Wo alles um die Ecke ist: Rundgang durch Brünn

Brno

Der Kreis Südmähren bietet viele touristische Höhepunkte, man denke zum Beispiel an die Schlösser in Valtice und Lednice. Doch das Juwel ist unserer Meinung nach die Kreis-Hauptstadt Brno / Brünn. Deswegen nun ein Spaziergang durch die mährische Metropole – und zwar unter Führung von Marina Sedláková, die unterschiedliche Touren auf Deutsch anbietet.

Marina Sedláková | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Ein heißer Tag, Ende August, Ankunft am Hauptbahnhof in Brünn. Schräg gegenüber, vor dem Grandhotel, bin ich mit meiner Begleiterin für den Rundgang durch die Stadt verabredet. Das erste Ziel soll die Peter-und-Paul-Kathedrale sein. Fremdenführerin Marina Sedláková betont, dort habe schließlich die Geschichte von Brünn begonnen.

Auf dem Weg zum Dom stellt Sedláková die zweitgrößte Stadt Tschechiens mit ihren knapp 400.000 Einwohnern vor:

„Brünn ist in dem Sinn interessant, dass es eine relativ kleine Stadt ist, aber alles hat. Es gibt zwar keine breiten Boulevards, doch alles ist um die Ecke. Man kann bei Führungen alle möglichen Themen zusammenstellen: Architektur, Kaffeehäuser, unterirdische Gänge oder Terrassen und Dächer der Paläste und vieles mehr.“

Wir stehen vor der Kathedrale St. Peter und Paul…

Kathedrale St. Peter und Paul  | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

„Hier sind wir auf einer felsigen Erhebung, auf die sich auch die erste schriftliche Erwähnung Brünns bezieht, denn an diesem Ort stand im 11. Jahrhundert eine Art Festung. Allerdings ist jetzt in Alt-Brünn etwas aus dem 10. Jahrhundert entdeckt worden. Vielleicht muss die Geschichte also umgeschrieben werden.“

Die Kathedrale wiederum habe früher bei der ursprünglich deutschen Bevölkerung einfach nur Petersdom geheißen, erzählt Marina Sedláková. Zwar wurde im 14. Jahrhundert, am Ort einer früheren romanischen Kirche, mit dem Bau einer dreischiffigen gotischen Basilika begonnen, doch erst zu Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts wurde diese fertiggestellt. Über die Jahrhunderte sei eine „tolle Mischung“ an Architekturstilen entstanden, findet unser Guide. Im Kircheninneren leitet sie meine Augen:

Kanzel in der Kathedrale St. Peter und Paul | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

„Hier ist Barock, das Schiff vorne ist Neugotik, und die Orgel wurde erst 1909 gebaut. Man könnte sagen, dass die Orgel gar nicht zur Kirche passt. Eigentlich gehört sie in eine Konzerthalle. Aber irgendwie passt sie doch hierher.“

Die Kathedrale St. Peter und Paul ist neben der Jakobskirche, die aber gerade saniert wird, als einziger Kirchenbau jeden Tag zugänglich für Besucher…

„Die anderen Gotteshäuser sind nur während Messen offen. Allerdings gibt es in den beiden Ferienmonaten im Sommer ein Projekt, bei dem junge Leute in den Kirchen sind und Touristen einen Besuch ermöglichen.“

Mittagsläuten um elf

Wir sind wieder draußen, in der Brünner Altstadt. Da beginnt das Mittagsläuten des Doms. Aber halt, es ist doch erst 11 Uhr. Warum denn das? Da gebe es mehrere Legenden, erzählt Sedláková:

Altes Rathaus | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

„Das hängt mit der schwedischen Belagerung im Jahr 1645 zusammen. Damals wollten 28.000 Soldaten die Stadt erobern. Obwohl der schwedische General Lennart Torstensson schon lange vor den Toren der Stadt lagerte, konnte er diese nicht einnehmen. Er war bereits müde und sagte, dass er abziehen würde, wenn er es nicht schaffe, bis zum Mittag am 15. August die Stadt zu erobern. Die trickreichen Brünner läuteten dann einfach früher zu Mittag, und die Schweden zogen ab, wie sie versprochen hatten.“

Aber es gibt noch mehr skurrile und geheimnisvolle Geschichten und Begebenheiten, darin steht Brünn der Landeshauptstadt Prag kaum nach. Eine Story rankt sich um einen früheren Bürgermeister, der lebendig in die Mauer des Alten Rathauses eingemauert wurde. Noch heute ragen Nase, Mund und Wange aus dem Gemäuer des Alten Rathauses hervor – so will es jedenfalls die Legende. Und die geht so:

„Brünn ist nie erobert worden, die Stadt war gut befestigt. Im 15. Jahrhundert standen die Hussiten vor den Toren. Der Bürgermeister wollte damals die Stadttore öffnen, sie einfach hereinlassen und mit ihnen verhandeln. Aber die Bürger waren dagegen, schlossen alle Tore und mauerten den eigentlich beliebten Bürgermeister lebendig ein, weil er Brünn hatte verraten wollen. Und daher kann man hier sein Gesicht sehen. Ob sich das wirklich so abgespielt hat, kann ich nicht bestätigen – ich habe damals noch nicht gelebt“, schmunzelt die Fremdenführerin.

