Ctibor Tovačovský z Cimburka
„Er hatte keine höhere Ausbildung, sei es an der Universität oder durch Privatunterricht von Gelehrten. Der mährische Standesherr und Georgs Anhänger Ctibor Tovačovský z Cimburka bezeichnete ihn als ´einen natürlichen, weisen Menschen ohne schriftliche Sinnesschärfung´. Damit beschrieb er am trefflichsten seine Intelligenz sowie sein in der Praxis erlangtes Wissen.“

Martin Šandera von der Universität Hradec Králové / Königgrätz fügt hinzu:

„Latein beherrschte er nicht und Deutsch sprach er auch nur mit großer Mühe, somit war er auf Dolmetscher angewiesen. Umso mehr lag Georg daran, dass seine Kinder unter diesem Handicap nicht zu leiden hatten. Für sie plante er eine Zukunft als Könige, Reichskurfürsten und ranghohe europäische Adlige. Deswegen erhielten sie eine ausgezeichnete Bildung.“

Ein erhalten gebliebenes Dokument von 1463 auf Deutsch wurde von dem Herrscher beispielsweise Tschechisch signiert: Jiří, král český vlastní rukou… (auf Deutsch: Georg, König von Böhmen, eigenhändig unterzeichnet…)

Papst Pius II.
Georg von Podiebrad war einer der ersten europäischen Herrscher, die kontinuierlich gegen den päpstlichen Universalismus ankämpften. Sein Leitgedanke, genauer gesagt: seine Vision war, das Königreich Böhmen als einen Staat auf weltlichen Fundamenten und konfessioneller Toleranz aufzubauen. Doch nicht lange konnte er sich auf all jene verlassen, die ihn zu seinem Amtsantritt noch unterstützt hatten.

„Vor allem die Namen der zehn bedeutendsten böhmischen Adelsfamilien sind am häufigsten in den Rechtsdokumenten des damaligen Königshofs zu finden. Zum Großteil waren dies Katholiken, und gerade das war der Hauptgrund für die Probleme, die Georg von Podiebrad nach 1465 in seinen Beziehungen zur päpstlichen Kurie hatte. Papst Pius II. hatte sich bei Georgs Amtsantritt ausgemalt, in ihm einen hörigen Herrscher vorzufinden, der gegen die Utraquisten hart vorgehen würde. Weil es dazu aber nicht kam, wurde der böhmische König vom Papst als Häretiker aus der Kirche exkommuniziert. In diesem Moment mussten sich die katholischen Stände in Böhmen entscheiden, auf wessen Seite sie stehen wollten. 1465 schloss der Großteil von ihnen eine Allianz gegen den König. Ihre Schirmherren waren der Papst und der König von Ungarn, Matthias Corvinus.“

Konzil in Basel
Trotz dieser schwierigen Lage wollte Georg von Podiebrad aber nicht von seinen politischen Ambitionen lassen, die er mithilfe breitangelegter diplomatischer Verhandlungen umzusetzen versuchte. Marie Bláhová von der Karlsuniversität:

„Es waren Verhandlungen mit der römischen Kurie und anderen Würdenträgern der Kirche über die Anerkennung der sogenannten Prager Kompaktaten, die Georg für das Fundament seiner Herrschaft hielt. Hiernach sollte zum Beispiel jedem nach Wunsch auch das kirchliche Abendmahl in zweierlei Gestalt, also mit Brot und Wein gereicht werden. Die Dokumente zu dieser Sonderregelung in Böhmen und Mähren, die mit der katholischen Kirche schon 1436 beim Konzil in Basel vereinbart worden waren, wurden 1462 von Pius II. für null und nichtig erklärt. Intensive diplomatische Verhandlungen führte der Prager Hof auch mit dem römisch-deutschen Kaiser und weiteren europäischen Herrschern. Renommierte Persönlichkeiten wurden nach Prag als Berater eingeladen. Zu ihnen gehörten der Ökonom, Erfinder und Diplomat Antonio Marini von Grenoble, der erfahrene deutsche Diplomat Martin Mair und der hochgebildete Experte für das Kirchenrecht, Gregor von Heimburg.“

Insbesondere der europaweit bereiste Marini vermittelte dem böhmischen König einen sachkundigen Blick hinter die Kulissen der europäischen Politik voller Streitigkeiten, Geheimverhandlungen und Intrigen. Unter seiner Federführung entstand in den Jahren 1463 und 1464 Georgs umfassender Entwurf zur Gründung einer Friedensorganisation der christlichen Länder Europas. Hier eine kleine Kostprobe aus dem auf Lateinisch verfassten Text. Die Übersetzung des Zitats lautet auf Deutsch ungefähr so, Zitat:

„Wenn unsere sogenannte Versammlung oder ihre Mehrheit anordnet, entscheidet oder etwas anderes beschließt als oben angeführt, was in irgendeiner Weise den Frieden bewirken wie auch dem Frieden, der Gerechtigkeit sowie der Verteidigung der Christen zugute kommen kann, dann wollen wir das als Ganzes oder im Einzelnen achten und dies in Schutz nehmen sowie das tun, was das Bündnis einer wahren und aufrichtigen Bruderschaft erfordert.“

Vertrag mit dem französischen König
Die Schaffung eines solchen Friedensparlaments lehnte Matthias Corvinus als einer der ersten ab. Stattdessen setzte er sich mit dem Segen des Papstes zum Ziel, seinen Schwiegervater Georg von Podiebrad vom Thron zu stürzen. Dieser reagierte aber flexibel und lenkte seine Friedenbestrebungen mit großen Hoffnungen auf Frankreich.

1464 brach von Prag aus eine Delegation mit dem Auftrag auf, den französischen König für die Gründung eines europäischen Parlaments zu gewinnen, in dem er auch den Vorsitz übernehmen sollte. Das passte allerdings dem Heiligen Stuhl nicht ins Konzept - und Ludwig XI. wollte sich nicht gegen den Papst stellen. Die böhmische Delegation, geleitet von Jan Kostka z Postupic, wurde zwar mit allen Ehrungen in Frankreich empfangen, doch am Ende gab es nur ein diplomatisches „Jein“ zu hören. Am 18. Juni 1464 verpflichtete sich König Ludwig XI. im nordfranzösischen Dieppe, treue freundschaftliche Beziehungen zum böhmischen König zu unterhalten. Das erste europäische Friedensprojekt war damit aber gescheitert. Sein Propagator starb am 22. März 1471. Erst Ende des 19. Jahrhunderts kehrten Rechtshistoriker zu den Ideen von Georg von Podiebrad zurück. Es ging um den Internationalen Gerichtshof, der 1899 in den Haag gegründet wurde.