Zahl der Kindermissbrauchsfälle steigt – Experten: Spitze des Eisbergs
Die tschechische Polizei hat vor kurzem die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch veröffentlicht, zu denen sie im vergangenen Jahr ermittelt hat. Erneut gab es dabei einen Anstieg. Doch wie lassen sich diese Zahlen interpretieren?
„Wenn sich überhaupt etwas aus den Statistiken herauslesen lässt, dann vielleicht dass weiter ein sehr geringer Teil der Fälle überhaupt der Polizei gemeldet wird. Denn laut vielen Studien liegt diese offizielle Zahl nur bei etwa acht Prozent des tatsächlichen Umfangs.“
Einige Fachleute weisen allerdings darauf hin, dass auch die Zahl der falschen Anzeigen steigt. So berichteten die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks von einem 13-jährigen Mädchen, das einen 80-jährigen Mann beschuldigt hatte. Dieser gab Englischstunden und soll angeblich sie und weitere Sprachschülerinnen dabei begrapscht haben. Der Rentner wurde zu anderthalb Jahren auf Bewährung verurteilt, und erlitt dann einen Nervenzusammenbruch. Erst im Berufungsverfahren kam heraus, dass die Sprachschülerinnen die Vorfälle erfunden hatten, um interessanter zu wirken. Bis zu zehn Prozent der Fälle von Kindesmissbrauch, in denen die Polizei ermittelt, könnten laut den Experten auf falschen Beschuldigungen beruhen. Ludmila Mrkvicová ist Gerichtsgutachterin und hat auch damit schon zu tun gehabt. Sie nennt zwei Hauptgründe: Racheaktionen pubertierender Jugendlicher und bei jüngeren Kindern aber die Manipulationen durch die Eltern.„Da können nichtgelöste Beziehungsprobleme in der Familie zum Versuch führen, den jeweiligen Lebenspartner zu beschädigen, ihn zu besudeln und ihn loszuwerden. Diese Fälle steigen leider an und führen auch zu falschen Anschuldigungen von Kindesmissbrauch“, so Mrkvicová.
Doch das ändert nichts daran, dass der Umfang des Kindesmissbrauchs weiterhin gewaltig unterschätzt wird. Laut aktuellen Studien könnten jedes vierte Mädchen beziehungsweise jeder siebte Junge betroffen sein. Dabei sind die psychischen Schäden durch den erlebten Missbrauch nicht selten tragisch für die weitere Persönlichkeitsentwicklung. Aber den Umgang mit den Opfern hält die Psychologin Alexandra Fraňková vom Kinderkrisenzentrum im vierten Prager Stadtbezirk weiterhin nicht für adäquat, wie sie jüngst in einem Interview erläuterte:
„Auf der einen Seite ist es in den vergangenen Jahren hierzulande zu einem Durchbruch gekommen. Es wurde begonnen, über sexuellen Missbrauch von Kindern zu reden, und es sind Fachinstitutionen entstanden, die diesen Missbrauch aufdecken. Auf der anderen Seite wird Kindern häufig immer noch nicht geglaubt. Und sie werden auch zu Opfern des Systems, das ihnen eigentlich helfen soll. So werden sie zum Beispiel durch wiederholte Verhöre weiter traumatisiert, und sie werden stigmatisiert durch das Bekanntwerden der Tat.“