Wildnis schützen – Umweltschützer kämpfen für mehr naturnahe Flächen

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag

Der Umweltverband Hnutí Duha (Bewegung Regenbogen) fordert, dass mehr Flächen in Tschechien naturnah werden sollen. Das heißt, dort sich die Natur einfach entwickeln zu lassen. Der Appell richtet sich besonders an die Politiker hierzulande. „Tschechische Wildnis“ heißt die Kampagne, die nun auch von der Öffentlichkeit in einer Unterschriftensammlung unterstützt werden soll.

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Die Kernzonen der Nationalparks und der Naturschutzgebiete – das sind auch in Tschechien jene Orte, an denen sich die Natur unbeeinflusst entwickeln kann. Doch sie bilden jedoch nur 0,3 Prozent der Gesamtfläche des Staates. Dabei sollten es idealerweise drei Prozent sein, bemängelt Hnutí Duha. Laut den Umweltschützern sind die Wildgebiete meist auch zu klein bemessen. Dabei sollten dort Tiere mit Bedarf an viel Raum leben können oder ein Bach von der Quelle bis zur Mündung in seinem ursprünglichen Flussbett fließen dürfen. Tatsächlich gibt es sogar relativ viele naturnahe Flächen hierzulande, aber sie genießen keinen Schutz. Wie ein adäquater Schutz aussehen könnte, das müsste erst diskutiert werden, sagt Eliška Vozníková. Sie betreut das Thema bei Hnutí Duha:

„Wir stehen mit unseren Bemühungen ganz am Anfang. Wir möchten eine breite Diskussion auslösen, ob mehr Wildnis bei uns überhaupt erwünscht ist, wo sie sich befinden könnte und welche juristischen und wirtschaftlichen Auswirkungen das alles haben würde. Es muss sich dabei nicht nur um neue Nationalparks und Naturschutzgebiete handeln, die der Staat ausruft. In Betracht ziehen lassen sich auch freiwillige Verpflichtungen. Das heißt, dass der Besitzer eines naturnahen Gebietes auf die wirtschaftliche Nutzung dort verzichtet und dafür eine Kompensation vom Staat erhält. In einigen Ländern ist diese Form des Naturschutzes recht üblich. Darüber ließe sich noch diskutieren.“

Naturnahe Räume dank Spenden

Fichtenmonokultur unweit vom Ještěd  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Einige nicht-staatliche Schutzgebiete gibt es auch schon in Tschechien. Zum Beispiel in den Karpaten nahe der slowakischen Grenze: Dort hat der Tschechische Naturschutzverband (Český svaz ochránců přírody) im Jahr 2003 dank Spenden etwa 25 Hektar Tannen- und Buchenwald gekauft. Obwohl Fauna und Flora dort einzigartig sind, drohte die Rodung durch den Privatbesitzer. Ein anderer Umweltverband hat eine Fichtenmonokultur am Ještěd / Jeschken in Nordböhmen gekauft und wandelt sie nach und nach zu einem naturnahen Wald um. Auch das geschieht durch öffentliche Spenden. In beiden Fällen hatten die Umweltschützer Glück, dass die ursprünglichen Waldbesitzer Verständnis für ihre Ziele aufgebracht haben. Doch das ist eher selten.

Hnutí Duha hat daher im vergangenen Jahr zwei renommierte Experten beauftragt. Sie sollen eine Studie erarbeiten, die passende Gebiete für die „neue Wildnis“ beschreibt. Am Anfang standen 25 Orte zur Auswahl, schließlich sind noch fünf geblieben. Eliška Vozníková:

Eliška Vozníková  (Foto: Offizielle Webseite der Kampagne „Tschechische Wildnis“)
„Die Experten haben Gebiete gesucht, auf denen die Natur die Chance hat, sich selbst weiter zu entfalten. Dazu sind insgesamt neun Kriterien berücksichtigt worden, vor allem der naturnahe Zustand, die Vielfalt von Fauna und Flora und künftige Perspektiven angesichts des Klimawandels. Es gibt auch wertvolle Kulturlandschaften mit bedrohten Pflanzen oder Tieren, die aber an menschliche Eingriffe gebunden sind. Das sind zum Beispiel die Wiesen in den Karpaten oder im Riesengebirge, die regelmäßig gemäht werden müssen. Diese haben wir jedoch nicht in unseren Plan aufgenommen – und natürlich auch nicht jene Gebiete, die schon unter Naturschutz stehen. Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist, dass die neuen geschützten Orte mindestens zehn Hektar groß sein müssen – das entspricht einem der größten tschechischen Naturschutzgebiete, den ‚Buchenwäldern des Isergebirges‘. Daher haben wir nur fünf taugliche Gebiete gefunden. Und schon das war nicht einfach.“

Alter Buchenwald im südlichen Erzgebirge

Alle Orte befinden sich in relativ abgelegenen Regionen, zumeist in Mähren. Die Ausnahme bildet der einzigartige Buchenwald nahe Schoss Jezeří / Eisenberg an den Südhängen des Erzgebirges. Dort treffen zwei ganz unterschiedliche Welten aufeinander: einerseits eine Industrielandschaft mit großen Fabriken, tiefen Gruben des Kohle-Tagebaus und vergleichsweise hässlichen Städten, andererseits ein fast wie ein Wunder erhaltener Wald mit mehr als 200 Jahre alten Buchen und weiteren Baumarten. Obwohl eine Rarität in der Gegend, ist der Wald mittlerweile bedroht, sagt Hana Krejčová, die Verwalterin des Schlosses:

