Wie sieht der Teufel die Dinge? - Petr Čichoňs melancholisch-düstere Suche nach der eigenen Identität
In der letzten Ausgabe der Begegnungen haben wir Ihnen die Schriftstellerin Tereza Boučková vorgestellt, die im vergangenen September einen Monat in Wiesbaden verbracht hat - als Stipendiatin des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren. Doch noch ein weiterer tschechischer Schriftsteller erhielt im vergangenen Jahr ein Stipendium des Prager Literaturhauses. Es war der Brünner Dichter Petr Čichoň. Patrick Gschwend hat ihn zu Hause besucht und folgendes Porträt gestaltet.
Düster und dämonisch kommen die Gedichte von Petr Čichoň daher. Seit den 90er Jahren präsentiert sie der Dichter aus Brno / Brünn mit der Laute in der Hand. Damit ist er so etwas wie der Archetyp des Lyrikers. Denn seit jeher war Dichtung – ein literarisches Genre, das Čichoň selber als tot bezeichnet – mit Musik verbunden. So hält Petr Čichoň damit auch den australischen Rock-Barden Nick Cave für einen Dichter. Petr Čichoň ist Tscheche. Deutschland – und seine Gegenwart und Vergangenheit – ist für das literarische Schaffen des 39-jährigen aber eine der Hauptinspirationsquellen:
„Ich beschäftige mich schon lange mit der deutschen Kultur. Deshalb habe ich auch meine dritte und bislang letzte Gedichtsammlung Pruské balady / Preußische Balladen zweisprachig geschrieben, beziehungsweise ich habe sie auf Tschechisch geschrieben und ins Deutsche übersetzen lassen. Teil des Buches ist auch eine CD, auf der ich einzelne Gedichte singe, auf Tschechisch und auf Deutsch.“
Die deutsche Sprache lernt Čichoň allerdings erst noch, obwohl seine Familie deutsche Wurzeln hat:
„Das ist ein großes Paradox und ich verstehe das selber nicht. Denn zum Teil hat mich meine Urgroßmutter aufgezogen, zu der wir zu Hause Oma gesagt haben. Das war einfach Oma. Aber diese deutschen Elemente waren bei uns gewissermaßen tabuisiert. Meine Urgroßmutter hatte eine ambivalente Beziehung zu Deutschland. Sie war ursprünglich Deutsche. Zwei ihrer Söhne sind im Zweiten Weltkrieg auf der Seite der Wehrmacht gefallen. Deutschland hat eigentlich dieser Gegend, aus der ich komme, nichts Gutes gebracht. Aber: Die deutsche Identität ist dort trotzdem immer geblieben. Uns hat man deutsch aber nicht mehr beigebracht. Unter dem kommunistischen Regime hat man in den Schulen sehr darüber gewacht, dass die Kinder kein deutsch sprechen. Als ich später angefangen habe mich mit dem Thema literarisch auseinanderzusetzen, stellte ich aber fest, dass es eine absolute Notwendigkeit ist, die Sprache zu lernen, und dass es eine Schande für mich ist, sie nicht zu beherrschen.“
Mit einer melancholischen Grundhaltung setzen sich die Pruské balady / die Preußischen Balladen mit der Region Mährisch-Schlesien zur Zeit des Zweiten Weltkriegs auseinander. Und bewegen sich damit zwangsläufig in einem kontrovers aufgeladenen Spannungsfeld zwischen Tschechien und Deutschland. Čichoň erklärt, schon vor der Revolution im Jahr 1989 in seiner schlesischen Heimat Probleme mit seiner Identität gehabt zu haben. So war das Schreiben der Preußischen Balladen für ihn ein Selbstfindungsprozess:
„Ich komme aus dem Hultschiner Ländchen in Mährisch-Schlesien. Die Gegend nennt man bei uns Preußen, was als ein Schimpfwort gilt. Ich bin gewissermaßen von dort emigriert. Hier nach Brno / Brünn in Südmähren bin ich zum Studieren gekommen und geblieben. Aus verschiedenen persönlichen Gründen musste ich vor etwa zehn Jahren für fast ein Jahr wieder an meinem Geburtsort leben. Dort sah ich mich mit verschiedenen Realitäten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs konfrontiert. Ich habe also gewissermaßen eine verschwundene Welt entdeckt, die sehr inspirierend und exotisch war. Auf diese Weise habe ich zurück zu meiner Identität gefunden, oder ich musste sie neu suchen. Und darum beschäftige ich mich mit Deutschland.“
Mit Deutschland konnte Petr Čichoň sich im vergangenen Jahr sehr intensiv beschäftigen, denn er verbrachte im Oktober einen Monat in Wiesbaden als Stipendiat des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren.
„Ich glaube es ist mir gelungen in diesem Monat sehr grundlegende Dinge zu erleben. Ich hatte dort viel Zeit zum Schreiben. Ich habe an meinem ersten Roman gearbeitet. Er heißt Slezský román / Schlesischer Roman und beschäftigt sich mit dem schlesischen Grenzgebiet beziehungsweise mit seinen deutschen Teilen. Die Geschichte spielt sowohl in Tschechien als auch in Deutschland. Daher hielt ich es für wichtig einige Zeit in Deutschland zu verbringen, um mich mit der Realität dort vertraut zu machen.“
Die Zeit in Wiesbaden hat Petr Čichoň aber auch dazu genutzt seine Preußischen Balladen vorzustellen. Vier Auftritte hat er in Hessen gehabt, und nach eigener Aussage haben ihn die überwiegend positiven Reaktionen des deutschen Publikums überrascht. Denn in Tschechien werden Čichoňs Gedichte und ihre melancholisch-düstere Stimmung durchaus kontrovers diskutiert.
„Gute Nacht Schlesien! Für dich allein spielten die Teufel im Birkenhain...“
„Die Preußischen Balladen erwecken den Geist des alten Preußens zum Leben und lassen ihn eine Weile seine traurige Geschichte erzählen; eine Geschichte von einem toten Land, dessen Gewässer uns noch immer an das Blut gefallener Soldaten erinnern.“ So heißt es in einer Rezension des Online Magazins Rozrazil. Ein weniger geneigter Rezensent der literarischen Wochenzeitschrift Tvar wähnt Čichoň gar am rechten politischen Rand und stellt ihm die schlichte Frage „Wozu?“ Petr Čichoň ist sich darüber im Klaren, dass er sich mit einem sensiblen Thema befasst. Revisionistische Intentionen weist er allerdings weit von sich.
„Ich habe lange nachgedacht, als ich die Balladen geschrieben habe: Kann man das publizieren? Überschreite ich dabei nicht irgendeine Grenze? Mich interessiert aber die politische Ebene nicht, und als Dichter kann sie mich auch nicht interessieren. Das lyrische Ich muss nicht immer der Dichter selbst sein. Deshalb entsteht die Faszination für den Zweiten Weltkrieg, die in den Gedichten womöglich zum Ausdruck kommt, weil ich das lyrische Ich verschiedenen kontroversen Charakteren in den Mund gelegt habe. Das hat zweifellos etwas Diabolisches an sich. Ich wollte daraus eine Art feinsinnigen Horror machen. Das klingt nun vielleicht etwas versnobt, aber mich interessiert aus einer Art dichterischen Philosophierens heraus, wie der Teufel die Dinge sieht.“