Wie wirtschaftlich ist Temelin?

AKW Temelin

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßen Sie Martina Schneibergova und Rudi Hermann. Das Kernkraftwerk Temelin ist in letzter Zeit wieder vermehrt in den Schlagzeilen der Medien. Im Sommer war dies bei der Betriebsbewilligung für den ersten von zwei Reaktoren durch die staatliche Kernaufsichtsbehörde und der anschliessenden Beladung des Reaktors mit Kernbrennstäben der Fall, und jetzt geht der erste Block durch eine Testphase, bis dann im nächsten Frühling der kommerzielle Betrieb aufgenommen werden soll. Doch wird sich dieser Betrieb lohnen? Eine Frage, die bisher nur auf der Ebene von Spekulationen beantwortet werden kann. Sicher ist, dass die rund 100 Milliarden Kronen, die die Anlage Temelin kostet, investiert worden sind und es jetzt darum geht, diese Kosten so gut als möglich zu amortisieren respektive einen Gewinn zu erzielen. Ob und wie das möglich ist, was dafür spricht und was dagegen, ist Gegenstand der heutigen Sendung, zu der wir Ihnen guten Empfang wünschen.

AKW Temelin
Für die Skeptiker ist die Sachlage klar: Zuallererst hätten die 100 Milliarden für Temelin gar nicht aufgewendet werden dürfen, die Anlage nicht gebaut werden sollen. Aber auch jetzt, da das Geld in Beton und Technologie dasteht, möchten die Umweltschützer die Anlage lieber demontiert als in Betrieb sehen. Ihre Argumente lauten, dass es sich unter dem Strich nicht lohne, eine Kernanlage, die immer ein gewisses Restrisiko eines Kernunfalls mit seinen unabsehbaren Folgen für die Bevölkerung in sich trage, in Betrieb zu nehmen, und das erst noch zu einem Zeitpunkt, da sich der europäische Strommarkt vor einem Umbruch befindet und es alles andere als klar ist, ob der produzierte Strom auch verkauft werden könne. Gelinge dies nicht und fahre das Kernkraftwerk Temelin Verluste ein, so werde die Rechnung aber ohnehin vom inländischen Strombezüger über den Strompreis bezahlt. Und nicht zuletzt würden die folgenden Generationen mit dem Problem der radioaktiven Abfälle belastet, einem Problem, das noch nirgends auf der Welt schlüssig und endgültig gelöst worden sei.

Die Befürworter von Temelin, allen voran natürlich die Betriebsgesellschaft CEZ, lassen diese Argumente nicht gelten. Zu den Baukosten wird angemerkt, dass sich diese deshalb so verteuerten, weil das ursprüngliche, mit zwei Reaktoren WWER-1000 sowjetischer Bauart geplante Projekt um ein aufwendiges Sicherheits- und Steuerungssystem der neuesten Generation vom amerikanischen Unternehmen Westinghouse ergänzt worden sei. Die Abfallfrage sei ferner auch gelöst, wobei die Diskussion noch darum kreise, ob die ausgebrannten Brennelemente in Endlager oder aber vorläufig erst in Zwischenlager gebracht werden sollen, da sie zu einem späteren Zeitpunkt als Sekundärrohstoff wiederverwertet werden könnten, wenn die entsprechenden Technologien ausgereift und finanziell tragbar seien. In den übrigen ökologischen Parametern sei schliesslich das Kernkraftwerk Temelin den ihm konkurrierenden Kohlekraftwerken überlegen, sowohl bei den Emissionen, die den Treibhauseffekt begünstigten, wie auch bei der Produktion fester Abfälle und der Ansprüche an Rohstoffe wie etwa Kalk, der von den Kohlekraftwerke für die Entschwefelungsanlagen benötigt wird.

Die zentrale Frage aus ökonomischer Sicht ist im Fall von Temelin jedoch zweifellos die Frage des Absatzes der Produktion und des Strompreises. Hier hat sich bisher eher das Entwicklungsszenario der Skeptiker bestätigt. Denn als es Anfang der 90er Jahre darum ging, das Kernkraftwerk Temelin als Bauruine einzumotten, abzubrechen oder im Gegenteil fertigzubauen und in Betrieb zu nehmen, wurde seitens der Energiewirtschaft und der verantwortlichen Politiker argumentiert, das mit der Wirtschftsreform einsetzende Wirtschaftswachstum werde einen höheren Strombedarf nach sich ziehen. Diese Prognosen erwiesen sich aber als falsch. Zwar genoss die Tschechische Republik zwischen 1994 und 1997 eine Phase relativ schnellen Wachstums, doch die Währungskrise vom Frühling 1997 brachte einen Einbruch, von dem sich das Land erst drei Jahre später wieder erholte. Entsprechend sieht die Kurve der Energieproduktion aus: 1990, zum Reformstart, lag das produzierte Volumen bei 52 Terawattstunden, sank bis 1993 im Gefolge der ersten Anpassungsrezession der Wirtschaft auf 47 Terawattstunden, stieg dann bis 1995 wieder an auf 53 Terwattstunden und sank darauf erneut auf das heutige Niveau von rund 50 Terawattstunden. Ob und wie schnell es in der näheren Zukunft aufwärts gehen wird mit dem Stromverbrauch, ist Gegenstand spekulativer Szenarien. Tatsache ist allerdings, dass zum Zeitpunkt, da Temelin ans Netz geht, Tschechien auch ohne das neue Kernkraftwerk rund ein Viertel seiner Produktion ausführt und sich die inländische Nachfrage kaum so schnell ändern wird, dass sich dieses Verhältnis markant verschieben könnte.