Buchenwald nahe Schloss Jezeří  (Foto: Miaow Miaow,  Public Domain)
„Die Wälder an den Hängen des Erzgebirges werden in großem Maße abgeholzt. Dahinter steckt natürlich das wirtschaftliche Interesse. Ich finde es aber sehr schade, dass nicht auch die anderen Funktionen des Waldes berücksichtigt werden. Zumal die meisten Wälder hier in staatlichem Besitz sind. Die ehemaligen Eigentümer des Schlosses waren sich noch dessen bewusst, wie wichtig auch die Wildnis ist. Die Adeligen waren in dem Sinne ausgezeichnete Forstwirte und überließen ganz gezielt bestimmte Gebiete einfach der Natur. Dies hatte sowohl ästhetische, als auch wirtschaftliche Gründe. Denn nur ein Wald mit Bäumen unterschiedlichen Alters und verschiedener Arten ist gesund und beherbergt viele Tiere, die dort genug Nahrung und Territorium haben. Die Adeligen haben an kommende Generationen gedacht. Das beweisen die mächtigen mehrere Hundert Jahre alten Buchen dort.“

Immer weniger Wasser in den Bächen

Ehemaliger Stausee Dřínov  (1955-1981). Foto: Archiv von Povodí Ohře
In Jezeří besteht noch ein weiterer Grund, der für die Bewahrung des naturnahen Waldes spricht: der Klimawandel. Hana Krejčová beobachtet die Folgen schon seit Jahren.

„Ich stamme aus der Gemeinde Albrechtice (Deutsch Ulbersdorf, Anm. d. Red.), die sich unter dem Schloss befand und dem Tagebau weichen musste. Ich kann mich noch an den See bei Dřínov (Deutsch Bartelsdorf, Anm. d. Red.) erinnern. Seitdem auch er dem Tagebau weichen musste, hat sich das lokale Klima stark verändert. Früher, wen der Dampf vom Wasser aus dem See aufstieg, blieb er an den Hängen des Erzgebirges hängen, und das hat für ständige Feuchtigkeit und häufige Niederschläge gesorgt. Seitdem es den See nicht mehr gibt, ist es viel trockener in dieser Gegend geworden. Mittlerweile kommt noch der allgemeine Klimawandel hinzu – und man sieht, wie die Wälder von Jahr zu Jahr mehr austrocknen und wie in den Bächen immer weniger Wasser fließt. Wenn unter diesen Umständen Bäume gefällt werden, ist es fraglich, ob überhaupt neuer Wald nachwächst. Bereits heute sieht man, wie schwer es die Sämlinge von Buchen haben. Es überleben nur die stärksten und resistentesten. Ich habe wirklich Angst.“

Wald rund um Jezeří  (Foto: Hadonos,  Public Domain)
Die Buchenwälder an den Hängen des Erzgebirges sind wie die Lunge der Gegend, betonen die Umweltschützer. Denn nicht nur die Natur im Erzgebirgs-Vorland ist durch die Industrie zerstört worden, sondern die Emissionen der Betriebe haben in den 1970er und 1980er Jahren auch die Wälder in den Gipfelregionen absterben lassen. Deswegen schlägt die im Auftrag von Hnutí Duha erarbeitete Studie vor, die bis zu 3000 Hektar Wald rund um Jezeří unter Schutz zu stellen.

Unterschriftenaktion startet

Anfang August haben die Umweltschützer eine Unterschriftenaktion gestartet, um Politiker und Öffentlichkeit auf die Bedeutung wilder Natur aufmerksam zu machen. Die Unterschriften werden im Internet und durch freiwillige Helfer in beliebten tschechischen Urlaubsgegenden gesammelt. Die Aussichten auf einen Erfolg sind nicht schlecht: Laut einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahre 2015 haben sich 71 Prozent der Tschechen für den Schutz wilder Natur ausgesprochen.

„Wir verhandeln aktuell mit der Verwaltung der Wälder auf Militärgebieten, beziehungsweise mit dem Verteidigungsministerium, ob nicht einige Teile dieser Gebiete symbolisch zu ‚Orten der Wildnis‘ erklärt werden könnten. Es handelt sich um die Ränder von Truppenübungsplätzen, die heute bereits öffentlich zugänglich sind. Weil dort aber jahrzehntelang kaum Forstwirtschaft betrieben wurde, ist die Natur sehr intakt. Solche Orte könnten die ersten Keime neuer Wildgebiete sein. Wir sprechen auch mit den Bürgermeistern der betroffenen Orte. Sie sind aber eher zögerlich und warten ab, wie sich die Sache entwickelt“, so Eliška Vozníková.

In ihren Gesprächen haben die Umweltschützer einen Trumpf in der Hand: Die Wildflächen sollen grundsätzlich zugänglich sein, damit auch Besucher die Vielfalt der Natur erleben können. Für die Gemeinden eröffnet sich damit eine Möglichkeit, den Tourismus zu beleben.