Werbeplakate gab es in Prag schon im 19. Jahrhundert
Oft liest oder hört man heutzutage Klagen darüber, wie das Stadtzentrum von Prag durch die verschiedensten Werbetafeln und geschmacklose Plakate verunstaltet wird. Kaum jemand ahnt jedoch, dass es ähnliche Beschwerden über die überall präsente Werbung schon vor ca. 100 Jahren gab. Mehr über das Prag des 19. Jahrhunderts erfahren Sie von Martina Schneibergova und Thomas Kirschner im folgenden Spaziergang durch Prag:
Beim Spaziergang durch das Prager Stadtzentrum sind sie nicht zu übersehen, sie verdecken manchmal vollständig die wertvollen Fassaden historischer Häuser oder verzieren nicht gerade geschmacksvoll den Gehsteig um die Aufmerksamkeit der Vorbeigehenden zum Kauf bestimmter Artikel anzuregen, die für Touristenartikel gehalten werden. Die Liebhaber alter Zeiten sagen sich manchmal, wie schön es im 19. Jahrhundert in der Moldaumetropole aussehen haben muss, als sie vom massiven Zustrom der verschiedensten Werbung noch unberührt war. Nach Meinung der Historikerin Pavla Vosahlíková ist jedoch diese Vorstellung falsch:
"Gerade solche Klagen darüber, dass das Antlitz der Stadt durch Werbung verstellt ist, sind sehr alt. Sie wurden bereits im 19. Jahrhundert erhoben. Diejenigen, die sich für den Denkmalschutz einsetzten und deren Stimmen im Zusammenhang mit der Assanierung der jüdischen Stadt zu hören waren, schenkten schon in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit dem negativen Einfluss der Werbung auf die Stadt. Sie verwiesen z. B. darauf, dass die Portale und verschiedenen Verzierungen an den Barockpalästen unter der so genannten Schalung der Läden verschwinden. Diese Bretterwände, die vor den Läden standen, wurden mit verschiedenen Werbetafeln aus Blech umfasst, auf denen die Waren angeboten wurden."
Probleme mit der Werbung tauchten der Historikerin zufolge auch schon etwas früher - in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf. Die Werbung - der Zustrom der verschiedenen großflächigen Plakate - verbreitete sich damals entlang der Eisenbahnstrecken. Diese Erscheinung ist mit den heutigen Werbeflächen entlang der Autobahnen vergleichbar. In Prag tauchte die Werbung jedoch später auf als beispielsweise in Wien oder in einigen anderen europäischen Metropolen. Die großflächigen Plakate warben für bestimmte Markenwaren, eine andere Art der Werbung wurden von den Kleinunternehmern benutzt:
"Ein Kleinunternehmer, ein Gewerbetreibender begnügte sich damals in Prag mit der Werbung in der Umgebung seines Geschäftes, weil seine Klientel beschränkt war. Unternehmen mit größeren Ambitionen bemühten sich, den Kunden auch in der Ferne anzusprechen. Zu diesem Zweck wurden Werbetafeln entlang der Eisenbahnstrecken, aber auch in verschiedenen öffentlichen Gebäuden - in den Bahnhofshallen, in den Postämtern usw. instaliert. Dies war im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ganz üblich. Die Zeitgenossen - z. B. der Schriftsteller Ignát Herrmann kritisierten es und sie beschwerten sich darüber, wie das Zauber des historischen Prag unter der Menge von Werbepapieren und Emailletafeln verschwindet. Ihrer Meinung nach wurde alles der Werbung untergeordnet."
Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts war die von den Prager Patrioten kritisierte Werbung aber eine neue Angelegenheit. Denn bis 1860 kann von einer Werbung im heutigen Sinne des Wortes kaum die Rede sein. Die Werbung war damals noch nicht so notwendig, denn der Markt wurde von Kleinproduzenten versorgt, und ein lokaler Kleinunternehmer hatte eine präzise Vorstellung darüber, was und zu welchem Preis er produzieren kann. Sein Kundenkreis war verhältnismäßig stabil und der Produzent hatte nicht das Bedürfnis, seine Waren irgendwie zu annoncieren. Außerdem gab es noch eine gesetzliche Maßnahme, die der modernen Werbung im Wege stand. Pavla Vosahlíková dazu:
"Eine massivere Verbreitung der Werbung wurde zugleich durch die in der Monarchie gültigen Gesetze verhindert. Bis 1860, bzw. 1859 funktionierte - auch wenn in einer beschränkten Form - immer noch das Zunftsystem. die Zünfte schrieben ihren Mitgliedern die Zahlen sowie die Qualität und die Preise ihrer Produkte vor. Eine massivere Werbung war nicht wünschenswert und war teilweise sogar gesetzwidrig. Diese Einschränkung betraf nicht Berufe, die nie etwas mit den Zünften zu tun hatten. Das waren Berufe, die später als das mittelalterliche Zunftsystem entstanden - z. B. alle Professionen, die mit dem Buchdruck zusammenhingen."
