Werner Fritsch: „Warum ist die tschechische Sprache und Literatur nur so klein?“

Werner Fritsch (Foto: Tomáš Vodňanský, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Der deutsche Schriftsteller, Dramatiker und Filmregisseur Werner Fritsch wurde 1960 geboren. Er studierte Ethnologie und Literatur in München, zurzeit lebt er in Berlin. In der vergangenen Woche war Werner Fritsch im Prager Funkhaus zu Gast – Anlass dazu gab die tschechische Premiere seines Hörspiels „Nico – Sphinx aus Eis“. Bei diesem Stück handelt es sich aber nicht um seine erste Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Rundfunk. Im Folgenden ein Interview mit Werner Fritsch über das Hörspiel, aber auch über seine enge Beziehung zur tschechischen Literatur und zu Tschechien.

Nico  (Foto: GanMed64,  CC BY 2.0)
Herr Fritsch, der Tschechische Rundfunk sendet die tschechische Premiere Ihres Stücks „Nico - Sphinx aus Eis“. Was fasziniert Sie an dem Schicksal des ehemaligen Models und späteren Sängerin Nico?

„Es geht erstmal um Nico: Sie stammte aus Deutschland und gelangte über Coco Chanel, Alain Delon und Federico Fellini nach Amerika. Dort lernte sie Warhol kennen, Bob Dylan und The Velvet Underground. Der Hintergrund ist sozusagen: Ich habe gemerkt, dass es eine exemplarische deutsche Biographie gibt, die trotzdem viel über Europa und die Entwicklung von Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt. Nico hatte dann in ihrem fünfzigsten Lebensjahr einen Fahrradunfall, sie wurde von einem Auto in einen Straßengraben gestoßen. Die Situation des Hörspiels ist, dass sie dort liegt und zwischen Leben und Tod schwebt. Sie erinnert sich an bestimmte Augenblicke ihres Lebens. Mich persönlich fasziniert gerade in einer Zeit, wo Deutschland den Superstar sucht und das quasi den Geist vieler junger Menschen - auch meiner Töchter – beeinflusst: Was geht eigentlich hinter den glatten Gesichtern dieser Models vor sich? Nico hat das exemplarisch gezeigt. Von vielen als die schönste Frau der Welt bezeichnet, hat sie irgendwann radikal aufgehört, sich um ihren Körper zu kümmern, und stattdessen nur noch um ihre inneren Werte. Sie hat versucht, eigene Worte und Liedtexte zu finden und eigene Harmonien zu diesen Texten auf einem kleinen Harmonium, das sie hatte. Mich fasziniert, dass sie quasi das einzige Supermodel der Welt war, das auch einen interessanten Inhalt zu präsentieren hatte.“

Das Stück wurde bereits in vielen Ländern der Welt aufgeführt. Wie kam es nun nach Tschechien?

„Hier wurde bereits eines meiner Hörspiele produziert - ‚Enigma Emmy Göring‘. Erst jetzt habe ich übrigens erfahren, dass dieses Stück im Jahr 2010 sogar den ‚Prix Bohemia Radio‘ gewonnen hat. Außerdem war ich auf zwei internationalen Festivals und habe dort mit meinem Hörspiel ‚Faust. Sonnengesang‘ zwei Preise gewonnen. Das hat natürlich auch das Interesse verschiedener Radioanstalten aus Europa geweckt, darunter der Tschechische Rundfunk. Weiter habe ich auch ein Kurzhörspiel für den Tschechischen Rundfunk geschrieben; weitere werden gerade jetzt übersetzt. Es hat freut mich sehr, dass der Rundfunk nun auch ‚Nico‘ auf Tschechisch realisiert.“

Sie haben Ihre frühere Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Rundfunk erwähnt. Wie kam es dazu?

Werner Fritsch  (Foto: Tomáš Vodňanský,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Das hat mit ‚Enigma‘ angefangen und ist über die Hörspieltreffen Prix Marulic und Grand Prix Nova in Bukarest erneut entflammt.“

Abgesehen von diesen Hörspielen, die in Tschechien gesendet wurden, haben Sie ohnehin ein enges Verhältnis zu Tschechien als Land und zur tschechischen Literatur. Wovon leitet sich Ihr Interesse ab?

„Ich bin in Waldsassen geboren, das liegt etwa zehn Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Diese Grenze war in meiner Jugend der Eiserne Vorhang und das Ende der westlichen Welt. Ich habe mich immer dafür interessiert, wie es dahinter weitergeht. Als ich 1985 das erste Mal rübergefahren bin, allein mit dem Auto, habe ich für meinen Roman ‚Cherubin‘ und für meinen Film ‚Das sind die Gewitter in der Natur‘ unendlich viel über die eigene Geschichte erfahren. Denn dort waren viele Dörfer noch so, wie sie früher bei uns auch gewesen sind. Dieses Wilde hat mich sehr fasziniert. Und dann bin ich natürlich in gewisser Weise mit der tschechischen Literatur aufgewachsen. Ich hatte einen Lehrer, der mir schon als Zwölfjährigem Bohumil Hrabal vorlas, und Kafka liest man dann so mit 13 oder 14 Jahren. Ich habe später sogar ein Lesebuch über Böhmen im Insel-Verlag herausgegeben, und bin dann mit meiner späteren Frau jahrelang durch Böhmen gefahren, mit dem Auto, den Kofferraum voller Bücher. Ich habe immer jene Orte ausgesucht, die in den Büchern vorkommen, und verglichen, ob noch der Geist da ist, ob man es noch spürt, was der Autor geschrieben hat. Das hat mir eine sehr tiefe Bindung zu dem Land erbracht. Ich finde es ungeheuer schade, dass die tschechische Sprache und Literatur so speziell und so klein ist, dass bisher so wenig übersetzt wurde. Es gibt große Lyriker hier, zum Beispiel Vladimír Holan. Ich lese jetzt seine ‚Nacht mit Hamlet‘ innerhalb von dreißig Jahren zum dritten Mal und entdecke immer neue Dinge. Mit anderen Worten: Ich finde das eine ganz tolle, interessante Literatur und möchte ein bisschen beitragen, dass auch andere Leute sie wahrnehmen.“

Sie haben ein Lesebuch über Böhmen erwähnt. Handelt es sich dabei um Texte deutscher Autoren, die über Böhmen schreiben?

„Nein, das ist ganz paritätisch. Die böhmischen Landschaften werden aus so vielen Perspektiven wie möglich beschrieben. So sind einerseits die deutschsprachigen böhmischen Autoren wie Stifter, Kafka und viele andere vertreten, aber andererseits auch tschechische Autoren wie Hrabal, Holan und viele weitere.“

An welchen Orten waren Sie, die in den Büchern vorkommen?

„Ich war zum Beispiel am Fluss Berounka, den Ota Pavel intensiv beschrieben hat. Wir sind die entsprechende Gegend abgefahren und haben uns einquartiert, übernachtet, gelesen, fotografiert und Notizen gemacht. Das war eine ganz wunderbare Zeit. Damals habe ich auch Bohumil Hrabal besucht.“

Bohumil Hrabal  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Haben Sie Hrabal persönlich getroffen?

„Ja ich habe mich mit ihm getroffen. Und ich habe dann ein 40-seitiges Vorwort zu einem tausendseitigen Hrabal-Romanband geschrieben, der im Suhrkamp-Verlag erschienen ist. Ich habe jetzt zu meiner Freude erfahren, dass das Vorwort ins Tschechische übersetzt werden und hierzulade auch als Buch erscheinen soll.“