Wie umgehen mit den Problemkindern? Die tschechischen Parteien sind bei EU-Sanktionen gespalten
Ungarn, Polen und seit neuestem auch die Slowakei – diese Länder galten und gelten oft als die „Problemkinder“ in der EU. Denn laut Brüssel kommt es dort immer wieder zu Verstößen gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, etwa durch Änderungen der Rechtsprechung, die Unterdrückung von Minderheiten oder die Abschaffung einer freien Medienlandschaft. Die Europäische Kommission hat verschiedene Mittel, um einzugreifen. So kann sie etwa Gelder kürzen oder Strafen verhängen, wenn in einzelnen Ländern die Demokratie in Bedrängnis kommt und stattdessen Korruption und autokratische Strukturen überhand nehmen. Nicht alle tschechischen Parlamentsparteien halten diese Sanktionen aber für richtig. Im Folgenden der fünfte Teil unserer Serie, in der wir die Ansichten der tschechischen Parteien vor der Europawahl vorstellen.
Seit einigen Jahren gibt es in der Europäischen Union den Rechtsstaatsmechanismus. Das bedeutet, Brüssel kann die Subventionen an einen Mitgliedsstaat einstellen, wenn dort etwa Gelder des Staatenbündnisses veruntreut werden oder anderweitig die Demokratie ins Wanken kommt. Durch das Artikel-7-Verfahren hat die EU zudem als schwerste Sanktion die Möglichkeit, das Stimmrecht von Mitgliedsstaaten aussetzen. Was derartige Maßnahmen in der Praxis bedeuten, durften zuletzt Ungarn und Polen erleben. Während im Falle Polens eine umstrittene Justizreform in Brüssel aufstieß, ist es in Ungarn etwa die Unterdrückung der politischen Opposition oder die Einschränkung der Rechte von Minderheiten, die für Kritik sorgt.
Und auch in der Slowakei ist die Rechtsstaatlichkeit laut Brüssel zuletzt in Bedrängnis geraten. Denn nicht nur, dass die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt RTVS verstaatlicht werden soll. Im Rahmen der bereits verabschiedeten Justizreform würde auch die Sonderstaatsanwaltschaft abgeschafft, die für Korruptionsverbrechen auf höchster Ebene zuständig ist. Außerdem sollen das Strafmaß für Finanzverbrechen verringert und die Rechte von Whistleblowern geschwächt werden. Was der linkspopulistische Premier Robert Fico als sinnvolle und nötige Gesetzesänderungen beschreibt, führt in Brüssel zu Besorgnis. Die Europäische Kommission hat deshalb vor Kurzem ein laut Medienberichten scharfes Schreiben an Bratislava gesandt – und darin auch mit der Kürzung von Geldern gedroht.
Aber sind derartige Sanktionen gegen unbequeme Mitgliedsstaaten eine angemessene Maßnahme? Die Meinungen der tschechischen Parlamentsparteien vor der Europawahl gehen in dieser Frage auseinander.
Petr Mach ist Spitzenkandidat der Rechtsaußenpartei „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD), die gemeinsam mit der Trikolora bei den Wahlen zum Europäischen Parlament antritt. Er ist gegen Sanktionen aus Brüssel.
„Wir beobachten, dass die Europäische Kommission selektiv vorgeht. Sie war etwa dagegen, als der slowakische Wahlsieger Robert Fico erklärte, dass er die Sonderstaatsanwaltschaft abschaffen will. Fakt ist aber, dass viele Länder in der EU einschließlich Tschechiens eine solche Sonderstaatsanwaltschaft gar nicht haben. Was ist denn also das Problem daran, dass der Wahlsieger diese Institution streichen will, die es anderswo gar nicht gibt? Unserer Meinung nach ist es das freie Recht der Slowaken, ihr Justizsystem selbst zu gestalten.“
Ein selektives Verhalten wirft Mach der EU auch im Falle Ungarns vor:
„Wenn die ungarische Partei Fidesz Änderung in den öffentlich-rechtlichen Medien durchführt, hat die Europäische Union ein Problem damit. Wenn aber der jüngste Wahlsieger in Polen das Gleiche tut, hat sie nichts dagegen.“
Die konkrete Ausgestaltung des Justizwesens und die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben Mach zufolge zudem nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Stattdessen sei lediglich relevant, ob freie Wahlen stattfänden und man sich vor Gericht gegen Unrecht wenden könne.