Die Buchdrucker bewarben ihre Waren viel früher als Handwerker wie Tischler oder Schuster. Zu Handwerkern, die Werbung für ihre Dienste auch schon sehr früh benutzten, gehörten die Wundärzte:
"In Prag gab es schon im 18. Jahrhundert Werbungen dieser Art: In dem und dem Haus in der Altstadt wird ein Wundarzt den Interessenten fast schmerzlos Zähne ausziehen. An den Ecken wurden Zettel mit diesem Text geklebt und auch in der damaligen Presse tauchten die ersten Annoncen dieser Art auf. Neben diesen Wund- oder Zahnärzten, die jedoch keine Universitätsbildung hatten, gab es noch eine Profession, die schon früh Werbung für ihre Dienste machte. Das waren die verschiedensten Gaukler und Zirkusleute also diejenigen, die - wie wir heute sagen würden - Showbusiness anboten. Als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten großen Zirkusse nach Prag kamen, versuchten sie, die Zuschauer auf verschiedene Art zu ihren Vorstellungen einzuladen. Es wurden Zetteln an die Fassaden geklebt, in der Presse wurde die Vorstellung annonciert, und der Höhepunkt der Werbekampagne war ein Umzug durch die Stadt."
Ähnliche Umzüge durch die Stadt wurden nicht nur von den Zirkusleuten, sondern auch von den Betreibern der so genannten "Kabinette der Kuriositäten" oder ähnlicher Attraktionen organisiert. Bei dieser Parade durch Prag wurde den eventuellen Besuchern eine Kostprobe aus dem Programm angeboten.
Die Zunftordnung wurde 1859 endgültig aufgehoben, und es wurde dank den deutschen Liberalen ein neues Gewerbegesetz verabschiedet. Ein ungewollter Effekt der neuen liberalen Gesetze war die Beseitigung der rechtlichen Einschränkungen, die die Propagierung der Waren betrafen. Damit wurde eine neue rechtliche Grundlage für die Werbung in der ganzen Monarchie geschaffen. Nun war es nicht nur möglich, sondern allmählich auch notwendig, für die Produkte bzw. Dienste zu werben. Der Bedarf an Werbung hing mit der Entwicklung der Großproduktion zusammen. Pavla Vosahlíková meint:
"Bereits in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts gab es in Prag schon die ersten Plakate der Kleinproduzenten. Es handelte sich dabei um Firmen, die Luxuswaren anboten - z. B. Liköre. Nach Zeugnissen der Zeitgenossen hatte diese Werbung die Form eines großen Zettels, denn großflächige Plakate, wie man sie heute kennt, waren mit den damaligen technischen Mitteln kaum herstellbar. Auf diesen Zetteln wurden wenig Bilder benutzt, es handelte sich eher um Texte, die mit einigen Schriftarten geschrieben wurden."
In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts tauchten in Prag auch die ersten etwas vornehmeren Aushängeschilder, die schon einen Werbecharakter hatten, auf Die älteren Aushängeschilder entwickelten sich aus den einstigen Zunftzeichen und informierten nur darüber, dass es hier eine solche Werkstatt oder eine Gaststätte gibt. Auf den Schildern stand jedoch nur das Gewerbe, aber kein Wort darüber, dass derjenige Handwerker das Allerbeste herzustellen weiß. In der ersten Hälfte des 19. Jahrehunderts tauchten aber in Prag auch schon Aushängeschilder auf, die eher Werbecharakter hatten. Diese waren nach Worten der Historikerin vor allem bei Läden anzutreffen, die die so genannten Kolonialwaren anboten. Für diese exotischen Produkte wurde auch in Form eines Bildes Reklame gemacht.
Unseren Spaziergang durch das mit Werbezetteln verunstaltete Prag der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden wir, liebe Hörerinnen und Hörer, in zwei Wochen fortsetzen.