Nicht weniger morbide ist die Kapuzinergruft…

„Auch die ist interessant für alle, die sich für Geschichte interessieren. Ursprünglich waren dort circa 200 Brünner begraben, sie wurden aber nicht einbalsamiert. Es waren Persönlichkeiten der Stadt wie Architekten oder Ärzte. Durch die Luftzirkulation in den Wänden trockneten die Leichname aus. Und heute kann man sie in diesem Zustand sehen, der Mumien gleicht. Es war ein System der Kapuziner. Rund 40 Mumien sind heute hinter Glas zu sehen.“

Die Kapuzinergruft | Foto: Václav Žmolík,  Tschechischer Rundfunk

Der Besuch der Gruft sei durchaus etwas gruselig, bestätigt Sedláková:

„Allerdings fehlt die Dekoration aus Knochen, die es dort noch vor 30 Jahren gab. Mittlerweile ist es eher ein Museum. Aber man kann noch Zähne und Nägel oder Bekleidung und Stiefel sehen.“

Die umgebaute Stadt

Bischöfliches Palais mit Portal | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

Anders als Prag wurde das Gesicht von ganz Brünn zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich verändert. Viele alte Häuser und Paläste riss man nieder, um Platz zu schaffen für große Neubauten. Dieser Eingriff lässt sich bis heute an einigen Orten nachvollziehen – so etwa am erzbischöflichen Palais. Marina Sedláková weist mit dem Finger auf das Portal.

„Schauen Sie hier: Das passt doch architektonisch gar nicht zum Gebäude, das Portal stammt von einem anderen Palast. Früher, ab dem 16. Jahrhundert, standen an diesem Ort noch andere Palais. Aber Brünn konnte sich nicht richtig weiterentwickeln wie andere Städte in der Umgebung, etwa Olmütz oder Znaim. Denn man war eine Militärfestung, die Wien im Norden schützen sollte. Innerhalb der Befestigung zählte Brünn nur rund 8000 Einwohner. Aber es wurde entschieden, Industrie anzusiedeln. Deswegen wurde die Stadtmauer abgerissen und Unternehmer hierher eingeladen. Sehr schnell kamen viele Neue her. Das erhöhte den Druck, die Stadtplanung voranzutreiben. Es wurden neue Straßen angelegt und mehr als 260 teils reich verzierte Paläste abgerissen. Einige Portale blieben erhalten – wie dieses hier – und wurden einfach anderswo verbaut, um zu zeigen, wie schön die Paläste der Stadt einmal waren.“

Das Friedensdenkmal  (pomník míru) im Denis-Garten  (Denisovy sady) | Foto: Tschechisches Fernsehen

Erst ab dem 19. Jahrhundert dehnte sich Brünn also über das Gebiet seiner früheren Stadtmauern aus. Das lässt sich vom Platz um das Friedensdenkmal (pomník míru) im Denis-Garten (Denisovy sady) aus erfassen. Sedláková:

„Wenn man nach links schaut, blickt man auf den alten Güterbahnhof. Von dort bestand ab 1839 die erste Bahnverbindung nach Wien. Deswegen kamen viele Fabrikanten und Unternehmer nach Brünn und bauten hier ihre Betriebe auf.“

Foto: Tschechisches Fernsehen

Es ist die Geschichte des sogenannten mährischen Manchesters, denn vor allem siedelte sich die Textilindustrie an.

„Die Stoffe waren von hoher Qualität. Besonders wichtig war die Verarbeitung von Wolle. Viele Fabriken wurden von deutschsprachigen Unternehmern gegründet“, so unser Guide durch die Stadt.

Von dieser Zeit zeugt nur noch ein einziger Schornstein, der stehen gelassen wurde. Die meisten Textilfabriken standen an der Svrátka / Schwarza. Die entsprechenden Gebäude seien aber nicht alle abgerissen worden, betont Sedláková, sondern man habe sie teils in Wohnblöcke umgewandelt.

Von dem Platz sieht man natürlich auch das vielleicht bekannteste Wahrzeichen Brünns…

Foto:  Martina Kutková,  Radio Prague International
Marina Sedláková | Foto: Till Janzer,  Radio Prague International

„Viele Touristen, die vor allem aus Deutschland oder Österreich nach Brünn kommen, kennen die Burg Spielberg nur als Gefängnis. Dabei war sie ursprünglich eine Sommerresidenz der mährischen Markgrafen. Aber sie diente nie als Sitz eines konkreten Adelsgeschlechts, sondern zu verschiedenen Zwecken. Dazu gehörte ebenso das Militär, aber dort war eben auch ein Gefängnis. Dieses galt als das schlimmste seiner Art in Mitteleuropa, weil die Häftlinge unterirdisch gefangen gehalten wurden. Es fiel kein Tageslicht hinein. In den Zellen waren acht bis zehn Häftlinge zusammengepfercht, erst später wurden Einzelzellen gebaut. Insgesamt konnten bis zu 2000 Menschen auf einmal dort eingesperrt werden. Der Spielberg galt als politisches Gefängnis, die Gegner der Monarchie wurden dort festgehalten.“

Dies alles ist auch in einem neu gestalteten Museum zu erfahren. Laut Marina Sedláková werden dort unterschiedliche Führungen angeboten. Und nicht zuletzt kann man auf dem Spielberg regelmäßig Kunst erleben.

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Natürlich hat Brünn auch noch weitere attraktive Besucherziele im Angebot. Nicht erwähnt wurde beispielsweise die Villa Tugendhat. Und die spezielle deutsche beziehungsweise deutschsprachige Seite der Stadtgeschichte werden wir in nächster Zeit in einem gesonderten Beitrag behandeln.

Autor: Till Janzer
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