Neben „Freiheit und direkte Demokratie“ gehört derzeit auch die Partei Ano zur Opposition im tschechischen Abgeordnetenhaus. Einer ihrer Kandidaten für die anstehende Europawahl ist Jaroslav Bžoch. Er spricht sich ebenfalls generell gegen Strafmaßnahmen aus Brüssel aus:
„Einige tschechische Regierungspolitiker haben versucht, als Mentor zwischen den bösen und den lieben Mitgliedsstaaten zu agieren und zu untersuchen, welches Land etwas tut oder eben sein lässt. Das sollte man nicht tun. Die Europäische Kommission hat klare Regeln und Mittel. Die soll sie verwenden und offenlegen, was geändert werden soll – und wie schnell und warum das geschehen muss.“
Diese offene Kommunikation hat Bžoch zufolge bereits im Falle Polens in gewisser Hinsicht zu einem Erfolg geführt und könne auch bei den Ungarn Früchte tragen, so der Politiker. Pauschal Subventionszahlungen zu streichen, dürfe hingegen keine Lösung sein. Bžoch betont zudem, dass die EU keine Föderation sei und jeder Mitgliedsstaat seine eigenen Gesetze haben dürfe. Er sagt aber auch:
„Wenn ein Widerspruch zu den Gründungsverträgen der Europäischen Union besteht, muss die Kommission natürlich eingreifen. Ich denke aber nicht, dass sich die einzelnen Mitgliedsstaaten dabei einmischen sollten.“
Von den fünf tschechischen Regierungsparteien schlägt sich die Vertreterin der Bürgerdemokraten (ODS) im Interview für Radio Prag International am meisten auf die Seite der Opposition. Veronika Vrecionová steht auf Platz zwei der Kandidatenliste, die die Bürgerdemokraten gemeinsam mit den Christdemokraten (KDU-ČSL) und der Partei Top 09 aufgestellt haben. Wenn EU-Gelder veruntreut würden, müsse die Union natürlich eingreifen, sagt sie, fügt dann aber gleich hinzu:
„Ich denke, wenn wir einen Mitgliedsstaat dafür bestrafen, dass uns gerade seine Regierung und deren Vorgehen nicht gefallen, wird das für uns später zum Verhängnis.“
Das beste Beispiel dafür sei das Verhalten des ungarischen Premiers Viktor Orbán, so Vrecionová:
„Wir haben in den vergangenen Jahren im Europäischen Parlament etliche Erklärungen verabschiedet, die das Vorgehen Viktor Orbáns verurteilen. Er hat das immer für seine Zwecke missbraucht. Denn zu Hause vor seinen Wählern sagt er: ‚Schaut mal her, was die Bösen in Brüssel wieder angestellt haben!‘“
Danuše Nerudová sieht das anders. Sie ist die Spitzenkandidatin der Bürgermeisterpartei Stan und sagt zu den Sanktionen:
„Das ist eine der Maßnahmen, mit denen die Europäische Union auf die Einhaltung der Bedingungen drängen kann, zu denen die Länder Mitglied des Bündnisses wurden. Eine Vorgabe war ein funktionierendes Rechtssystem. Genau das ist auch derzeit Thema in der Slowakei, weshalb die Europäische Kommission dem Land einen Brief geschickt hat.“
Dieses Schreiben befürwortet Nerudová und sagt weiter:
„Im Beitrittsvertrag hat sich jedes Land zu gewissen Grundsätzen verpflichtet. Es ist also richtig, dass auf diese gemeinsamen Werte, auf die Demokratie und auf die Bedingungen des Beitritts gedrängt werden kann.“
Ähnlich sind die Ansichten der Piratenpartei, die ebenso Teil der Fünferkoalition ist. Marcel Kolaja ist Spitzenkandidat der Partei und sagt:
„Die Piraten haben sich sehr für den sogenannten Konditionalitätsmechanismus eingesetzt. Das heißt, dass ein Land gewisse Kriterien erfüllen muss, damit es überhaupt europäische Gelder erhalten kann.“
Um die Notwendigkeit dieser Regelung zu unterstreichen, führt Kolaja einmal mehr das Beispiel Ungarn an:
„Viktor Orbán liquidiert dort de facto die unabhängigen Medien. Die Demokratie zerfällt, und es wird an den Grundpfeilern des Rechtsstaates gerüttelt. In solch ein fast schon diktatorisches Regime können wir doch keine EU-Gelder schütten. Der bestehende Mechanismus ist deshalb richtig, und wir sollten ihn auch nutzen.“
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