Der Direktor des ökonomischen Sektors der Energiefirma CEZ, Petr Voboril, erklärte vor einiger Zeit gegenüber dem wirtschaftlichen Wochenmagazin Euro, dass er sich das laufende Jahr für die Inbetriebnahme von Temelin aus ökonomischer Sicht nicht unbedingt gewünscht hätte. Denn der inländische Stromkonsum ist schon im vierten Jahr rückläufig, und die Quersubventionen zwischen Privatkonsumenten und Unternehmen, die sich immer noch auf die Preisgestaltung auswirken, benachteiligen CEZ gegenüber der Konkurrenz. Doch für die zukünftigen Erfolgsrechnungen von Temelin ist der tschechische Markt nur einer unter mehreren Faktoren. Ein weiterer von besonderer Tragweite ist die Liberalisierung des Strommarkts im Jahre 2002. Dann wird CEZ nicht mehr auf Stromlieferungen über Vermittler angewiesen sein, sondern kann direkt an die Kunden gelangen. Auf der anderen Seite werden diese aber die Möglichkeit haben, auch direkt im Ausland einzukaufen. Ab 2002 wird deshalb für die Situation in Tschechien die Situation auf dem europäischen Strommarkt mitentscheidend sein.

Damit stellt sich die Frage, wo der Temelin-Strom punkto Produktionskosten und damit Konkurrenzfähigkeit stehen wird. Diese Frage wird erst im Moment schlüssig zu beantworten sein, da die Konkurrenzsituation entsteht, denn im Hinblick auf die Öffnung des Marktes bemühen sich die entscheidenden Spieler um grösstmögliche Geheimhaltung ihrer Unternehmensstrategie und -geheimnisse. Nach den Projektionen von CEZ wird die Kilowattstunde Strom aus der Anlage Temelin, die jetzt für rund 90 Heller produziert wird, um das Jahr 2003 etwa 1 Krone 7 Heller kosten. Damit würde Temelin den Vergleich mit westeuropäischen Kernkraftwerken gut aushalten - CEZ rechnet damit, dass eine Kilowattstunde Kernenergiestrom aus einem französichen Kraftwerk 1.10 bis 1.20 Kronen kosten könnte, aus einem deutschen Kraftwerk gar 1.50 bis 2.60 Kronen. Angst vor der Konkurrenz hat man deshalb bei CEZ vorläufig nicht. Die andere spekulative Frage betrifft die Entwicklung des Stromverbrauchs in Tschechien. Da stellt sich allein schon das Problem, ob die Wirtschaftskrise, in die das Land 1997 schlitterte, jetzt endgültig überwunden ist und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum einsetzt, oder ob die gegenwärtige Erholung erst ein Zwischenhoch ist. Aber auch wenn das Wachstum nachhaltig sein sollte, lässt sich daraus noch keine schlüssige Verbrauchsprognose ablesen. In den Ländern der Europäischen Union betrug der Verbrauchszuwachs laut Angaben des Wochenmagazins Euro in den letzten 20 Jahren durchschnittlich 2.5 %, wobei damit gerechnet wird, dass sich diese Quote auf etwas 1.4 % abflacht. In Ländern wie Griechenland oder Portugal könnte der Verbrauch jährlich allerdings etwas mehr zunehmen, weshalb der ökonomische Direktor von CEZ, Voboril, argumentiert, dass eine ähnliche Entwicklung auch auf Tschechien zutreffen könnte. In jedem Fall, auch beim pessimistischsten Szenario, so Voboril gegenüber Euro, werde jedoch das Kernkraftwerk Temelin bis zum Ende seiner auf 30 Jahre veranschlagten Laufzeit amortisiert sein.

Autoren: Martina Schneibergová , Rudi Hermann , Marcela Pozarek
abspielen